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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

auf und nimmt verschiedene große und kleinere Glasgefäße heraus. „Früher ließen wir unsere Glasgefäße frei stehen,“ sagt Dr. Eisig, „sie verschwanden wie durch Zauberei trotz aller Beaufsichtigung! Intelligent, aber diebisch – ist die Signatur dieses Volkes.“

„Wollen Sie Auftrieb?“ fragt Salvatore, indem er das Wort ausspricht, als werde es mit einem aspirirten H geschrieben. „Oceania in Menge!“ Die kleinen, hutförmigen Quallen mit ihren durchsichtigen Schirmen, ihren weißen Mägen, die in der Mitte des Schirmes aufgehängt sind, und den feinen, langen, zartgefärbten Fühlfäden tummeln sich in dem Glase umher. „Wenn nicht, so erhält sie Professor Metschnikoff.“

„Ach ja,“ sagt dieser, der eben in der Thür erscheint, „ich hoffe, sie führen sich besser auf, als die letzten, welche ich bekam.“

„Wie so, College?“

„Nun ja,“ sagt Metschnikoff, „ich will ja die Entwickelung der Eier studiren, und die letzten legten auch viele – aber sie waren alle nicht befruchtet. Ich glaube, die Kälte –“

„Na ob!“ seufzt Schmidtlein. „Haben Sie gesehen, welche Verheerungen die Kälte unter meinen Ziegenfischen (Balistes capriscus) angerichtet hat? Als Sie kamen, Professor Vogt, hatte ich noch einen ganzen Schwarm, und Sie freuten sich an ihrem lebhaften Wesen. Jetzt sterben sie wie die Fliegen, und in ein paar Tagen werden wir keinen einzigen mehr haben.“

Der Leiter des Aquariums schreitet gebeugten Hauptes der Treppe zu, um sich zu seinen Pfleglingen zu begeben. Er darf sich derselben rühmen. Ich habe die meisten See-Aquarien des Binnenlandes gesehen – keines kann sich, was Reichthum der Formen, Pracht der Farben, Auswahl der Exemplare betrifft, auch nur entfernt mit demjenigen der Station in Neapel messen. Die eigenthümlichen Lebensbedingungen sind einer jeden Art so gut abgelauscht und angepaßt, daß die meisten nicht nur ausdauern, sondern sich auch fortpflanzen und vervielfältigen. Die zartesten Thiere, welche bei der geringsten Berührung leiden und niemals transportirt werden können, sieht man hier fast alltäglich – wenn sie auch nur einige Tage in dem Aquarium leben, so ersetzt der nächste Fang den Verlust. Man kann Stunden und Tage in diesen Räumen verbringen und wird stets etwas Neues sehen und beobachten können. An der Farbenpracht der Becken aber, welche die lebenden Korallen oder Röhrenwürmer beherbergen, würde selbst die Palette eines Makart scheitern.

„Nichts für mich?“ ruft ein magerer, schwarzhaariger Mann, der aus einer Thür neben der meinigen in die Halle tritt. „Doch! Da sind ja einige Feuerwalzen (Pyrosoma)!“

„Geduld, lieber Müller,“ sagt Eisig, „erst wollen wir sie in unsere Gläser übergießen, und dann wollen wir doch sehen, ob nicht Professor Götte von Straßburg welche braucht, um Infusorien darauf zu suchen.“

„Er wird doch nicht gleich ein ganzes Dutzend nöthig haben?“ antwortet Müller, „und die Infusorien werden ebenso gut auf den weniger schönen Exemplaren zu finden sein. Ich annectire also die schönsten Zapfen – es werden immer welche verlangt, von allen Museen; sie leuchten freilich nicht in den Gläsern wie im Meere, aber zeigen muß man sie können, wenn von Leuchtthieren die Rede ist. Da sehe ich auch Phronima.“

„Paul Meyer wollte Junge haben. Sehen wir zu, ob welche in ihrem Tönnchen sind.“

Das so benannte Krebschen könnte auch der Turnerkrebs genannt werden. „Es ist,“ sagt Schmidtlein in seinem trefflichen „Leitfaden für das Aquarium der zoologischen Station in Neapel“, „ein kleines pelagisches Krebschen von glasartiger Durchsichtigkeit, das merkwürdiger Weise in jungen Pyrosomen lebt, welche es zu einer kleinen Tonne ausfrißt und sodann als ambulante Wohnung in Besitz nimmt. Indem es sich mit den vorderen Beinpaaren in der Tonne festklammert, steckt es den Hinterleib aus derselben hervor und schwimmt durch lebhafte Ruderschläge der Schwanzanhänge munter mit seinem Fäßchen umher. Auch als Kinderstube benutzt der kleine Diogenes seine Gallerttonne, indem nicht nur die Eier an der Innenwand derselben befestigt werden, sondern auch die schon ausgeschlüpften Jungen noch geraume Zeit ihren Aufenthalt darin nehmen.“ Das turnt in der That in und mit der Tonne, wie am Reck und Barren – und die Heiterkeit des Vorganges wird noch erhöht durch die überaus seltsame Gestalt des Krebschens mit seinen riesigen Augen, dem pferdeähnlichen Kopfe, den langen Klammerarmen und dem spindeldürren Leibe.

