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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Auftrag auszuführen. Er hatte keine besondere Eile damit gehabt, denn bei dem gespannten Verhältniß, das zwischen Oswald und seiner Tante herrschte, bot diese „letzte Mittheilung“ voraussichtlich nichts Erfreuliches und war vielleicht nur geeignet, das Unwohlsein der Gräfin noch zu steigern. Der Baron hatte deshalb auch anfangs im Sinne gehabt, das Ganze bis zum nächsten Tage zu verschieben, aber Oswald's Blick und Ton bei der Uebergabe des Päckchens waren ihm doch so bedenklich erschienen, daß er beschloß, auf alle Gefahr hin die Sache noch heute zu erledigen. Auf seinen Wunsch hatte die Gräfin ihre Kammerfrau fortgesandt mit dem Befehle, Niemand einzulassen, und die Geschwister waren längere Zeit allein geblieben.

Die Gräfin saß bleich und angegriffen auf der Chaiselongue. Man sah es ihr an, was sie seit gestern Abend gelitten hatte und noch litt, während sie widerstandslos die Vorwürfe des Bruders über sich ergehen ließ, der mit dem geöffneten Päckchen in der Hand vor ihr stand und, zwar mit gedämpfter Stimme, aber in der heftigsten Erregung zu ihr sprach:

„Also hast Du Dich wirklich nicht von diesem unglückseligen Bilde trennen können! Ich glaubte, es sei längst vernichtet. Wie konntest Du den Wahnsinn begehen, es aufzubewahren?“

„Schilt mich nicht, Armand!“ – die Stimme der Gräfin klang wie erstickt in Thränen. „Es ist das einzige Andenken, welches ich behalten habe. Ich erhielt es mit seinen letzten Grüßen, als er – gefallen war.“

„Und um dieser Sentimentalität willen beschworst Du eine so furchtbare Gefahr über Dich und Deinen Sohn herauf? Reden diese Züge denn nicht deutlich genug? Damals, als Edmund ein Kind war, trat die Aehnlichkeit nicht so deutlich hervor, jetzt, wo er genau in dem Alter steht wie – Jener, jetzt ist sie geradezu vernichtend. Du hast freilich eine harte Lehre für Deine Unvorsichtigkeit erhalten. Du weißt, in wessen Händen das Bild war.“

„Ich wußte es seit gestern Abend. O mein Gott, was wird darauf erfolgen!“

„Nichts!“ sagte Heideck in kaltem Tone. „Das beweist Dir ja die Rückgabe. Oswald ist zu sehr Jurist, um sich nicht zu sagen, daß ein bloßes Bild noch keinen Beweis bietet, und daß sich absolut keine Anklage darauf gründen läßt. Es war trotzdem ein Act der Großmuth, daß er es zurückgab. Ein Anderer hätte es wenigstens benutzt, um Dich zu quälen und zu ängstigen. Dies Bild darf nicht existiren.“

„Ich werde es vernichten,“ sagte die Gräfin tonlos.

„Nein, ich werde das thun,“ fiel der Bruder ein indem er die Kapsel sorgfältig in der Tasche barg. „Du könntest wieder irgend einer romantischen Anwandlung erliegen. Ich habe Dich schon einmal vor einer wirklichen Gefahr retten müssen, Constanze, jetzt muß ich es vor der Erinnerung thun, die Dir fast ebenso verhängnißvoll geworden ist. Der Schatten ist jahrelang begraben gewesen, laß ihn nicht wieder auferstehen, er könnte leicht alles Glück in Ettersberg zerstören. Das unselige Andenken soll noch heute verschwinden. Edmund darf nicht ahnen, was es verschließt, so wenig wie Dein Gemahl es je geahnt hat.“

Er hatte die letzten Worte unwillkürlich lauter, mit erhobener Stimme gesprochen, brach aber plötzlich ab, denn in demselben Momente wurde die Thür, die in das Nebenzimmer führte, aufgestoßen und Edmund stand auf der Schwelle.

„Was darf ich nicht ahnen?“ fragte er rasch und heftig.

Der junge Graf hatte natürlich nicht angenommen, daß das Verbot der Gräfin, irgend Jemand zu ihr zu lassen, auch ihn betreffe. Er war eingetreten und leise, um die Mutter nicht zu stören, durch das Nebenzimmer gegangen. Bei der geschlossenen Thür und dem sorgfältig gedämpften Tone des Gespräches war es freilich unmöglich, daß er mehr gehört haben konnte, als die letzten Worte seines Onkels. Das zeigte auch der Ausdruck seines Gesichtes, das wohl Erstaunen und Befremdung, aber keinen Schrecken verrieth.

Trotzdem war die Gräfin zusammengefahren, und es bedurfte der stummen, aber bedeutsamen Mahnung ihres Bruders, der mit schwerem Drucke seine Hand auf die ihrige legte, um ihr die Fassung zu wahren.

„Was darf ich nicht ahnen?“ wiederholte Edmund, indem er schnellen Schrittes näher trat und sich an den Baron wandte.

„Hast Du uns etwa belauscht?“ fragte dieser, und auch ihm stockte der Athem, als er an eine solche Möglichkeit dachte.

