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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Ein ferner Angstschrei scholl von allem Land,
Ein wilder Schrei, wie aus Verlorner Munde;
Und um mich rief’s nach Ketten und nach Brand,
Nach neuen Schlägen in die alte Wunde –
Und wie ich qualvoll vor dem Räthsel stand,
Da – – wacht’ ich auf; und tief von Herzensgrunde
Sog ich den Athem, noch des Spuks verwundert. –
Es war ein Traum – – im neunzehnten Jahrhundert!

O beßre Zeit – gelobt, gesegnet sei,
Und, heil’ge Duldung, du auf deutscher Erde!
Gesetz und Vaterland, die hehre Zwei
Faßt alle Bürger fest zu Einer Heerde;
Jedweder ringt, weß Glaubens er auch sei,
In seiner Weise, daß er glücklich werde,
Und jene Schmach barbarischer Gerichte
Versiegelt uns der Fluch der Weltgeschichte.

Victor Blüthgen.


Die internationale Fischerei-Ausstellung in Berlin.
Von Gustav Schubert.
Mit Illustrationen von H. Lüders.
(Schluß.)

Daß unsere deutschen Flüsse auch noch andere Schätze als Fische enthalten können, zeigt die Collectiv-Ausstellung des königlich sächsischen Perlfischereiregals und der aus ihm erwachsenen Zweige, vermittelt durch Professor Nitsche-Tharand. Die Flußperlmuschel findet sich in dem oberen Flußgebiet der Donau und wird außerdem besonders gepflegt im Königreich Sachsen, wo sie fast die ganze weiße Elster, bis Elsterberg abwärts bewohnt. Die Frage nach der Entstehung der Perle, des ältesten und geschätztesten Schmuckgegenstandes aller Völker, beschäftigte die Menschen schon in den Urzeiten. Nach der altindischen Sage entglitten dem Himmel in milden, lauen Sommernächten zarte Thautropfen, um in dem Busen der klaffenden Muschel durch wärmende Strahlen der Sonne zu Perlen heranzureifen. Die neuere Naturwissenschaft konnte indeß von dieser poetischen Erklärung keinen Gebrauch machen. Als Perle bezeichnet man jetzt jede frei innerhalb der Weichtheile der Perlenmuschel befindliche Ablagerung von Schalensubstanz der Muschel, deren Kern, wie die sächsische Ausstellung in vorzüglichen Präparaten und Durchschnitten zeigt, irgend ein in die Muschel eingedrungener fremder Körper (Sandkörner, Eier von Parasiten, Fadenalgen etc.) ist. Das Thier sucht den störenden Gegenstand in seinem Innern unschädlich zu machen und überzieht ihn zu diesem Zweck mit der kostbaren Perlmuttersubstanz (kohlensaurem Kalk), das heißt macht ihn zur Perle, die mithin als einem Acte der Nothwehr entsprungen zu denken ist.

Auf Grund dieser Erkenntniß hat man versucht, die Muscheln künstlich zur Erzeugung von Perlen zu veranlassen, doch sind mit dieser Methode im Elstergebiet keine Resultate erzielt worden. Daß indeß die Möglichkeit eines solchen Zwanges vorhanden ist, lehrt die Thatsache, daß der Naturforscher Linné ein Verfahren kannte, es aber leider als sein Geheimniß behielt.

In nutzbringender Weise verstehen es die Chinesen, künstliche Perlen zu erzeugen, und wie weit das Weichthier in der Thätigkeit der Absonderung jenes glänzenden Materials getrieben werden kann, zeigen einige Muscheln in der japanischen Abtheilung. Diese enthalten eine Anzahl reliefartiger, auf der Schale festgewachsener Götzenbilder (aus Blei), die von dem Thier mit einer feinen Schicht überzogen worden sind. Ja, in der von Berliner Hofjuwelieren veranstalteten Perlen-Ausstellung (Produkte der Seeperle), die mit den Objecten des „Grünen Gewölbes“ in Dresden einen Werth von vielen Millionen repräsentiren, befindet sich in einer Muschel als kostbare perlmutterschillernde Mumie eine deutlich erkennbare Eidechse.

