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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 31.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


In dem Salon des Ettersberg'schen Schlosses, wo man sich gewöhnlich versammelte, wenn die Familie allein war, saß die Gräfin mit einem Buche in der Hand und las, oder schien doch wenigstens zu lesen. Hedwig, die sich, wie das oft geschah, auf einige Tage zum Besuche bei ihrer Schwiegermutter befand, stand am Fenster und blickte in die schneebedeckte Landschaft hinaus. Der Winter war längst eingezogen, und auch heute herrschte draußen ein leichtes Schneetreiben, das den Aufenthalt im Freien mindestens nicht behaglich machte.

„Edmund kommt noch immer nicht zurück,“ unterbrach die junge Dame das Stillschweigen, welches schon seit einiger Zeit eingetreten war. „Welch ein Einfall, bei solchem Wetter auszureiten!“

„Du weißt ja, daß er das täglich thut,“ erwiderte die Gräfin, ohne von ihrem Buche aufzusehen.

„Aber doch erst seit einiger Zeit. Früher war er sehr empfindlich gegen die Witterung, und ein Regen trieb ihn sofort nach Hause. Jetzt scheint er am liebsten in Sturm und Unwetter umherzujagen und bleibt stundenlang draußen im Freien.“

Die Worte klangen in unverkennbarer Besorgniß. Die Gräfin gab keine Antwort darauf; sie schlug die Blätter ihres Buches um, aber wer sie genauer beobachtet hätte, würde gesehen haben, daß sie auch nicht eine einzige Zeile las. Hedwig wandte sich jetzt in das Zimmer zurück und trat zu ihrer Schwiegermutter.

„Findest Du nicht, Mama, daß Edmund seit den letzten Monaten seltsam verändert ist?“

„Verändert? Worin?“

„In Allem.“

Die Gräfin stützte den Kopf in die Hand und schwieg auch diesmal. Sie wollte offenbar einer Erörterung über diesen Punkt ausweichen, aber das junge Mädchen hielt ihn trotzdem fest.

„Ich habe schon längst mit Dir darüber sprechen wollen, Mama. Ich kann es Dir nicht mehr verhehlen, daß Edmund's Wesen mich jetzt oft beunruhigt, ja geradezu erschreckt. Er ist so ganz anders als früher, so ungleich und wechselvoll in jeder Beziehung, sogar in seiner Zärtlichkeit. Er betreibt die Vorbereitungen zu unserer Hochzeit mit einem beinahe fieberhaften Eifer, und bisweilen ist er wieder so gleichgültig dagegen, so gänzlich theilnahmlos, daß mir schon der Gedanke gekommen ist, er wünsche sie aufgeschoben zu sehen.“

„Sei ruhig, mein Kind!“ sagte die Gräfin mit einem Tone, der beruhigend sein sollte, durch den aber doch eine tiefe Bitterkeit hindurchklang. „Du hast seine Liebe nicht verloren, Dich umfaßt er nach wie vor mit der gleichen Zärtlichkeit. Ich dächte, das müßtest Du empfinden. Edmund ist etwas überreizt, das gebe ich zu. Er hat sich in der letzten Zeit zu stürmisch der Geselligkeit hingegeben, der wir uns freilich Alle nicht entziehen können. Man kam ja kaum zu Athem bei all diesen Jagden, Diners und Soiréen. Du hast Dir in dieser Beziehung auch etwas zu viel zugemuthet, und es sollte mich nicht wundern, wenn Du gleichfalls nervös würdest bei diesem aufregenden Leben.“

„Ich hätte gern die Hälfte der Einladungen abgelehnt,“ sagte Hedwig gepreßt, „aber Edmund bestand ja darauf, daß wir sie annähmen. Seit dem September jagen wir förmlich von einer Festlichkeit in die andere, von einem Besuch zum anderen, und wenn wir wirklich einmal ausruhen wollen, so kommt Edmund schon wieder mit einem neuen Vorschlag oder bringt uns neue Gäste. Es ist, als könnte er auch nicht eine Stunde mehr allein hier oder in Brunneck aushalten, als würde ihm die Einsamkeit zur ärgsten Qual.“

Die Lippen der Gräfin zuckten, und sie wandte wie zufällig das Antlitz zur Seite, als sie scheinbar gelassen erwiderte:

„Thorheit! Was machst Du Dir für Gedanken! Edmund hat die Geselligkeit stets geliebt, und auch Du kanntest früher kein höheres Vergnügen, als ein glänzendes, reichbewegtes Gesellschaftsleben. Von Dir erwartete ich am wenigsten eine Klage darüber. Warum hast Du denn Deinen Geschmack auf einmal geändert?“

„Weil ich mich um Edmund ängstige,“ gestand das junge Mädchen, „und weil ich sehe, daß auch er keine Freude an diesem Treiben findet, so leidenschaftlich er es auch aufsucht. In seiner Heiterkeit liegt jetzt etwas so Wildes, so Krampfhaftes, daß es mir oft bis in die Seele hinein wehe thut. – Mama, versuche doch nicht, Dir und mir das abzuleugnen! Es ist ja unmöglich, daß Du diese Veränderungen nicht bemerkt hast. Ich fürchte, Du ängstigst Dich im Geheimen darüber nicht weniger, als ich.“

„Was hilft meine Angst?“ sagte die Gräfin in einem beinahe herben Tone. „Edmund fragt ja nichts darnach.“

Aber rasch einlenkend, als habe sie bereits zuviel gesagt, setzte sie mit erzwungener Kälte hinzu:

„Du wirst es wohl lernen müssen, mein Kind, allein mit dem Wesen und mit den Launen Deines künftigen Gatten fertig zu werden. Er ist nicht so leicht zu behandeln, wie Du Dir im Anfange Deiner Brautzeit vorgestellt haben magst. Doch er liebt Dich ja, also wird es Dir nicht schwer werden, den richtigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_497.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)