„Nein, Onkel,“ sagte der junge Graf unwillig. „Ich gebe mich nicht mit Horchen ab. Nur Deine letzten Worte habe ich gehört, als ich im Begriff stand, die Thür zu öffnen. Es ist doch wohl begreiflich, daß ich zu erfahren wünsche, was sie bedeuten, und was man bisher mir, wie einst meinem Vater, verborgen hat.“

„Du hörtest ja, daß ich meine Schwester bat, es Dir zu verschweigen,“ entgegnete Heideck. der seine ganze Ruhe wiedergefunden hatte. „Es handelt sich um ein trübes Ereigniß aus unserer Jugendzeit, das wir besser für uns allein behalten. Du weißt es ja, daß unsere Jugend ernster und entsagungsreicher gewesen ist, als die Deinige. Wir haben damals so Manches durchkämpfen müssen, wovon Du keine Ahnung hast.“

Die Erklärung klang sehr glaublich und schien auch geglaubt zu werden, aber in dem Tone Edmund's lag, trotz aller Zärtlichkeit, ein tiefer Vorwurf, als er jetzt zu seiner Mutter sprach:

„Mama, ich habe bisher nicht geglaubt, daß Du ein Geheimniß vor mir hättest.“

„Quäle doch Deine Mutter nicht,“ fiel Heideck ein. „Du siehst es ja, wie angegriffen sie ist.“

„Eben deshalb hättest Du sie schonen und nicht gerade heute trübe Erinnerungen wach rufen sollen,“ gab Edmund etwas gereizt zur Antwort. „Ich kam Dir mitzutheilen, Mama, daß meine Braut und ihr Vater soeben angelangt sind. Ich darf doch Hedwig zu Dir führen? Da Du wohl genug bist, den Onkel zu empfangen, wirst Du sie jedenfalls sehen können.“

„Gewiß, mein Sohn,“ stimmte die Gräfin hastig zu. „Ich fühle mich bedeutend wohler. Bringe Hedwig sofort zu mir!“

„Ich werde sie holen,“ sagte Edmund, indem er ging, aber er wandte sich noch einmal um, und ein seltsam forschender Blick streifte über die Mutter und den Onkel hin. Es lag kein Argwohn darin, aber doch eine unbestimmte Ahnung von irgend etwas Unheilvollem.

Der junge Graf hatte schon am vergangenen Abend einen Boten nach Brunneck gesandt, mit der Nachricht, daß er sich auf der Jagd eine leichte Verletzung der Hand zugezogen habe und deshalb nicht kommen könne, ohne daß darum etwas zu besorgen sei. Aus diesem Grunde war der Oberamtsrath mit seiner Tochter nach Ettersberg gekommen, und der Anblick Edmund's, der sie heiter wie gewöhnlich empfing, zerstreute den letzten Rest ihrer Besorgnisse. Fast gleichzeitig mit ihnen war auch der benachbarte Gutsherr, bei dem der „Unfall“ stattgefunden, mit seinem Sohne vorgefahren, um sich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen.

Das erste Zusammentreffen des Baron Heideck mit den neuen Verwandten gestaltete sich auf diese Weise zwangloser, als es wohl sonst der Fall gewesen wäre. Die Schönheit der jungen Braut blieb keineswegs ohne Einfluß auf den gestrengen Onkel, der trotz all seiner aristokratischen Bedenken doch der Wahl seines Neffen nicht ganz den Beifall versagen konnte. Nur dem Oberamtsrath gegenüber behielt Heideck den etwas kühlen und gemessenen, wiewohl artigen Ton bei. Die Gegenwart der Fremden machte das Gespräch überhaupt lebhafter und allgemeiner; nur Edmund war ungewöhnlich schweigsam und zerstreut, wollte aber durchaus nicht zugeben, daß dies irgendwie mit seiner Wunde in Zusammenhang stehe, sondern schob seine Verstimmung auf die Trennung von Oswald. Er mochte sich selber nicht eingestehen, daß es noch etwas Anderes war, was ihn bedrückte.

Die fremden Gäste blieben nicht allzulange, und nach einigen Stunden fuhr auch Rüstow mit seiner Tochter wieder nach Brunneck. Edmund hatte seine Braut in den Wagen gehoben und zärtlich Abschied genommen. Er war jetzt in sein Zimmer zurückgekehrt, aber es litt ihn nirgend, eine eigenthümliche Unruhe trieb ihn umher. Er hatte sich schließlich auf das Sopha geworfen und versuchte zu lesen, aber es wollte ihm nicht gelingen, den Worten und Gedanken des Buches zu folgen. Auf der sonst so wolkenlosen Stirn des jungen Grafen stand heute ein ganz ungewohnter Ausdruck, ein finsteres, quälendes Grübeln, das sich mit peinigender Beharrlichkeit immer wieder an jene Worte heftete, die vorhin im Zimmer seiner Mutter gesprochen worden waren. Was durfte er nicht erfahren? Was verbarg man so sorgsam vor ihm?

Edmund war viel zu wenig gewohnt, sich von irgend etwas bedrückt zu fühlen, irgend etwas Räthselhaftes mit sich herumzutragen, um diesen Zustand nicht unerträglich zu finden. Er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_466.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)