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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Nebencapellen des Hochaltars erzeugen die bläulich übertünchten Wände der Wölbung einen zarten Gegensatz zu dem gelblichen Dämmerschein, welcher die ganze Kirche füllt.

Ein scharfer Theergeruch beherrscht die Luft des großen Tempels. Kein Prunk auf dem einfachen Altartische, kein Kronleuchter, keine Sammetdecken, keine goldenen Gefäße, keine Edelsteine, keine Bank, kein Betschemel in den weiten Räumen! Nichts als die nackten, kahlen Wände in großartiger Einfachheit; nur im Mittelschiffe hat man die lebensgroßen, Raphael roh nachgebildeten zwölf Apostelbilder al fresco an den Pfeilern nicht übertüncht.

Was ist hier vorgegangen? Wer hat es vermocht, dem Tode das Feld streitig zu machen, auf dem seit Jahrhunderten Jeder hinsiechte, der es wagte, darauf auch nur vorübergehend sein Lager aufzuschlagen? Die Lösung dieser großen Aufgabe hat die Willenskraft und Selbstverleugnung eigenartiger Menschen gereizt: weit aus Frankreich hergewanderte Mönche, welche sich das Gelübde ewigen Schweigens auferlegen und dabei rüstig den Spaten führen, unternahmen es auf eigene Faust, die Urbarmachung der römischen Campagna zu versuchen. Sie brachten dazu einen Bundesgenossen mit, in den sie ein unbegrenztes Vertrauen setzten – den Eucalyptusbaum[1].

An die Geschichte dieses Bundesgenossen im Thale der Tre Fontane knüpft sich eine wahre Epopöe. Die Streiter in der weißen Kutte mit dem schwarzen Ueberwurf waren ihrer sechsundzwanzig, rüstig und jung, als sie 1868 voller Zuversicht und männlichen Trotzes die verrufene Abtei bezogen. Ihre Ordensregel verbot ihnen die Wohlthat des menschlichen Wortes; nicht einmal ihr Leid durften sich die Trappisten unter einander klagen. Man führte den Spaten, den Pflug; man pflanzte und pflegte den Eucalyptus; man baute Wein und Oel. Aber auch eine andere Wohlthat mußte man hier in Folge des Fiebers entbehren lernen: die Wohlthat des Schlafens nach dem mühsamen Tagewerke.

Oft genug durchzitterte plötzliches Frösteln die müden Glieder; glühende Hitze überströmte dann das Antlitz, und ehe die Sonne das nächste Mal zur Neige ging, hatte nicht selten das Fieber seinen Tribut gefordert. Die Ueberlebenden schritten umher wie Skelete. Im Laufe weniger Jahre waren achtzehn von den Einwanderern dahingestorben; fünfunddreißig, welche in die gelichteten Reihen der Ordensbrüder nach und nach einrückten, mußten das Kloster wieder verlassen, weil sie dem Fieber nicht zu widerstehen vermochten.

Seitdem sind zwölf Jahre verflossen; das Papstthum hat seine weltliche Macht verloren; die italienische Regierung löste 1870 die Klöster auf und confiscirte ihre Güter, die dann unter den Hammer kamen. Auf die vierhundert Hektare der Abtei der Tre Fontane speculirte Niemand. Der rasche Umschwung in den politischen Verhältnissen Roms konnte die als Körperschaften aufgelösten Trappisten nicht ermuthigen, ihre Thätigkeit auszudehnen angesichts der Möglichkeit, eines schönen Tages vertrieben zu werden. Das war eine schlimme Zeit für die rüstigen, opferwilligen Ackerbauer im Mönchsrocke. Erst allmählich wagte man es, die Stimmung in Rom auszuforschen, und da man als religiöse Corporation keine juridische Person mehr war und als solche keine Contracte mehr schließen konnte, so that man sich zusammen zu einer „Ackerbaugesellschaft“ und pachtete als solche von der Regierung vorläufig nur sechsunddreißig Hektare, für die sich kein Bewerber, selbst nicht zu Spottpreisen, gefunden hatte. Mit rastlosem Fleiße wurden neue Pflanzungen angelegt, und die Riesenschnelle, mit der sich der Eucalyptusbaum entwickelt, begünstigte das Unternehmen. Im Vorhofe des Klosters, den die Mönche zu einem lieblichen Garten umschufen, überragt er bereits die Dächer der Kirchen. Die Sterblichkeit im Kloster hat fast ganz aufgehört. Seit zwei Jahren starb keiner der Insassen mehr am Fieber, obgleich dieselben ein Leben voll Entbehrung und Mühsal führen.

Achtzig verschiedene Sorten von Eucalyptus weist die Pflanzung auf, von denen die meisten auch der Winterkälte widerstanden haben. Welche der vielen Arten die Fieberluft am wirksamsten absorbirt, ist noch nicht erwiesen; auch die Heilkraft des Elixirs, das die Mönche aus den Blättern und den Rinden gewinnen, scheint nicht festzustehen. Sie selbst machen allerdings täglich Gebrauch davon, als Präservativmittel gegen das Fieber, und wer die Leute vor einigen Jahren im Anfange ihrer Thätigkeit in Tre Fontane gesehen hat, wie sie sich elend und leichenfarben durch’s Leben schleppten, der erkennt sie heute nicht wieder; so bedeutend hat sich ihr Aussehen gebessert. Die römischen Aerzte zucken dagegen die Achseln, wenn die Rede auf das Eucalyptuselixir als Heilmittel gegen das Fieber kommt. Mehr als die Eigenschaft, die Fieberluft aufzusaugen und unschädlich zu machen, erkennen sie dem Eucalyptus nicht zu. Die Hoffnung der Trappisten, einst das theuere Chinin durch den Extract aus Eucalyptus verdrängen zu können und auf diese Weise ein wohlfeiles Heilmittel gegen das Fieber für die arme Landbevölkerung herzustellen, gilt unter den Aerzten lediglich als frommer Wunsch.

