Seite:Die Gartenlaube (1880) 380.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


einmal nicht ohne eine neue Extrasteuer gehen, so fordert auch diese kühnlich vom Lande, das ja der Steuern nicht ungewohnt ist! Fordert diese Lehrerinnensteuer jährlich bei Groschen und Mark ein von den Eltern, deren Töchter die Schule besuchen, gleichviel, ob eine öffentliche oder private, und bei Kronen und Doppelkronen von den Reichen, den Guts- und Schloßherren, die ihren Töchtern eine eigene Erzieherin halten, und Jeder wird die Mark und die Kronen gern bei Kleinem geben, wenn er weiß: diese Steuer kommt dereinst Deiner Lehrerin und Erzieherin zu Gute, wenn sie alt und krank und müde ist. Du sorgst durch diese kleine Abgabe treulich mit für den Feierabend ihres Lebens, an den die Arme jetzt nur voll heimlicher Angst denken kann.

Bis dahin aber, bis der Staat für diese seine wackersten und segensreichsten Mitarbeiterinnen etwas Ausreichendes thut, bis er auch ihnen Invalidenhäuser baut und Invalidenpensionen stiftet – bis dahin sind wir auf Selbsthülfe angewiesen.

So dachte auch ein Kreis von herzensmuthigen Lehrerinnen Rheinland-Westfalens, und sie schossen ihre Groschen und Mark zusammen und veranstalteten kleine Verloosungen zu einem Feierabendhause für die Invalidinnen der Schule – und waren hochbeglückt, als sie hierzu 3000 Mark beisammen hatten.

Das opferfreudige Streben rührte einige edle Männer und Frauen; sie bildeten vor Jahresfrist einen Verein: den müden Lehrerinnen ein Feierabendhaus bauen zu helfen – in dem freundlichen grünen braunschweigischen Städtchen Gandersheim am Harz, in der Nähe der Heilquellen des Herzog-Ludolf-Soolbades. Der Vorsitzende des Vereins ist Superintendent König zu Witten bei Bochum, der Cassirer Gottfried Bansi in Bielefeld. Die vierundzwanzig stimmberechtigten Vorstandsmitglieder gehören meistens dem Lehrerstande an.

Ordentliches Mitglied des Vereins wird jede deutsche Lehrerin und Erzieherin durch Einzahlung von fünf Mark und einen Jahresbeitrag von drei Mark. Außerordentliches Mitglied kann Jedermann werden durch einen Jahresbeitrag von wenigstens drei Mark, oder durch eine einmalige Gabe von wenigstens sechszig Mark.

Das Feierabendhaus für Lehrerinnen und Erzieherinnen wird den Namen „Wilhelm-Augusta-Stift“ erhalten, zur bleibenden Erinnerung an die goldene Hochzeit unseres Kaiserpaares – und in der Hoffnung, daß die Kaiserin Augusta das Protectorat übernehmen werde, sobald die Statuten von der Regierung bestätigt worden sind.

In diesem Wilhelm-Augusta-Stift kann jede deutsche Lehrerin und Erzieherin für ihren Lebens-Feierabend ein Ruheplätzchen finden, wenn sie ordentliches Mitglied des Vereins, 55 Jahre alt oder bei 40 Jahren dienstunfähig geworden ist und mindestens 15 Jahre unterrichtet hat. Auch ein Eintrittsgeld von 300 Mark und eine kleine Jahrespension werden anfangs gefordert werden müssen, bis die Vereins-Mittel es erlauben, darauf zu verzichten. Jede Pensionärin erhält ein freundliches Zimmer nebst Schlafcabinet, freie Verpflegung und freie Curkosten und Bäder im Herzog-Ludolfs-Bade.

Das Vereinsvermögen wuchs mit der Zeit auf 12,000 Mark an. Vor einigen Wochen versuchte auch ich, angeregt durch ein eifriges Vorstandsmitglied, zum Bau mein Sandkörnlein beizutragen. Ich schrieb, anknüpfend an die berühmte alte Gandersheimer Nonne und Dichterin Hroswitha, die vor neunhundert Jahren lebte und sich selber „Clamor validus Gandershemiensis“ nannte, einen Aufruf zum Bau eines Feierabendhauses: „Die mächtige Stimme von Gandersheim“. Diese Stimme ist, wenn auch nur von wenigen großen Zeitungen weiter getragen, nicht wirkungslos verhallt. Dafür zeugen die Hunderte von Zuschriften und die reichen Gaben, welche mir in kaum drei Sammelwochen von allen Seiten zuflossen. Es sind über 1600 Mark, darunter viele Jahresbeiträge, meistens gesammelt in dem kleinen Kreise, der sich um die drei Städte Magdeburg-Leipzig-Halle schließt. Aus unseren großen reichen Städten: Hamburg, Bremen, Köln, Hannover, Braunschweig, Dresden, Breslau, Danzig, Königsberg, Stettin, Stuttgart, München ist bis jetzt kein Pfennig gesandt, weil dort meine Bitte für unser Feierabendhaus noch nicht bekannt geworden.

