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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Sie haben das Mädchen in einer zu schrankenlosen Freiheit aufwachsen lassen. Wie oft habe ich Sie gebeten, Hedwig nur für einige Jahre einem Institut anzuvertrauen, aber Sie waren ja nie zu bewegen, sich von ihr zu trennen.“

„Weil ich nicht wollte, daß sie mir und ihrer Heimath entfremdet werden sollte. Ich habe ihr hier in Brunneck Lehrer und Gouvernanten genug gehalten, und sie hat ja auch alles Mögliche gelernt.“

„Gewiß, wenigstens versteht sie es ausgezeichnet, Sie und ganz Brunneck zu tyrannisiren.“

„Predigen Sie nicht fortwährend, Lina!“ sagte Rüstow ärgerlich. „Immer finden Sie an Hedwig etwas zu tadeln. Bald ist sie Ihnen zu oberflächlich, bald nicht tief, nicht gefühlvoll genug. Mir ist sie recht so! Ich will ein frisches, lebensfrohes und lebenslustiges Kind haben, keine empfindsame Dame mit 'Gefühlen' und 'Nerven'.“

Bei den letzten Worten fiel ein etwas anzüglicher Blick auf Fräulein Lina, die ebenso anzüglich erwiderte:

„Ich dächte, dergleichen müßte man sich hier in Brunneck abgewöhnen – dafür sorgen Sie schon hinreichend.“

„Ja, Ihre Nerven sind Ihnen in den acht Jahren glücklich abhanden gekommen,“ versetzte Rüstow mit unverkennbarer Genugthuung. „Aber Gefühle haben Sie noch immer. Wie gefühlvoll waren Sie nicht vorgestern, als Hedwig Ihrem Schützlinge, dem Baron Senden, in aller Form einen Korb gab!“

In dem Gesichte des Fräuleins stieg ein leises Roth des Aergers auf, als sie antwortete:

„Nun, dafür war Hedwig um so gefühlloser. Sie lachte über die Werbung, die jedes andere junge Mädchen doch wenigstens ernst gestimmt haben würde. Der arme Senden! Er war in voller Verzweiflung.“

„Er wird sich trösten,“ meinte Rüstow; „denn erstens glaube ich, daß seine Leidenschaft wie seine Verzweiflung mehr meinem Brunneck als meiner Tochter gilt. Ihre Mitgift käme ihm gerade recht, sein tief verschuldetes Gut zu retten. Zweitens war es seine eigene Schuld, daß er sich einen Korb holte; ein Mann muß wissen, woran er ist, ehe er zu einer bestimmter Erklärung schreitet; und drittens hätte ich die Partie überhaupt nicht zugegeben, denn ich will nicht, daß Hedwig in die Aristokratie heirathet. Ich habe Erfahrungen genug gemacht in meiner eigenen Ehe. Von der ganzen vornehmen Gesellschaft, die uns hier in Brunneck mit ihren Besuchen plagt, bekommt Keiner das Mädchen, kein Einziger, sage ich Ihnen. Ich werde ihr schon selbst einen Mann aussuchen, wenn es Zeit ist.“

„Und Sie glauben wirklich, daß Hedwig darauf warten wird?“ fragte das Fräulein mit leisem Spotte. „Bisher ist ihr noch jeder Freier gleichgültig gewesen, wenn sie aber erst eine Neigung hat, so wird sie gar nicht darnach fragen, ob der Bräutigam der Aristokratie angehört oder nicht, ob sie dabei auch mit etwaigen Principien ihres Vaters in Widerspruch geräth – und Sie, Erich, werden sich dem Willen Ihres Lieblings fügen, wie gewöhnlich.“

„Lina, reizen Sie mich nicht!“ fuhr Rüstow auf. „Sie scheinen zu glauben, daß ich meiner Tochter gegenüber überhaupt gar keinen Willen habe.“

Er war aufgesprungen und sah drohend auf seine Cousine herab, aber diese blickte sehr furchtlos zu ihm auf.

„Nein, gar keinen!“ versetzte sie mit der größten Bestimmtheit, nahm ihre Rechnung zusammen und verließ das Zimmer.

Der Gutsherr war außer sich, vielleicht weil er die Wahrheit der Behauptung nicht ganz in Abrede stellen konnte. Er ging heftig im Zimmer auf und nieder und fuhr den Diener an, der mit einer Karte in der Hand eintrat.

„Was giebt es denn? Schon wieder ein Besuch?“ damit nahm er die Karte, hätte sie aber beinahe vor Ueberraschung wieder fallen lassen.

„Edmund Graf von Ettersberg! Was soll das heißen?“

„Der Herr Graf wünscht den Herrn Oberamtsrath persönlich zu sprechen,“ berichtete der Diener.

