Seite:Die Gartenlaube (1880) 325.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

und mit dem Glauben an seinen neuen Beruf schied der fünfzehnjährige Färberlehrling von der ehrbaren Zunft, um sich in Kassel ganz der Kunst zu widmen. Spohr war als der größte Violinist seiner Zeit bekannt. Seine Virtuosität, die Kraft und Schönheit seines Tones und Spieles verfehlte nicht, großen Eindruck auf den lernbegierigen Schüler zu machen, der sich auch bald für die hervorragenden Compositionen des Meisters erwärmte, durch welche ihm der Einblick in die ideale Kunst erschlossen wurde.

Zu den Aufführungen des kurfürstlichen Hoftheaters, an dem Spohr Capellmeister war, hatten die Schüler freien Eintritt mit der Verpflichtung, zuweilen im Orchester auszuhelfen, es zu verstärken. Natürlich wurde hiervon ausgiebig Gebrauch gemacht. Die Oper übte in vortrefflichen Aufführungen unter der ausgezeichneten Leitung Spohr’s eine wunderbare Anziehungskraft aus. Die Autorität des hochgeschätzten Lehrers und die Verehrung seiner Meisterschaft war zu einem Grade gestiegen, daß in den Augen der Schüler selbst Paganini, als er sich in Kassel hören ließ und zur Bewunderung hinriß, nicht vermochte, dem deutschen Altmeister den Rang streitig zu machen.

Franz Götze.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Nach den mit Fleiß und Ausdauer betriebenen Studien trat später Götze, auf Hummels Veranlassung, als erster Violinist in die großherzogliche Hofcapelle in Weimar ein.

Das Weimarische Theater stand noch von der classischen Zeit der Goethe’schen Oberleitung her in hohem Ansehen; jetzt glänzte es auch durch eine gute Oper unter Hummel’s Direction. Dem neuen Orchestermitgliede war damit andauernd Gelegenheit geboten, seine dramatisch-musikalischen Neigungen weiter zu cultiviren. Die in den bessern Umgangskreisen der Dichterstadt herrschende ästhetische Bildung regte ihn gleichzeitig zu eifrigen Studien in dieser Beziehung an. Er hatte erkannt, daß seine bisherige Schulbildung eine ungenügende gewesen, und suchte mit der ihm eigenen Gründlichkeit alles Wissenswerthe zu erlernen; nachdem er die Ueberzeugung gewonnen, daß das Ziel aller Kunst, nur auf Grund wahrer Bildung zu erstreben sei. In den Hof- und anderen Concerten errang der junge Virtuos bei Solovorträgen auf seinem Instrument neben Hummel und anderen Musikalischen Celebritäten reichen Beifall, und als Wieck mit seinem Wunderkind Clara (Schumann) in Weimar ein Concert veranstaltete, wurde Götze zu einem Duo gewonnen, das der greise Goethe sich in seinem Hause wiederholen ließ. Der gemessene freundliche Ausdruck von Seiten des unsterblichen Dichters blieb dem jungen Künstler eine theure Errungenschaft für’s Leben.

Bei den nach damaligen Verhältnissen noch sehr gering dotirten Stellen in der großherzoglichen Hofcapelle warfen noch einige zu ertheilende Privatstunden, deren ansehnliches Honorar nicht mehr als zwei gute Groschen betrug, das Nöthige zum spärlichen Haushalt ab. Die Ferienzeit benutzte Götze wiederholt zu Reisen nach Kassel, um bei Spohr zu weiterer Ausbildung Unterrichtsstunden zu nehmen. Dabei bot sich ihm auch die erste Gelegenheit, als Sänger im kleinen Kreise durch Vortrag von Liedern die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Violoncellist Hasemann, im dortigen Orchester angestellt, gab auch Gesangunterricht und musicirte viel mit dem in Kassel anwesenden großen Tenoristen Wild aus Wien, den auch Götze dort mit Bewunderung hörte. Hasemann gewann beim Hören der klangvollen Stimme und dem natürlichen gefühlvollen Vortrag des Letztem die Ueberzeugung, daß aus dem Violinisten sich ein Sänger von Bedeutung entwickeln müsse, und gab ihm Veranlassung zu weiteren Stimmübungen.

Ein durchaus begabter Autodidakt, suchte Götze nun, allerdings unterstützt durch seine tüchtige musikalische Vorbildung, sich seine eigene Theorie für Gesangstudien und seine Methode zu gründen, ausgehend von einer gesunden Natürlichkeit der Tonbildung (dieses Problems der Gesangskunst) wie des Vortrags. Was er sich aus vorhandenen Lehrbüchern holen konnte, erschien ihm durchaus ungenügend, zum Theil verwerflich, während er, auf seiner eigenen Bahn vorgehend, erfreuliche Fortschritte bemerkte, die ihn nach einiger Zeit zu theatralischen Versuchen auf der Hofbühne zu Weimar ermuthigten. Obgleich diese zur Zufriedenheit gelangen und Beifall fanden, wurde der Platz des Violinisten im Orchester nicht aufgegeben; hinderte er ihn doch nicht, die Gesangübungen gründlich fortzusetzen!

Eine plötzliche Wendung nahm die Sache, als in Folge der Erkrankung des ersten Tenors der dortigen Bühne, des beliebten und gefeierten Knaust, eine große Verlegenheit für die Oper erwuchs. Aus ihr herauszukommen, richtete man sein Augenmerk sofort auf Götze. Derselbe lernte zunächst als Ersatzmann die erforderlichen Partien in unglaublich kurzer Zeit, trat auf und wurde durch rauschenden Beifall für seine in jeder Weise bewundernswerthen Leistungen belohnt.

Hiermit war die Entscheidung für die künftige Künstlerlaufbahn Götze’s gefallen. Er widmete sich nun ausschließlich der Bühne, bei der er als erster Tenor angestellt und bald vom Publicum zum erklärten Liebling erkoren wurde.

Mit dem ehrenvollen Engagement für das große Feld aller ersten Tenorpartien fielen ihm außer den lyrischen, seiner eigentlichen Sphäre, auch die Heldenpartien zu, denen er, bei den nicht allzu großen räumlichen Verhältnissen der dortigen Bühne, vollständig gewachsen war. Auch sein ergötzlicher Humor, in einigen komischen Darstellungen, lebt noch heute frisch in meiner Erinnerung.

Fortgesetzte vielseitige Studien hatten seine ästhetische Bildung zu einer Reife gebracht, die, getragen von einem ungewöhnlichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_325.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)