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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


eines Clubhauses, das 1819 eröffnet wurde, aber die Mitgliederzahl mehrte sich so rapid, daß man schon nach sechs Jahren zum Aufbau eines neuen Gebäudes schreiten mußte. Mit diesem begann im Jahre 1828 die Reihe der „Pall-Mall“-Clubs. Der „United Service“ zählte damals schon 1500 Mitglieder, deren hervorragendstes der Herzog von Wellington war. Bald brach ein wahres Clubfieber aus; binnen kurzem hatten sämmtliche höhere Zweige der Armee ihre Clubs; da gab es einen „Junior United Service“, einen „Guards“, einen „Army and Navy“, einen „Junior Army and Navy“, alle in „Pall-Mall“. Die günstige Folge war, daß die Officiere dem Schenken- und Kaffeehausleben entzogen wurden. Das Beispiel der Armee fand Nachahmung bei allen Schichten des Bürgerthums, und zwar vereinigte man dabei das Wahlverwandtschaftsprincip der alten Clubs mit der Organisation der neuen. Ehemalige Universitätshörer, die während ihrer Studienjahre gewohnt waren, täglich zusammen zu speisen, zu studiren und zu lesen, fühlten sich in London kläglich vereinsamt. Sie begründeten den „United University-Club“. Eine andere Gruppe bildete unter ganz ähnlichen Umständen den „Oxford and Cambridge Universities-Club“; beide Clubs bestehen der Mehrheit nach aus Geistlichen. Auch die Rechtsgelehrten ließen sich schon vor fünfzig Jahren ein schönes Clubhaus bauen, in dem sie den „Law-Club“ unterbrachten.

An der Spitze des Londoner Clubwesens stehen nächst dem hauptsächlich aus Gelehrten und Schriftstellern zusammengesetzten „Athenaeum-Club“ zwei politische Clubs: der „Carlton“ und der „Reform“. Die von der großen Wahlreform beunruhigten Tories begründeten 1830 den „Carlton“, dem die Whigs alsbald den wahrhaft fürstlich aussehenden „Reform“ entgegenstellten. Zu derselben Zeit entstanden und aus demselben politischen Ereigniß hervorgegangen, stehen die beiden Gebäude in Pall-Mall als feindliche Brüder neben einander. Das eine spielt im politischen Leben der englischen Hauptstadt die Rolle eines Hauptquartiers der Tories, das andere die eines Hauptquartiers der Liberalen. Beide haben seit fast einem halben Jahrhundert in hohem Maße zur Festigung der Rede- und Actionsfreiheit beigetragen. In einem gewissen Zusammenhang mit dem „Carlton“ steht der „Conservative“, der ursprünglich blos eine Brutstätte für künftige Bewerber um die Mitgliedschaft des „Carlton“ war. Die Häupter der conservativen Partei gehören in der Regel beiden Clubs an.

Eine Art Vorschule für das politische Leben bilden die zahlreichen „Debating Clubs“, denen sich namentlich Jünglinge der besseren Classen gern anschließen und deren Hauptaufgabe es ist, ihre Mitglieder durch Debatten über alle möglichen, besonders politische, Fragen in der Gabe der Beredsamkeit zu üben. Vor etwa fünfzig Jahren gab es in Cambridge einen solchen Debattir-Club, dem die Leiter der politischen Parteien große Aufmerksamkeit schenkten; fiel ihnen ein geschickter Redner daselbst auf, so nahmen sie dessen Vorbereitung auf die parlamentarische Laufbahn in Aussicht.

Die wichtigsten Clubs der Literatur- und Theaterfreunde sind der „Garrick“, der „Savage“ („Club der Wilden“) und der erwähnte, besonders berühmte und vornehme „Athenaeum-Club“.

Interessant ist der „Travellers’“ („Club der Reisenden“), in den nur Ausländer oder reisende Inländer aufgenommen werden. Bei der vom Lord Londonderry angeregten Gründung handelte es sich darum, Ausländern, die entweder sich in der Reisendenwelt einen Namen gemacht haben oder von berufenen Leuten Empfehlungsbriefe mitbringen, in London einen Club zu bieten; Talleyrand besuchte während seines Aufenthalts in der britischen Metropole den „Travellers’“ fast täglich. Engländer können nur dann Aufnahme finden, wenn sie den Nachweis führen, daß sie mindestens fünfhundert englische Meilen weit in gerader Richtung von London aus gereist sind. Je größere Reisen ein Candidat gemacht, desto günstiger stehen natürlich seine Chancen; denn die Länder, die er besucht, die Abenteuer, die er bestanden, die verschiedenen Volkssitten, die er beobachtet, liefern der Club-Conversation selbstverständlich ausgiebige Stoffe. Dieser Club kann sich immer einer sehr gewählten Gesellschaft rühmen; denn ihm gehören die höchsten Zweige der englischen Aristokratie und die Elite der Mitglieder beider Häuser des englischen Parlaments an. Einen geographischen Anstrich hat auch der „Oriental-Club“, in welchem die in Ostindien etablirten Engländer, die zeitweilig zu ihrem Vergnügen oder in Geschäften nach London kommen, sich vor der in solchen Riesenstädten leicht eintretenden Vereinsamung retten können, da sie dort Ihresgleichen finden. Auch die pensionirten Civil- und Militärbeamten der ehemaligen Ostindischen Compagnie gehören theilweise dem „Oriental“ an; ein anderer Theil hält sich an den „East India United Service“. Eine gewisse Aehnlichkeit mit dem „Travellers’“ besitzt der „Hanover Square-Club“, auch „Circle des Nations“ betitelt, einer der neuesten Clubs, dessen Eröffnung Schreiber dieses am 1. Januar 1876 beiwohnte. Hier ist die Aufnahme nicht von Reisen abhängig, sondern jeder Ausländer – aber auch jeder Inländer – der bei der geheimen Abstimmung über die Candidaten nicht durchfällt, kann Mitglied werden. Auswärtige Mitglieder bezahlen nur den vierten Theil des auf die Londoner berechneten Jahresbeitrages, und können den Club während ihres jeweiligen Aufenthaltes in London benützen; dieser Club ist von besonderem Vortheil für auswärtige bemittelte Herren, die in London nicht zur Genüge bekannt sind; sie können dort vorzüglich speisen, die Zeitungen ihrer Heimath lesen, ihren Kaffee nehmen, ihr Spielchen machen, mit Landsleuten zusammenkommen, ihre Post expediren und sogar schlafen, denn der „Hanover Square“ gehört, gleich vielen anderen vornehmen Clubs, zu den Hôtel-Clubs.