Rüstow sah wieder auf die Karte; da stand klar und deutlich der Name Ettersberg, und so unerklärlich die Sache auch sein mochte, es blieb doch nichts übrig, als den seltsamen Besuch eintreten zu lassen. Der Diener erhielt die Weisung dazu und gleich darauf erschien der junge Graf und begrüßte den ihm bisher gänzlich fremden Gutsherrn mit einer Unbefangenheit und Sicherheit, als sei dieser Besuch etwas ganz Selbstverständliches.

„Herr Oberamtsrath, Sie gestatten wohl, daß ich persönlich die Bekanntschaft meines Gutsnachbars mache? Ich hätte das längst gethan, aber meine Reisen und Studien haben mich meist von Ettersberg entfernt gehalten. Ich war immer nur auf kurze Zeit dort und bin jetzt erst im Stande, das Versäumte nachzuholen.“

Rüstow war im ersten Augenblick noch so verblüfft über diese Art, die bestehenden Verhältnisse zu ignoriren, daß er vorläufig noch gar nicht zum Aerger kam. Er brummte etwas, was wie eine Aufforderung klang, Platz zu nehmen. Edmund that das ganz zwanglos, und da sein Gegenüber keine Neigung zeigte, die Unterhaltung zu beginnen, so übernahm er selbst diese Mühe und begann von den vorzüglichen wirthschaftlichen Anlagen in Brunneck zu sprechen, die kennen zu lernen längst sein Wunsch gewesen sei.

Rüstow hatte inzwischen seinen Gast vom Kopf bis zu den Füßen gemustert und mußte wohl zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß dessen ganze Persönlichkeit mit den vorgeblichen landwirthschaftlichen Interessen sehr wenig übereinstimmte. Er unterbrach daher die Begeisterung Edmund's dafür mit der sehr rücksichtslosen Frage:

„Darf ich fragen, Herr Graf, was mir denn eigentlich die Ehre Ihres Besuches verschafft?“

Edmund sah, daß er seine Taktik ändern mußte. Mit bloßen Höflichkeitsphrasen war hier nicht durchzukommen, die vielgerühmte Grobheit des Oberamtsrathes grollte bereits in der Ferne, aber der junge Graf war vollständig darauf vorbereitet und entschlossen, das Feld zu behaupten.

„Sie scheinen mich in meiner Eigenschaft als Gutsnachbar nicht gelten lassen zu wollen,“ sagte er mit dem liebenswürdigsten Lächeln.

„Sie scheinen ganz zu vergessen, daß wir noch etwas Anderes sind als Nachbarn, nämlich Gegner vor Gericht,“ erwiderte Rüstow, der jetzt anfing, gereizt zu werden.

Edmund betrachtete angelegentlich die Reitpeitsche, die er in der Hand hielt.

„Ah, so! Sie meinen den langweiligen Proceß um Dornau?“

„Langweilig? Langwierig wollen Sie wohl sagen. Das scheint er allerdings zu werden. Sie kennen ja doch die Proceßacten so gut wie ich.“

„Nein, die kenne ich nicht,“ gestand Edmund mit der größten Unbefangenheit. „Ich weiß nur, daß es sich um das Testament meines Onkels handelt, das mir Dornau zuspricht und das von Ihnen angefochten wird. Proceßacten? Ja wohl, ich habe auch die Abschriften erhalten, ganze Bände voll, aber angesehen habe ich sie noch nicht.“

„Aber, Herr Graf, Sie führen ja doch den Proceß,“ rief Rüstow, dem diese sorglose Gleichgültigkeit unbegreiflich war.

„Bitte, mein Rechtsanwalt führt ihn,“ protestirte Edmund, „und er meint, ich sei verpflichtet, die Verfügung meines Onkels unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Ich selbst lege gar keinen so großen Werth auf den Besitz von Dornau.“

„Glauben Sie vielleicht, daß ich es thue?“ fragte Rüstow scharf. „Mein Brunneck wiegt sechs solcher Güter auf, und meine Tochter braucht wahrhaftig nach der Erbschaft ihres Großvaters nicht zu fragen.“

„Ja, weshalb streiten wir dann aber eigentlich? Wenn die Sache so steht, dann ließe sich ja wohl ein Vergleich schließen, der beide Theile –“

„Ich will keinen Vergleich,“ fuhr der Oberamtsrath ungestüm auf. „Für mich handelt es sich hier nicht um eine Erbschaft, sondern um ein Princip, und das werde ich durchfechten bis auf's Aeußerste. Wenn mein Schwiegervater die Enterbung ausgesprochen hätte – gut! Wir hatten ihm getrotzt – er hatte das Recht dazu. Ich bestreite es ihm nicht, aber daß er meine Ehe in einer so beleidigenden Weise ignorirte, als ob sie gar nicht rechtmäßig geschlossen wäre, daß er das Kind dieser Ehe nicht als seine Enkelin anerkennen wollte, das ist's, was ich ihm noch im Grabe nicht verzeihe und wogegen ich mein Recht geltend mache. Die Ehe soll existiren, gerade denen gegenüber, die sie ableugnen möchten; meine Tochter soll als legitime und alleinige Erbin ihres Großvaters anerkannt werden, und dann,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_335.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)