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Wiederaufnahme der „Hartgeldzahlung“ ein, während die Demokraten in ihrer Mehrzahl und im Widerspruche zu der früher von ihnen befolgten Politik für die Vermehrung des uneinlösbaren Papiergeldes und für Zahlung der Nationalschuld und deren Zinsen in minderwerthigem Papiergelde stimmten. Nur ist es leider zu jener versprochenen Hartgeldzahlung unter ihm nie gekommen. Den Südstaaten gegenüber unterstützte er auf das Eifrigste die von den radicalen Republikanern empfohlenen, vielfach parteiischen und daher ungerechten „Reconstructionsgesetze“. Die unausbleiblichen Folgen seiner einseitigen Parteipolitik waren Conflicte ohne Ende, Mißregierung und steigende Verarmung des Südens der Union.

Am 30. März 1870 wurde jenes fünfzehnte Verfassungsamendement proclamirt, durch welches etwa vier Millionen Neger das volle politische Stimmrecht erhielten, ein Recht, zu dessen verständiger Anwendung die bis vor Kurzem in Unwissenheit und Knechtschaft versunkenen Schwarzen noch keineswegs befähigt waren. In Wahrheit sollte durch diese Maßregel auch nur der in ihrer großen Mehrheit der demokratischen Partei angehörenden weißen Bevölkerung der Südstaaten ein Paroli gebogen werden. Dazu kam, daß um diese Zeit nördliche Abenteurer, die sogenannten „Carpetbagger“, welche ihr ganzes Vermögen im Reisesacke mit sich trugen, in hellen Schaaren nach dem Süden zogen und mit Hülfe der unwissenden Neger zu Macht und Ansehen gelangten. Zu den Rückschlägen, welche eine solche Gesetzgebung und eine solche Art zu regieren nothwendiger Weise zur Folge haben mußten, gehört das Entstehen des gegen die Farbigen und jene nördlichen Aufwiegler gerichteten „Kuklux-Clan“, eines südstaatlichen Geheimbundes, der schließlich nur durch Anwendung der schärfsten Gewaltmaßregeln, welche seinem eigenen gewaltthätigen Auftreten übrigens vollkommen entsprachen, zu unterdrücken war. Derartige Ausbrüche des Rassenhasses konnten nicht wohl vermindert werden durch den parteiischen Schutz, welchen die Grant-Regierung den Negern und ihren demagogischen Leitern, den „Carpetbaggern“, angedeihen ließ.

Verschlimmert aber wurde die Lage der Dinge durch eine immer tiefer greifende Corruption in der staatlichen und communalen Verwaltung. Der Handel mit Staatsämtern und die Unterschlagung öffentlicher Gelder wurden nie so schamlos betrieben, wie unter Grant’s Regierung. In Grant’s nächster Umgebung, unter den Ministern und den persönlichen Rathgebern und Freunden des Präsidenten befanden sich die bestechlichsten und betrügerischesten Menschen. Die ehrlichen Leute schienen politisch mundtodt gemacht zu sein. Vergeblich bemühte sich die namentlich durch Karl Schurz in’s Leben gerufene Partei der „liberalen Republikaner“, die Wiedererwählung Grant’s im Jahre 1872 zu verhindern, eine Reform im Aemterwesen durchzusetzen und das jede locale Selbstregierung unmöglich machende Militärregiment im Süden aufzuheben.

Endlich trat der langerwartete Rückschlag ein. Eine Reihe öffentlicher Skandale trug wesentlich dazu bei, das Ansehen der Regierung in Washington-City und der herrschenden, das heißt der radicalen republikanischen Partei in der öffentlichen Meinung zu untergraben. Unter solchen Umständen kam die Präsidentenwahl des Jahres 1876 heran, und in diesem Jahre, in welchem die Republik der Vereinigten Staaten der Feier ihrer hundertjährigen Existenz durch Abhaltung einer internationalen Weltausstellung einen besonderen Glanz zu verleihen bestrebt war, versuchten die obengenannten „liberalen Republikaner“ oder „Unabhängigen“ abermals – diesmal mit mehr Glück, als vier Jahre zuvor, Einfluß auf die Präsidentwahl zu gewinnen.

Am 15. Mai (1876) trat zu New-York eine Conferenz der „Unabhängigen“ zusammen. Die Versammlung war zahlreich besucht, obschon nur achtzehn Unionsstaaten, darunter sehr wenige Südstaaten, Vertreter dorthin entsandt hatten. Im Namen eines von der Conferenz niedergesetzten Fünfer-Ausschusses trug Karl Schurz, der nebst dem hochgefeierten Dichter William Cullen Bryant zu den Hauptführern der unabhängigen Bewegung zählte, am folgenden Tage ein zum größten Theile aus seiner Feder stammendes „Manifest an das Volk der Vereinigten Staaten“ vor. Nach einem eindringlichen Vergleich der großartigen Vergangenheit der Union mit dem beklagenswerthen Zustande derselben in der Gegenwart ging der Aufruf zur Discussion der wesentlichsten Fragen über, welche bei der bevorstehenden Präsidentenwahl ihre Lösung finden müßten. Zunächst wurde eine versöhnliche Haltung den Südstaaten gegenüber, bei voller Wahrung der nationalen und freiheitlichen Errungenschaften des Bürgerkrieges, befürwortet, dann aber eine weise und ehrliche Lösung der Finanzfrage empfohlen.

