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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


kriegerischem Geschäft Abends friedlich in eine Ecke bei Clausing und spülte alle politischen Beklemmungen durch mehrere Weiße mit verschärften Strippen hinab. Wie eine wohlverbürgte Tradition berichtet, hatte sich trotz der dort vorherrschenden „angenehmen Temperatur“ eines Tages ein „revolutionärer Redner und Wühler“ eingeschlichen, um von einem Tische aus Propaganda für Freiheit und Gleichheit zu machen. Seine Bemühungen scheiterten indeß an der Gesinnungstüchtigkeit der „Mutter Clausing“, die weniger den neuen Ideen, als vielmehr dem unberufenen Schreier mit kräftiger Hand „unter die Arme griff“ und ihn unter Beifallsrufen der anwesenden Gäste zum Hause hinausbrachte.


Ein Stammtisch bei Clausing in Berlin.
Originalzeichnung von H. Lüders.


Besonders lebhaft ging es in den traulich düstern Kneipräumen während des Berliner Jahrmarktes zu, dessen Budenreihen sich vom Dönhofsplatze bis zur Zimmerstraße erstreckten. Die Verkäufer waren um Gründe, sich einen guten Trunk zu leisten, nicht verlegen; gute Geschäfte wurden in Gesellschaft der Kunden durch mehrere Weiße gefeiert, während die schlauen Handelsleute und feilbietenden Handwerker der bösen Laune über mangelnden Umsatz und das sprüchwörtliche „Jahrmarkts-Hundewetter durch mannhaftes Trinken bei Clausing geschickt das Gleichgewicht zu halten wußten. Wer von seinem „Stande“ unabkömmlich war, ließ sich eine „Blonde“ holen, sodaß an manchem Tage tausend Weiße „über die Straße“ verkauft wurden. Der „alte Clausing“ ist, nachdem er durch Millionen Kruken den Durst seiner Mitwelt gelöscht hat, im Jahre 1857 heimgegangen; er hat, wie jener König von Thule, Alles, sogar noch den „Becher“ seinen Erben gegönnt; denn sein Sohn wandelt, unterstützt von einer wackeren, thätigen Hausfrau, in den Fußstapfen des Vaters weiter.

Das Fest des fünfzigjährigen Jubiläums gestaltete sich deshalb zu einem Ehren- und Erinnerungstage, der seine wohlausgenutzten vierundzwanzig Stunden zählte und welchem Hekatomben von Weißen („auf Eis“ und „in Civil“) und – Kuhkäse geopfert wurden.

Wenn auch der Charakter des Locales etwas vom Zeitgeiste benagt und beeinflußt worden ist, das alte patriarchalische Verhältniß zwischen Gästen und Wirth ist doch geblieben; den dem Letzteren ist es durch das erstaunlich pünktliche, über Tag und Nacht gleichmäßig vertheilte Kommen und Gehen der Besuche ziemlich leicht gemacht, Fühlung zu behalten. Da erscheint in den ersten Vormittagsstunden die „angeblich wegen Studien“ in der Residenz sich massenhaft aufhaltende akademische Jugend in der ausgesprochenen Absicht, das bekannte geschwänzte Hausthier, Kater genannt, zu ertränken; ihnen folgen die Mannen des täglichen Stammfrühstücks, und sodann vereinzelte Mittagsgäste, denen sich am Nachmittag beziehungsweise Abend die eigentlichen Weißbierhelden anreihen. Ministerial-, Magistrats- und sonstige Beamte mit Titel und Würden, Militärs z. D. und a. D., Künstler, Schauspieler, Abgeordnete, Journalisten, Rentiers, Kaufleute, Handwerker wechseln in bunter Reihenfolge bis nach Mitternacht; es soll nicht verschwiegen werden, daß in der Neuzeit in dem neuen modernen Anbau auch die sonst in diesem Hause nicht gesehene Damenwelt Eingang gesucht und an der „Blonden“ großen Geschmack gefunden hat.

Die Aegypter, Phönicier, Tyrer, Karthager und andere Völker des Alterthums mußten, wie der Eingangs erwähnte Parlamentsredner in derselben Sitzung behauptete, nach kurzem Glanze schnell untergehen, „weil sie nichts Vernünftiges zu trinken gehabt haben“. Berlin wird demnach ewig blühen; denn es hat sein Weißbier. Du aber, o Wanderer, sollten sich je deine Schritte nach der Zimmerstraße lenken, so gedenke des tiefsinnigen Wortes: Dasjenige Bier, welches nicht getrunken wird, hat seinen Beruf verfehlt.

Gustav Schubert.




Die abenteuerliche Geschichte vom falschen Dmitry.
Von Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)
2. Wie der Schwindel anging, vorschritt und sein Ziel erreichte.

Wie lautete die Kunde, welche wie ein Blitz in die schwüle Stimmung fiel, von der die russische Nation befangen war?

Sie lautete: Der Stamm Ruriks ist noch nicht erloschen. Der Zaréwitsch und rechtmäßige Nachfolger Iwans des Schrecklichen, der junge Dmitry, welchen man irrthümlich todt und zu Uglitsch ermordet glaubte, ist noch am Leben. In der polnischen Provinz Lithauen von einem Woiwoden gastfreundlich aufgenommen, hat er den angesehensten Männern der Republik Polen, sowie dem Könige Sigismund dem dritten selber sich zu erkennen gegeben und schickt jetzo sich an und verschreitet dazu, sein klares Recht auf den russischen Zarenthron als letzter rechtmäßiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_457.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)