Müller verschwindet mit seiner Beute in sein Zimmer, dessen kleinstes Plätzchen mit Gläsern und Gefäßen aller Art überfüllt ist. Er besorgt die Conservirung der Thiere, welche theils zur Bildung einer typischen Localfauna, theils zum Verkauf an Museen und öffentliche oder Privatsammlungen bestimmt sind. Man staunt über die Fortschritte, welche diese Kunst in den letzten Jahren gemacht hat, wie man allmählich gelernt hat, die glasartige Durchsichtigkeit der pelagischen schwimmenden Seethiere ebenso zu erhalten, wie ihre zarte Farbentöne und die Umrisse ihres ganzen, vom Wasser aufgeschwemmten Körpers. Die zoologische Station wollte die Ausstellung von Fischereigegenständen beschicken, welche soeben in Berlin eröffnet worden ist; ich bin überzeugt, daß neben dem Modell der ganzen Anstalt, den Geräthen und Apparaten, welche der wissenschaftlichen Fischerei dienen, die Sammlung conservirter Seethiere, welche man für die Ausstellung vorbereitete, die Aufmerksamkeit aller Kenner im höchsten Grade fesseln wird.

Die Nachricht, daß manches Brauchbare gefischt worden sei, hat sich wellenartig weiter verbreitet. Dr. Berthold, der Botaniker der Station, sucht in den Kübeln nach Algen und Tangen im Zustande der Fructification; er versichert uns, daß das Mittelmeer, und speciell der Golf von Neapel, weit reicher an interessanten Formen sei, als man nach den bisherigen Forschungen hätte glauben können, und daß namentlich die Taucherei mit dem Scaphander (einer besondern Art von Schwimmkleid) für die Botaniker von unschätzbarem Werthe sei. So viel wir wissen, arbeiten gegenwärtig drei Algologen in der Station; sie erhalten ihr Material und theilen sich brüderlich darein.

„Achtung! Die Meyerei rückt an!“

Die so angekündigte Truppe besteht aus zwei Norddeutschen, die auf dem nördlichen Flügel des Gebäudes ihre Laboratorien haben. Dr. Paul Meyer nimmt die Tönnchen mit Phronima-Eiern in Empfang, die er mit Hülfe eines sinnreichen Apparates ausbrüten will, der die Eier beständig hin- und herschleudern soll, wie dies im Leben von den Krebsmüttern geschieht; er forscht außerdem nach kleinen Ziegenkrebsen (Caprelliden), über welche er eine Monographie ausarbeitet.

Fritz Meyer geht direct auf Professor Metschnikoff los, mit einigen Präparaten bewaffnet.

„Sie erinnern sich des Haliphysema, Herr Professor?“

„Ach ja!“ antwortet Metschnikoff, „es ist ja wohl sehr schwierig.“

„Ich habe die Kieselnadeln mit Flußsäure aufgelöst und nachher den Körper mit Carmin gefärbt; es geht recht gut; wollen Sie die Präparate sehen? Die Kerne sind deutlich. Vorher möchte ich aber noch einige zusammengesetzte Seescheiden (Ascidien) nehmen, vielleicht auch ein kleines Pyrosoma.“

Wir folgen Fritz Meyer in sein Zimmer, wo einige junge Gehülfen an der Arbeit sitzen. Er zeigt uns die mikroskopischen Präparate, mit deren Herstellung er betraut ist und die bald serienweise in den Handel kommen sollen. Die Anfragen um solche Präparate, von denen viele nur am Meeresstrande gefertigt werden können, häuften sich so, daß die Station einen besondern Betriebszweig dafür einrichten mußte.

Wir kehren in die Halle zurück und finden dort unsern Freund, Professor Dohrn, der aufmerksam einen kleinen Wurm betrachtet, welchen ihm Salvatore in einem Uhrglase überreicht hat.

„Ich habe solch Thier noch niemals gesehen,“ sagt Salvatore.

„Ich auch nicht,“ sagt Dohrn. „Was meine Sie, Doctor Lang?“ indem er sich an einen jungen, stämmigen Mann wendet, dessen ganze Figur den Schweizer erkennen läßt; „gehört die Bestie in Ihr Bereich?“

„Hm!“ antwortet dieser, „das Ding scheint einen Rüssel zu haben; sollte es eine Nemertine sein?“

„Woher dann die franzenartigen Falten am Hintertheile?“

„Aber ein Wurm ist es doch.“

„Wurm sagt gar nichts. Ein Ringelwurm? Was halten Sie davon, Eisig? Dann hätten Sie ein Recht darauf.“

„Danke! Ich bearbeite die Borstenwürmer. Das Ding hat keine Borsten.“

„Aber Etwas muß es doch sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_341.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)