Was ein Hôtel-Club ist, wird uns klar werden, wenn wir die Organisation und die innere Einrichtung der Londoner großen Clubs näher in's Auge fassen. Wenn die modernen Clubhäuser äußerlich durch Größe und architektonische Schönheit auffallen, so überraschen sie noch mehr durch die Eleganz ihres Innern. Das Peristyl führt in eine Vorhalle, in welcher der Besucher von einem Portier und seinem Gehülfen empfangen wird, welche beide Diener die Aufgabe haben, Niemand zuzulassen, dessen Name nicht im Mitgliederbuche steht, oder der nicht von einem Mitgliede als Gast eingeführt wird. Gäste haben in der Regel das Recht, den Club eine Woche hindurch zu benutzen. Die genannten zwei Functionäre tragen schwarze Anzüge und weiße Cravatten und verfügen über einen ober zwei livrirte Pagen, denen die Besorgung der Post und der Gänge für die Mitglieder obliegt. Ueberbringer von Botschaften erwarten die Antwort in einem besonderen „Empfangszimmer“. Von der Vorhalle gelangt man in den Vorsaal, der in fast allen wichtigen Clubs mit großer Pracht ausgestattet ist. Ahorn- oder Mahagonithüren führen in die verschiedenen Parterreräumlichkeiten: das „Vormittagszimmer“, die Garderobe, das Lesezimmer, die Speisesäle; überall sieht man maßlos hohe Spiegel, enkaustische Gemälde, guirlanden- und karnießengeschmückte Plafonds, die schönsten Kronleuchter, die theuersten Möbel. Eine gewöhnlich sehr elegante Treppe führt zu den zwei oder drei oberen Stockwerken. Im ersten befinden sich: der Salon, die Bibliothek, das Rauchzimmer und das Spielzimmer für Whistspieler. Das letztere ist, um die Zahl der Spieler einzuschränken, in der Regel klein angelegt. Auf’s Rauchzimmer verwendet man viel weniger ausschmückende Sorgfalt als auf die übrigen Gemächer. Auch die Bibliotheksäle vieler Clubs zeichnen sich durch herrliche Ausstattung aus, abgesehen von dem Umfang der Büchersammlungen. Das zweite Stockwerk enthält Säle für Billards und andere Spiele, das dritte die Wohnungen der Beamten und Diener des Clubs. Eine Reihe von Clubs geht so weit, den Mitgliedern auch Wohnung zu bieten, zu welchem Behufe im dritten und vierten Stockwerke eine Anzahl von elegant möblirten Zimmern eingerichtet sind, die den Club-Junggesellen zu mäßigen Preisen zur Verfügung stehen. Die hervorragendsten „Hôtel-Clubs“ sind der „Reform-Club“ und der „Hanover Square“. In allen besseren Clubhäusern giebt es auch Badezimmer oder doch wenigstens Wasch- und Toilettenzimmer. Eine wichtige Rolle spielt natürlich die Küche, und sie gehört mit ihrer blendenden Reinlichkeit, ihren sauberen Küchen, ihren lichterlohen, prasselnden Feuern und ihren ungeheueren Tischen zu den größten Sehenswürdigkeiten der großen Clubs. In vielen Clubs hat man im Souterrain auch Apparate, um das Wasser in die höheren Stockwerke zu leiten, die Wärme zu vertheilen und die verschiedenen Räume im Nothfall mit kühler Luft zu versehen. Die Speisesäle sind von gewaltiger Ausdehnung; der des „Hanover Square“ enthält einen Tisch, an dem dreihundert Personen Platz haben. Will ein Mitglied mit einem Gast allein speisen, so steht ihm eines der kleineren Speisezimmer, die eigens zu diesem Behufe vorhanden sind, zur Verfügung. Natürlich sind so schöne Gebäude mit so herrlicher Einrichtung nicht um einen Spottpreis herzustellen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_328.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)