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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Die Theilnehmer, auf deren Kosten der Bau vor sich gegangen war, nannten sich: „Gesellschaft der Dampfschiffe amerikanischen Systems“.

Mit großem Jubel wurde der Koloß auf seiner ersten Fahrt von den Wolga-Anwohnern begrüßt; er trug seinem Erbauer von Seiten der handeltreibenden sowie der technischen Welt die allgemeinste Verehrung ein, und sein Name wird noch lange im Volksmunde leben.

Bald nach dem Stapellaufe des ersten Schiffes ging man, nachdem man sich von der Vorzüglichkeit desselben überzeugt hatte, daran, ein zweites ähnliches zu erbauen. So entstanden nach und nach bis zum Jahre 1875 fünf solcher Schiffe, und zwar „Colorado“ (früher „Pereworod“), „Mississippi“, „Missouri“, „Benardacki“ und „Niagara“, deren ungeheuere Einnahmen die Gesellschaft für ihr gewagtes Unternehmen reichlich entschädigten. Der Erbauer der Schiffe, Herr Seveke, übernahm dieselben in Pacht und ist auch im Augenblick noch Pächter derselben.

Versuchen wir es, uns ein Bild von der Größe und der Einrichtung dieser Kolosse zu machen!

Der eigentliche Schiffskörper hat eine Länge von fünfundachtzig, eine Breite von zwölf Meter. Ueber demselben erhebt sich der kolossale dreistöckige Oberbau, der jedoch eine Breite von einundzwanzig Meter hat, während seine Länge um acht bis neun Meter geringer, als die des unteren Schiffskörpers ist. Die Gesammthöhe des Schiffes beträgt achtzehn Meter. Der untere Schiffskörper, der zur Aufnahme der Frachten bestimmt ist, enthält außerdem die sechs großen Dampfkessel. Ueber diesen, in der unteren Etage des Oberbaues, befinden sich die zwei resp. vier riesenhaften Dampfmaschinen, deren Leistungsfähigkeit 450 bis 500 Pferdekraft beträgt und welche Schaufelräder von sieben bis acht Meter Durchmesser bewegen. In derselben Etage mit den Dampfmaschinen liegen am Vorder- und Hintertheile große Räumlichkeiten, die besonders zur Aufnahme sehr großer Frachtstücke, auch von Wagen, Pferden etc. bestimmt sind. Jeder dieser beiden Räume enthält zugleich eine Dampfwinde, vermittelst deren das Ein- und Ausladen von den großen unteren Räumen schnell und bequem bewerkstelligt werden kann. Endlich birgt diese Etage die vielen Cabinen für die Passagiere vierter Classe.

Zwei sehr breite Treppen führen in das obere Stockwerk, in welchem sich die Kajüten erster, zweiter und dritter Classe (bis 300!) nebst luxuriös ausgestatteten Speise- und Gesellschaftssalons befinden. Um diese ganze Etage läuft ein drittehalb Meter breiter Balkonvorbau.

Als drittes Stockwerk mag man das mächtige, mit einem Geländer umgebene Verdeck über dem Ganzen betrachten; es ist fast immer von Spaziergängern gefüllt, welche die freie Aussicht auf die Wolga und ihre Umgebung genießen. Hier oben befindet sich auch das Steuerhäuschen, von dem aus der Capitain seine Befehle nach allen Richtungen auf dem Schiffe mit Hilfe von Sprachrohren ertheilen kann. Die beiden Steuerräder selbst werden von vier Steuerleuten gehandhabt, welche bei heftigen Stürmen oder sehr scharfen Biegungen noch durch Hülfsmannschaften verstärkt werden müssen. Ueber die obere Fläche ragen noch die beiden kolossalen Schornsteine von fast 2 Meter Durchmesser empor, die den Eindruck kleiner schwarzer Thürme machen.

Alle Einrichtungen, welche aus diesen Schiffen den Passagieren geboten werden, sind so bequem wie sauber, für die höheren Kajüten von äußerster Eleganz. Eine reichhaltige Bibliothek aus russischen, deutschen, französischen und englischen Büchern, eine kleine Bade-Anstalt mit Douchen etc., Wäscherei und noch andere Bequemlichkeiten stehen jederzeit zur Verfügung. Eine Besonderheit dieser Schiffe ist, daß sie nicht an allen, sondern nur den größeren Stationen anlegen und hier einige Stunden liegen bleiben, sodaß es den Mitreisenden vergönnt ist, die betreffenden Orte, sei es zum Vergnügen, sei es Geschäfte halber, zu besuchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_393.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)