Um so dankbarer müssen wir jetzt der „Gartenlaube“ sein, die freundlich bereit ist, diesen neuen Aufruf hinaus zu tragen in alle deutsche Lande – und über die Meere in ferne Länder, so weit die deutsche Zunge klingt.[1]

Dieser Erfolg erst giebt mir die frohe Zuversicht: wir werden schon im nächsten Frühjahr in Gandersheim, während die Stadt das tausendjährige Jubiläum der Stiftung der alten Abtei durch Herzog Ludolf feiert, den Grundstein zu unserem Feierabendhause legen können – und wir werden nicht in den Fundamenten stecken bleiben. Die Leser der „Gartenlaube“ haben ja schon oft bewiesen, daß sie das Herz auf dem rechten Flecke haben, bauen zu helfen, wo es ein großes, edles, deutsches Nationalwerk gilt.

Und Jeder von Euch, liebe Leser, kann redlich bauen helfen, wenn er nur redlich will. Der Reiche giebt Goldkronen, Bauholz, Steine – der Arme trägt ein wenig Sand herbei – in Briefmarken. In ähnlicher Weise habe ich auf der kleinen Halbinsel Mönchgut bauen sehen. Das ganze Dorf, Jung und Alt half am Bau. Unten wurde gemauert und gezimmert – und oben wurde schon das Strohdach gelegt. Frauen und Kinder schleppten Sand, Steine, Wasser und Stroh herbei – Jeder nach seinen Kräften und seinem Vermögen. Laßt uns an diesen weltverschollenen, armen Insulanern ein Beispiel nehmen – und Ihr werdet selber Eure Lust daran haben, wie wunderbar schnell der Bau uns unter den Händen aufwächst.

Damit genug für heute – und Gott befohlen! Ich hoffe, wir begrüßen uns an dieser Stelle noch ein oder das andere Mal als gute Freunde. Zunächst habt Ihr das Wort – in klingenden Briefen und Postanweisungen. Die Adresse ist die unterzeichnete:

Blankenburg am Harz.

Arnold Wellmer.




„Decoration-day“.[2] „Der Yankee hat kein Gefühl für etwas Höheres; ihm gilt sein ‚time is money‘ mehr als Alles auf der Welt“ – wie oft hört man diesen Ausspruch, und mit wie stolzer Miene schlägt der Pharisäer an seine Brust und ruft in eitler Selbstüberhebung: „Herr, ich danke Dir, daß ich nicht bin, wie jene nach Reichthümern jagenden Amerikaner!“

Ob aber der Yankee mit seiner kühlen Außenseite nicht ein tieferes Gefühl in sich birgt, als Jener, der sein Herz offen zur Schau trägt – darüber ist schwer zu rechten. Wahr aber bleibt es, daß in Amerika Wohlthun und Nächstenliebe sich in köstlichster Weise entfaltet haben und oftmals durch einen sinnigen, poetischen Hauch verklärt werden; und ebenso steht es um die nationale Pietät. „Decoration-day“, 30. Mai, liefert dafür den treffendsten Beweis.

Als der Sturm des Krieges 1865 verweht war, als die Brüder der Union sich über rauchenden Trümmern, blutenden Leichen versöhnt die Hände reichten, als dem Norden Amerikas das große Werk gelungen war, die Neger aus ihren Sclavenfesseln zu lösen, da wurden von hoch und Niedrig, von Arm und Reich Geld und Lebensmittel herbeigetragen, um die Noth der Hinterbliebenen der im Kriege Gefallenen zu lindern; als aber für des Leibes Unterhalt genügend gesorgt war, da gedachte man der Todten. –

Denkmäler setzt jede Nation; der einzelnen Schlachttage gedenkt mit stiller Wehmuth jedes Regiment und legt seine Kränze am Monument der gefallenen Cameraden nieder – aber etwas hat die Union vor allen Ländern voraus: die gemeinschaftliche Todtenfeier, die Ausschmückung der Gräber aller Gefallenen, ob Freund – ob Feind, an einem und demselben Tage.