Das System des uneinlösbaren Papiergeldes oder die sogenannte „Inflationstheorie“ wurde als eine der Hauptursachen nicht nur der schlechten Geschäftszustände in der Union, sondern auch der immer mehr um sich greifenden sittlichen Verkommenheit entschieden verurtheilt. Eine gründliche Reform des Civildienstes wurde verlangt und das corrumpirende System der Aemtervertheilung für geleistete Parteidienste offen als der Weg zum Untergange der Republik bezeichnet.

Dieser von den „Unabhängigen“ erhobene Ruf nach Reformen blieb in den nun folgenden „Nationalconventionen“ der beiden großen Parteien, der Republikaner und der Demokraten, nicht unbeachtet. Beide nahmen in ihren „Platformen“ oder politischen Glaubensbekenntnissen darauf Rücksicht.

Präsident Grant, der durch die massenhaften Schwindeleien seiner Anhänger selbst zu sehr compromittirt war, verzichtete auf eine dritte Candidatur für das Präsidentenamt, zu der er, wie die Folge gezeigt hat, sonst wohl geneigt gewesen wäre. Der Wahlkampf war ein äußerst harter, und nur mit einer Stimme (185 gegen 184) siegte der Republikaner Hayes, bis dahin Gouverneur von Ohio, über den Demokraten Tilden. Bekanntlich wurde die Wahl im Congresse von den Demokraten angegriffen, und erst nach langen und heftigen Debatten einigten sich beide Parteien dahin, die verhängnißvolle Streitfrage durch eine aus Senatoren, Repräsentanten und Mitgliedern des obersten Gerichtshofes der Union zusammengesetzte Fünfzehner-Commission entscheiden zu lassen. Der betreffende Schiedsspruch lautete zu Gunsten von Hayes, der denn auch im März 1877 das Präsidentenamt antrat.

In seiner „Inaugural-Adresse“, der Rede, mit welcher Hayes feierlich das Präsidentenamt antrat, nahm er die Reform auf sich. Versöhnung und Ausgleichung der zwischen dem Norden und Süden bestehenden Gegensätze; Beseitigung der Mißregierung politischer Abenteurer sowie der corrumpirenden Einwirkung der Militärherrschaft und Sicherung einer weisen, ehrlichen und friedlichen Selbstverwaltung in localen Angelegenheiten für alle Theile der Union; möglichst baldige Wiederaufnahme der Baar- oder Hartgeldzahlung – das war Hayes’ Programm. Und mit diesen trefflichen Grundsätzen standen auch die Amtshandlungen des Präsidenten in vollem Einklange. Er berief in sein Ministerium sechs gemäßigte Republikaner, Vertreter der die Reform fordernden Gruppe der republikanischen Partei – unter Anderem Karl Schurz als Minister des Innern – sowie einen Demokraten, den General-Postmeister David M. Key aus Tennessee. Im schneidenden Gegensatze zu Grant nahm er bei der Vertheilung von öffentlichen Aemtern in keinerlei Weise auf seine Verwandten und intimen Freunde Rücksicht; er sah weniger auf geleistete Parteidienste, als auf Fähigkeit und Charakterreinheit. Die arg verwickelten Verhältnisse in Süd-Carolina und Louisiana führte er schnell einer friedlichen Lösung dadurch entgegen, daß er das Bundesmilitär aus jenen Staaten zurückzog und die republikanischen Gouverneure Chamberlain und Packard bewog, ihren demokratischen Gegnern Hampton und Nicholls Platz zu machen. Das bedeutendste Ereigniß der Hayes-Administration ist die am 1. Januar 1879, trotz der Opposition der Demokraten, vorgenommene Wiederaufnahme der Hartgeldzahlung, welche für den Aufschwung des Handels, der Industrie und des Geschäftslebens überhaupt, sowie für den Nationalcredit der Vereinigten Staaten von den segensreichsten Folgen begleitet war.

Allein die wahrhaft patriotische Regierungspolitik dieses Präsidenten fand weder bei dem radicalen Flügel der Republikaner, noch bei der Masse der Demokraten Anklang und Unterstützung. Die Freunde des alten Grant-Regiments, die Meister in der sogenannten „Maschinenpolitik“ waren und sich weniger um das Gemeinwohl, als um ihre Sonderinteressen kümmerten, wandten sich kühl von der Hayes’schen Reformpolitik ab oder traten derselben auch wohl direct entgegen. Die demokratische Partei aber, welche, Dank der corrupten Grant-Regierung, im Laufe der Zeit in beiden Congreßhäusern, im Senat und im Repräsentantenhause, die Majorität erlangt hatte, lohnte die Versöhnungspolitik des Präsidenten Hayes mit dem schnödesten Undank. Nicht zufrieden damit, daß sie der ehrlichen und durch das Gesetz vorgeschriebenen Finanzpolitik des Präsidenten die heftigste Opposition machten und sich dabei mit der inzwischen aufgetauchten, communistischen Ansichten

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