Die sächsische Perlenfischerei, durch Kurfürst Johann Georg den Ersten im Jahre 1621 zum Regal erhoben, tritt begreiflicher Weise gegen die Seeperlenfischerei zurück, doch hat sie immerhin erfreuliche Resultate zu verzeichnen. Das ausgestellte berühmte Elsterperlen-Collier des „Grünen Gewölbes“ hat einen Werth von 30,000 Mark; seit 1719 sind im Ganzen 22,723 Perlen aufgefunden, darunter einige, die pro Stück mit 250 Mark verkauft wurden. Mit welchem Ernste das Perlensuchen in früherer Zeit betrieben wurde, geht aus einem der Collectiv-Ausstellung beigegebenen „Juramente“ (Schwur) aus dem Jahre 1643 hervor. Derselbe lautet:

„Ich Abraham Schmirler, schwehre zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eydt, daß ich perlensuchens nach meinem besten Verstande zu Jederzeit warten Niemandeß derothalben Unterschleif verstatten und da ich etwas vermercken würde, solches sobalden im Ambte Voigtsbergk anmelden, alle Zeitigen Perlen aber dem Baumeister Sebastian Walthern nach Dresden, oder an wen ich sonst gewiesen werde treulich und ohne Betrug überliefern, das Bekenndnuß auch hergegen Jedesmahl im Ambte allhier vorzeigen, und mich im Uebrigen dergestalt erweisen soll und will, Allermaßen es recht und billich sein wird, So wahr mir Gott helfe, Amen.“

Es war ein glücklicher Gedanke, den Werth der Muschel nicht allein in den Perlen zu suchen; seit 1850 unternahm es ein Mitglied der historischen Familie Schmerler, das Aeußere der Schale zu schleifen und daraus kleine Galanteriewaaren (Portemonnaies, Täschchen etc.) herzustellen. Die Artikel fanden großen Beifall, und heute blüht in Adorf (Königreich Sachsen) eine viele Menschen ernährende Perlmutter-Industrie (vergl. den Artikel „Bei den Muschelarbeitern im Voigtlande“ in Nr. 7, 1878), die ihre Erzeugnisse in alle Welt hinaussendet und sich durch die Berliner Ausstellung viele neue Freunde erworben hat. –

Mit voller Berechtigung durfte einem der nutzbarsten Wasserproducte, dem Bernstein, ein hervorragender Platz auf der Fischerei-Ausstellung eingeräumt werden. Der Firma Stantien und Becker zu Königsberg in Preußen gebührt das Verdienst, uns in ebenso übersichtlicher wie lehrreicher Anordnung die Erzeugnisse einer Industrie vorgeführt zu haben, die in wissenschaftlicher wie in national-ökonomischer Beziehung eine gleich hohe Bedeutung hat. Was die Naturforscher aller früheren Jahrhunderte geahnt und als wahrscheinlich angenommen, hat unsere Zeit mit Gewißheit festgestellt: der Bernstein, das Elektron der Griechen, ist das Product vorweltlicher, unserer Fichte und Tanne verwandter Nadelhölzer, unter denen die Bernsteinfichte (Pinites succinifer) die Haupterzeugerin des kostbaren Harzes ist. Die Heimath der untergegangenen Wälder war nachweislich ein längst versunkenes und zerwaschenes Land, welches einst in dem Bereich unserer jetzigen Ostsee lag.

Durch vorzügliche Modelle und Zeichnungen wird veranschaulicht, daß die Gewinnung des Bernsteins theils durch Baggern, Schöpfen und Tauchen, wie in Schwarzort, südlich von Memel, theils auf bergmännischem Wege (Palmnicken an der samländischen Küste) geschieht, wobei die genannte Firma gegen 3000 Arbeiter nebst 50 Dampfmaschinen von 1500 Pferdekraft beschäftigt. Der jährlich an den Staat zu zahlende Pacht von 600,000 Mark deutet auf die Ergiebigkeit der Quellen, welcher wiederum ein kolossaler Geschäftsverkehr nach allen Theilen der Welt entspricht.

Die Ausstellung zeigt in mehreren größeren mit dem „Strandsegen“ angefüllten Abtheilungen, wie verschieden die Ansprüche einzelner Nationen an den Bernstein sind. Frankreich consumirt eine andere Qualität als Deutschland, Rußland, Amerika, und England entwickelt wieder einen andern Geschmack als China, Japan und die Türkei. Von besonderem Interesse sind die sogenannten Capitalstücke, große und schöne Funde von unberechenbarem Werthe, darunter eines im Gewichte von dreizehneinhalb Pfund, sowie die gewiß einzige, aus mehreren tausend Nummern bestehende Sammlung der Inclusa (Einschlüsse). Trefflich erhalten geben uns hier die eingeschlossenen und wohlerhaltenen Thiere und Pflanzen das Bild einer Fauna und einer Flora, die vollständig ausgestorben sind. Mücken, Motten, Spinnen, Fliegen, Milben, Käfer, Grashüpfer, Raupen und Schmetterlinge wechseln mit Holztheilen, Nadeln und Blättern einer Vegetation, welche eine große Ähnlichkeit mit der heutigen nordamerikanischen gehabt haben muß. Daß die Menschen auf der niedrigsten Culturstufe das gelbe Harz schon als Schmuckstein suchten und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_418.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)