Seite:Die Gartenlaube (1880) 465.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 29.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Am nächsten Morgen trafen sich nur die drei Herren beim Frühstück, obschon die Abreise Oswald's auf den Vormittag festgesetzt worden war. Graf Edmund kümmerte sich auch heute nicht um die ärztliche Verordnung, die ihn an das Zimmer fesselte. Er erschien mit verbundener Hand, sonst aber ganz wohl und munter, und lachte über die Vorwürfe des Baron Heideck, der eine größere Schonung verlangte. Die Gräfin dagegen blieb heute unsichtbar. Sie litt an einem heftigen Nervenanfall, wahrscheinlich in Folge des Schreckens über die erste übertriebene Nachricht von der Verwundung ihres Sohnes.

Edmund, der bereits bei seiner Mutter gewesen, hatte sie in sehr nervöser Aufregung gefunden, und auf seine Frage, ob Oswald kommen dürfe, um sich von ihr zu verabschieden, die entschiedene Erklärung erhalten, sie sei zu leidend, um irgend Jemand außer ihrem Sohne zu sehen. Der junge Graf war in einiger Verlegenheit, als er die Nachricht seinem Vetter mittheilte. Er fühlte, wie rücksichtslos es sei, dem Scheidenden das Lebewohl zu verweigern, und meinte, die Mutter hätte sich wohl so weit überwinden können, ihren Neffen für einige Minuten zu empfangen.

Oswald nahm die Nachricht, daß er seine Tante gar nicht mehr sehen werde, sehr ruhig und ohne jede Ueberraschung auf. Er mochte wohl errathen, welchen Antheil das spurlose Verschwinden des Bildes und dessen muthmaßlicher Verbleib an diesem „Nervenanfall“ hatten. Die Gräfin hatte jedenfalls von Eberhard erfahren, daß ihr Neffe unmittelbar nach ihrer Entfernung im Zimmer gewesen und dort allein geblieben war.

Die Unterhaltung bei dem Frühstück war ziemlich einsilbig. Baron Heideck, obgleich er schließlich selbst für Oswald's Entfernung eingetreten, zeigte doch keine besondere Herzlichkeit gegen den Neffen, der seinen Willen so entschieden durchkreuzt hatte. Edmund war verstimmt wegen der Trennung, die er erst jetzt, wo sie unmittelbar bevorstand, in ihrer ganzen Schwere empfand, nur Oswald bewahrte seine ernste Ruhe. Man stand eben vom Tische auf, als der junge Graf abgerufen wurde, um den soeben eingetroffenen Arzt zu empfangen. Baron Heideck wollte folgen und dem Doctor eine größere Strenge gegen seinen leichtsinnigen Patienten einschärfen, als eine leise Bitte Oswald's ihn zurückhielt. Sobald sie allein waren, zog der letztere ein kleines, sorgfältig versiegeltes Päckchen hervor.

„Ich hatte gehofft, meine Tante noch vor der Abreise zu sprechen,“ begann er. „Da das nicht mehr möglich ist, so möchte ich Sie ersuchen, ihr eine letzte – Mittheilung zu überbringen. Ich bitte aber ausdrücklich, dies Packet nur in die eigenen Hände der Gräfin, und nur dann zu übergeben, wenn sie allein ist.“

„Was ist das für ein geheimnißvoller Auftrag?“ fragte Heideck befremdet. „Und warum wählst Du mich, nicht Edmund?“

„Weil es wohl schwerlich in den Wünschen der Tante liegen möchte, daß Edmund von der Uebergabe oder dem Inhalte dieses Päckchens etwas erfährt. Ich wiederhole meine Bitte, es ihr nur unter vier Augen zu übergeben.“

Die eisige Kälte dieser Worte und der stolze, drohende Blick, der sie begleitete, waren die einzige Rache, die der junge Mann sich erlaubte. Heideck verstand ihn natürlich nicht, aber er begriff doch, daß es sich hier um etwas Ungewöhnliches handelte, und nahm das kleine Packet an sich.

„Ich werde Deinen Auftrag ausrichten,“ sagte er.

„Ich danke!“ entgegnete Oswald zurücktretend, aber so kurz und herb, daß jede fernere Entgegnung damit abgeschnitten war. Zu einem weiteren Gespräche kam es auch nicht, denn Edmund trat bereits wieder ein, in Begleitung des Arztes, den er durchaus zuerst zu seiner Mutter führen wollte, weil deren Zustand ihn besorgt machte.

Der ärztliche Ausspruch hinsichtlich der beiden Patienten lautete indessen sehr beruhigend. Die Wunde des Grafen erwies sich immer mehr als unbedeutend, und die Gräfin litt an einem gewöhnlichen Nervenanfalle in Folge des gestrigen Schreckens. Bei Beiden waren nur Ruhe und einige leichte Mittel nothwendig, und Edmund erzwang sogar die Erlaubniß, nach Belieben sein Zimmer verlassen und seinem Vetter bis zum Wagen das Geleit geben zu dürfen.

Der Abschied von dem Baron Heideck war sehr kurz und kalt, um so leidenschaftlicher erregt zeigte sich Edmund bei der Trennung. Er bestürmte Oswald mit Bitten, auf jeden Fall zu der bevorstehenden Vermählung nach Ettersberg zu kommen, und verhieß seinerseits einen baldigen Besuch in der Residenz. Oswald nahm das mit einem trüben Lächeln hin; er wußte, daß Eins so wenig geschehen würde, wie das Andere. Die Gräfin fand sicher ein Mittel, ihren Sohn von dem beabsichtigten Besuche zurückzuhalten. Noch eine letzte herzliche Umarmung, dann rollte der Wagen davon, und Edmund empfand, als er in das Schloß zurückkehrte, die ganze Leere, welche das Scheiden des Jugendfreundes zurückließ. –

Mehr als zwei Stunden waren seit der Abreise vergangen, als Baron Heideck sich zu seiner Schwester begab, um den übernommenen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_465.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)