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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 24.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Du hast uns eine eigenthümliche Ueberraschung bereitet,“ wandte sich Baron Heideck an Oswald. „Vor allen Dingen mir, der ich schon im Begriffe stand, Schritte für Deine nächste Zukunft zu thun. Was sind das für unsinnige Ideen, mit denen Du auf einmal zum Vorschein kommst! Die Militärcarrière hast Du verweigert; jetzt machst Du es ebenso mit der Staatscarrière, und gerade Dir – in Deiner abhängigen Lebensstellung – ist ein solches Schwanken zwischen allen möglichen Laufbahnen am wenigsten gestattet.“

„Ich selbst habe wohl nie geschwankt; denn ich habe nie eine eigene Wahl gehabt,“ entgegnete Oswald ruhig. „Ich wurde für den Staatsdienst bestimmt, wie anfangs für die Armee, ohne daß meine Neigung dabei befragt wurde.“

„Und warum äußertest Du nie ein Wort darüber, daß es Dir schließlich belieben würde, Dich auch dieser Bestimmung zu widersetzen?“ fragte die Gräfin.

„Das ist leicht zu errathen,“ fiel Heideck ein. „Er scheute einen längeren Kampf mit Dir und mir, in dem er doch wohl zu unterliegen fürchtete, und dachte durch Ueberraschung unseren Widerstand zu brechen. Aber da bist Du im Irrthum, Oswald. Meine Schwester hat Dir bereits erklärt, daß wir den Namen und Rang der Grafen von Ettersberg für unvereinbar mit einer Advocatenpraxis halten, und ich wiederhole Dir, daß Du dazu nie unsere Einwilligung erhalten wirst.“

„Das thut mir leid,“ war die feste Antwort. „Dann bin ich eben gezwungen, den Weg, den ich mir vorgezeichnet habe, ohne die Einwilligung meiner Verwandten zu gehen.“

Die Gräfin wollte auffahren, aber ihr Bruder winkte beschwichtigend mit der Hand.

„Laß ihn, Constanze! Es wird sich zeigen, ob er das kann. Ich begreife Dich wirklich nicht, Oswald,“ fuhr er mit vernichtendem Spotte fort. „Du bist doch lange genug auf der Universität und auf Reisen gewesen, um wenigstens einigermaßen die Anforderungen der Welt zu kennen. Hast Du Dir denn nie gesagt, daß Du ohne Existenzmittel weder Dein Examen in der Residenz machen, noch Jahre lang leben kannst, bis sich irgend ein Einkommen für Dich findet, und daß Dir diese Mittel entzogen werden, wenn Du es bis zum Bruche mit Deiner Familie treibst? Du rechnest wahrscheinlich auf Edmund's Gutmüthigkeit und seine Zuneigung zu Dir, in diesem Falle aber wird meine Schwester dafür sorgen, daß er Deinen Eigenwillen nicht unterstützt.“

„Ich rechne auf Niemand als auf mich selbst,“ erklärte Oswald. „Edmund weiß es bereits, daß ich seine Hülfe nie in Anspruch nehmen werde.“

„Nun, dann erlaubst Du vielleicht mir, als Deinem ehemaligen Vormund, die Frage, wie Du Dir eigentlich die nächste Zukunft denkst,“ sagte Heideck in dem früheren hohnvollen Ton.

„Ich gehe zunächst nach der Residenz zu dem Justizrath Braun. Der Name ist Ihnen vermuthlich bekannt?“

„Allerdings. Er hat einen bedeutenden Ruf als Vertheidiger.“

„Er war der Rechtsfreund meines verstorbenen Vaters und verkehrte damals viel in unserem Hause. Ich habe ihn jedesmal aufgesucht, wenn ich mit Edmund in der Residenz war, und er hat die alte Freundschaft für den Vater auf den Sohn übertragen. Schon während meiner Universitätszeit gab er mir die nöthigen Winke, wie ich meine Studien für die schon damals erwählte Laufbahn einzurichten hatte, und seitdem sind wir regelmäßig in Verkehr geblieben. Jetzt wünscht er einen Gehülfen und späteren Nachfolger in seiner allzu großen Praxis und hält mir diese Stellung bis nach vollendetem Examen offen. Für die Zeit des Examens selbst hat er mir den Aufenthalt in seinem Hause angeboten, und ich habe das dankend angenommen.“

Oswald setzte das Alles mit unerschütterlicher Ruhe auseinander, um so erregter aber waren seine beiden Zuhörer, denen das im höchste Grade unerwartet kam. Sie hatten geglaubt, mit einem bloßen Machtworte die „unsinnigen Ideen“ des widerspänstigen Neffen zu brechen, der durch seine Abhängigkeit ja vollständig in ihren Händen war, und stießen nun auf einmal auf einen fest und sicher gegründeten Lebensplan, in dem alles bestimmt, alles vorhergesehen war, und der den jungen Mann vollständig ihrer Macht entzog. Die unliebsame Ueberraschung verrieth sich deutlich in dem Blicke, den sie miteinander wechselten.

„Das sind ja merkwürdige Neuigkeiten,“ brach die Gräfin aus, die ihre Gereiztheit nicht länger zu beherrschen vermochte. „Du hast also hinter unserem Rücken mit einem Fremden ein förmliches Complot gegen uns geschmiedet? Und dieses Complot hat schon seit Jahren bestanden.“

„Und zu welchem Zwecke!“ ergänzte Heideck. „Während Dir in der Armee wie im Staatsdienst Dein altadliger Name die Carrière sichert, stößt Du das Alles zurück um einer Advocatenpraxis willen. Ich glaubte denn doch, daß Dein Ehrgeiz einen höheren Flug nähme. Hast Du wirklich eine so unglaubliche Schwärmerei für diesen Stand?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_381.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)