Die Regierung hat der „Ackerbaugesellschaft“ jetzt vierhundert Hektare in Erbpacht gegeben unter der Bedingung, sie urbar zu machen und mit Eucalyptus zu bepflanzen.

Das hat die Thätigkeit der Mönche verdreifacht; und wem sie es gestatten, einen Blick in das Innere des Klosters und auf seine Liegenschaften, zu denen Frauen keinen Zutritt haben, zu werfen, der ist erstaunt über die landwirthschaftliche Thätigkeit, welche sich dort im Stillen entwickelt hat. Große Gemüsegärten reihen sich an Weinberge, die sich an den Hügeln hinaufziehen; viele Tausende von Blumentöpfen mit jungen Eucalyptuspflanzen füllen die innern Höfe und Wege des Besitzthums. Alle Sorten von Fruchtbäumen sind vertreten; überall ragen dazwischen, je nach den Bedürfnissen des Feldes, hohe oder niedere Eucalyptus hervor. Ein Saal des Klosters ist umgestaltet zu einem vortrefflich gehaltenen Kuhstall für fünfzig Kühe; auf der nahen Weide fehlt es nicht an Ziegen und Schafen, noch an Pferden und Eseln, welche die Erzeugnisse des Jahrhunderte lang als unfruchtbar verrufenen Bodens theils auf dem Rücken, theils auf zweiräderigen Wägelchen nach Rom zu Markt bringen.

Die meisten der Mönche in Tre Fontane sind Franzosen, zu denen sich neuerdings einige Piemontesen und drei Deutsche gesellten. Italiener findet man überhaupt fast nie in den Trappistenklöstern, weil sie nur selten die harte Probezeit bestehen. Die Ordensregeln sind streng und gebieten eine seltene Selbstverleugnung. Kein Klosterbruder kennt den Namen und die Familienabkunft des andern. Arbeit und Schweigsamkeit sind für jeden Mönch eine erste Pflicht; nur der Prior ist berechtigt zu sprechen.

Um zwei Uhr Morgens läutet die Glocke zur Frühmesse und rüttelt die Schläfer wach auf dem harten Lager des großen Dormitoriums, wo die Trappisten gemeinsam auf einer langen hölzernen Pritsche ohne jegliches Kissen ihre Nachtruhe halten. Niemals entkleiden sie sich; keiner hat eine Zelle für sich; kein Sterbenswörtchen wird jemals laut in dem großen Saale, weder bei Tag noch bei Nacht. Nach einem kurzen Aufenthalt im Chor geht es, sobald der Tag graut, zur Feldarbeit, wobei etwa vierzig Laienbrüder den Mönchen hülfreiche Hand leisten. Erst um sechs Uhr Morgens wird der Frühimbiß geboten. Nie giebt es dabei einen Schnitt Fleisch, ein Huhn oder ein Ei. Die Trappisten sind strenge Vegetarianer; ein Glas kräftigen Landweines ersetzt alle übrigen Genüsse. Die kirchlichen Uebungen und Ceremonien sind auf das Nothwendigste beschränkt, um der Arbeit die kostbare Zeit nicht zu rauben. Außer den Ackerbaustudien, welche mit Eifer und Umsicht betrieben werden, hat sonst die Wissenschaft keinen Zutritt in das Kloster der Tre Fontane. Bis gegen Mittag sieht man die Mönche in großen breiträndrigen Strohhüten der Sonne trotzen; jeder hat sein Amt, der eine als Gärtner, der andere als Maurer, der fleißig Hand anlegt bei der Errichtung der Wirthschaftsgebäude, welche durch die zehnfache Vergrößerung der Pflanzung jetzt nothwendig werden. Ein frugales Mittagsmahl, eine kurze Nachmittagsruhe, eine noch kürzere Andacht in der Basilika unterbrechen die harte Arbeit etwa auf zwei Stunden bis zum Ave Maria, welches die stummen bärtigen Figuren wieder im Refectorium versammelt.

  1. Eine ausführliche Mittheilung über Gestalt und Charakter, wie über die Verpflanzungen und wunderbaren Wirkungen dieses riesigen australischen Gummibaumes ist von der „Gartenlaube“ bereits in Nr. 5 des Jahrgangs 1876 aus der geschätzten Feder ihres naturwissenschaftlichen Berichterstatters gegeben worden. Es gereicht uns zur Freude, in den obigen Schilderungen aus Rom die Angaben jenes früheren Artikels an einem so hochinteressanten Beispiel bis auf den letzten Punkt bestätigt zu sehen. Bedauerlich ist nur, daß man noch nicht allgemeiner Sorge getragen hat, das große Wasserbedürfniß dieses majestätischen Baumes zur Austrocknung morastigen Bodens und die aromatischen Ausdünstungen seiner Blätter zur Verbesserung der verheerenden Sumpfluft zu benutzen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_387.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)