Am 30. Mai kommen die Regimenter zusammen; da ziehen sie aus, hinter sich Wagen, die mit Blumen überladen sind. Bei dumpfem Trommelklang ziehen sie hin zu den Kirchhöfen; dort, unter dem Gebet der Geistlichen, schmücken die Soldaten die Gräber derjenigen, die im Kampf geblieben sind, legen die Blumenspenden nieder und pflanzen kleine Fahnen auf die Hügel.

Es gewährt einen wunderbar rührenden Anblick, wenn man z. B. in Albany, der Hauptstadt des Staates New-York, am „Decoration-day“, auf dem Kirchhof steht. Dort auf einem Plateau liegen wohl weit über hundert Gräber beisammen, in welchen Soldaten gebettet sind. Auf hohem Postament, in Lebensgröße, auf sein Gewehr gestützt, steht ein aus grauem Stein gemeißelter Soldat. Er hält Wache über all den stummen Schläfern dort unten. Das Käppi sitzt fest auf seinem Haupte; der Mantel scheint im Winde sich zu bewegen, und der schwermüthige Ausdruck, mit dem er hinüber nach einem klaren Teiche schaut, der die Grenze zwischen den Soldatengräbern und den Ruhestätten der Bürger bildet, ist ein so naturwahrer, daß man im Augenblicke denkt, der Mann lebe und empfinde für alle die Todten das Rührende der militärischen Trauerfeier, welche da unter seinem Postamente stattfindet.

Aber Winterfeld's Wort:

„Da geht's zurück mit Sang und Klang;
Soldatenkummer währt nicht lang –“

bewahrheitet sich zuletzt auch hier. Wenn die Ceremonie vorüber ist und während die Hunderte von Besuchern herbeiströmen, um nun auch ihre Blumenspenden niederzulegen, ordnen sich die Regimenter; der Tambourmajor mit seiner hohen Bärenmütze wirft seinen Stab in die Luft und fängt ihn mit sicherer Hand wieder auf. Die Trommeln wirbeln; mit lustiger Musik geht es zurück in die Garnison. Hinter jedem Bataillon schreiten zwei Neger mit einem Eimer voll Eiswasser, und ein dritter mit seinem Wichsapparat, während an der Spitze sich die höheren Officiere stolz in ihren Sätteln wiegen und die goldenen Litzen mit dem rothen Futter der kurzen zurückgeknöpften Mäntel im Glanz der Sonne funkeln. Ein kurzer Vorbeimarsch bei dem Gouverneur des Staates oder dessen Stellvertreter, und Alles geht zufrieden heim, mit dem Bewußtsein, den Todten den ihnen schuldigen Tribut gebracht zu haben.

Die Blumen auf den Gräbern duften; die Fähnchen auf den Hügeln bewegen sich leise im Winde. „Decoration-day“, ist vorüber. Schlaft in Frieden, Ihr tapferen Krieger unter dem grünen Rasen!

Clara Hance.




Auf der Lauer. (Mit Abbildung S. 369.) Wenn unsere Leser den verborgenen Menschen, von dessen dunkler, an die Wand gedrückter Figur nur das herwärts spähende Gesicht ein wenig erkennbar ist, mit glücklichem Auge entdecken und nun die beiden Gestalten näher betrachten, welche anscheinend nicht die geringste Lust zum Weitervorrücken haben, sondern auf ihrem Posten standhaft beharren werden, bis der Feind „durch diese hohle Gasse“ hervorbricht – dann werden sie mit uns in der Vermuthung übereinstimmen, daß es nicht leicht ist, zu sagen, welchen von den drei Helden die größere Angst schüttelt. In der Gewißheit, daß allen Dreien in ihrer Situation gleich schlecht zu Muthe ist, liegt die Komik unseres Bildchens.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Unsere Leser erinnern sich wohl noch unseres früheren Aufrufes für ein ähnliches Lehrerinnen-Asyl in Steglitz bei Berlin (Nr. 51, Jahrgang 1878). Wenn wir hiermit auch der warmen Befürwortung einer zweiten ähnlichen Stiftung Raum gewähren, so geschieht dies in der Ueberzeugung, daß für die große Anzahl hülfsbedürftiger und im Alter verlassener Lehrerinnen in Deutschland mehr als ein Feierabendhaus wünschenswerth ist, und weil wir keine Gelegenheit versäumen möchten, um der Sache an sich, nämlich der Altersversorgung an ihrem Lebensabend alleinstehender Lehrerinnen und Erzieherinnen, in allerdringendster Weise das Wort zu reden.
    D. Red.
  2. Der 30. Mai wird in Amerika „Decoration-day“, genannt, weil an diesem Tage die Soldatengräber geschmückt werden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_380.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)