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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Wesen!“ rief Hedwig, vor seiner Heftigkeit zurückschreckend. „Du bist krank, Du mußt es sein, sonst könntest Du nicht so sprechen.“

Der angstvolle Ruf brachte Edmund zur Besinnung. Er versuchte, sich zu fassen, und es gelang ihm sogar, ein Lächeln zu erzwingen, als er antwortete:

„Nun muß ich das auch von Dir hören! Die Mama hat es mir vorhin erst vorgehalten, wie nervös und überreizt ich bin. Weiter ist es auch in der That nichts; es wird vorübergehen – es geht ja Alles vorüber im Leben. Aengstige Dich nicht, Hedwig! – Und nun muß ich nachsehen, ob Eberhard Anstalten zur Aufnahme der Gäste getroffen hat. Ich vergaß, ihm specielle Befehle zu geben. Entschuldige mich nur für zehn Minuten! Ich bin sogleich wieder bei Dir.“

Er ließ seine Braut aus den Armen und ging wirklich. Es war wieder dieses jähe Abbrechen, diese förmliche Flucht vor jedem Aussprechen, jeder Erklärung. Es war nicht möglich, die Lösung des Räthsels zu finden; die Gräfin wie Edmund waren gleich unzugänglich in dieser Beziehung.

Hedwig kehrte zu ihrem früheren Platze zurück und stützte, in trübes Nachsinnen versunken, den Kopf in die Hand. Edmund verbarg ihr etwas, und doch hatte sie an seiner Liebe nichts verloren, das sagte ihr eigenes Gefühl ihr besser, als die Gräfin es vermochte. Er schien sie im Gegentheil weit leidenschaftlicher zu lieben, als früher, wo die Mutter noch so vollständig bei ihm im Vordergrunde stand, aber die junge Braut bebte oft unwillkürlich zurück vor der düsteren Gluth, die ihr entgegenschlug, wo sie sonst nur tändelnde Zärtlichkeit gefunden. Wie seltsam, wie beängstigend war Edmund’s Benehmen vorhin wieder gewesen! Weshalb forderte er so stürmisch die Gewißheit, daß ihre Liebe ihm allein gelte? Und womit wollte er „ein Ende machen“, wenn diese Gewißheit ihn täuschte? Eins war so räthselhaft wie das Andere.

Hedwig fühlte freilich, daß sie sich an die Brust ihres Verlobten hätte werfen und seine Offenheit erzwingen müssen. Wie hartnäckig er sich auch vor ihr verschließen mochte, er würde jetzt sicher nachgegeben haben, wenn sie mit der vollen Innigkeit der Liebe gebeten hätte – aber das eben konnte sie nicht. Es war etwas wie ein geheimes Schuldbewußtsein, das sie zurückhielt, ihre volle Macht zu gebrauchen, und sie hatte doch so tapfer gekämpft gegen die Träume, die ihr immer wieder die Gestalt eines Anderen zeigten, der jetzt so fern war und den sie vielleicht niemals wiedersah!

(Fortsetzung folgt.)




Goldgrube und Weltbad.
Ein geschichtlicher Rückblick zur zwölfhundertjährigen Jubiläumsfeier Gasteins.
Gastuna semper una. (Es giebt nur ein Gastein.)
Alter Spruch.

In den norischen Bergen, wo die Wasser von weißen Feldern in die Tiefe stäuben, zwischen den Gipfeln der Hohen Tauern, um welche sich Sage und Märchen weben, dringen um einen tosenden Strom, ja im Bette desselben heiße Quellen aus dem Erdinnern. Man nannte die Stätte und den Strom in alten Tagen Gastuna, Gastaun und Gastyn. Fern ab von den breiten Verkehrswegen der Menschen lag hier eine alte Ansiedelung in die Schlucht schneebedeckter Gneisfelsen eingebettet. Gleichwohl war sie, soweit das Andenken der Völker und die Aufzeichnungen der Geschichte reichen, immer im Munde der wechselnden Geschlechter, als wäre hier nicht eine Alpenwildniß, sondern eine Stadt voll von Leben und Denkmälern.

Jetzt führt die Salzachbahn alljährlich Tausende von Besuchern nach Lend im Pongau, welche das Weltbad Gastein aufsuchen wollen. Sie klettern zu Fuß oder zu Wagen von hier aus die schauerlich romantische Straße der Gasteiner Klamm hinauf und hinab, zur Seite tief unter sich die tosenden Fälle der Gasteiner Ache, welche durch die Pongauer Bergwand bei Lend in jähem Sturze zur Salzach niederbricht. Jenseits der Klamm erwartet sie „die Gastein“, ein liebliches Hochthal; dem hastig daherrinnenden Achenwasser entgegen führt der Weg über Mayerhofen, Dorf Gastein und Hof Gastein – und da ist man mit starkem Aufstieg in Wildbad Gastein, nicht mehr der spärlichen Ansiedelung, sondern dem – für moderne Bäderverhältnisse immerhin nicht prunkvollen – Weltbade, in der Nähe der heißen Wunderquellen (Hof Gastein bekommt das zwischen achtundzwanzig und neununddreißig Grad Réaumur warme Wasser wenig abgekühlt durch eine Röhrenleitung). Die Natur mag sich kaum verändert haben; noch immer steigen hinter dem Orte die Tauern in steilen Terrassen auf bis zu den Gletschern des Naßfeldes, von wo die Ache in prachtvollen Wasserfällen bis zur Thalsohle niederschäumt. Aber welche Wandlungen der heimischen Geschichte überblickt der Gasteiner im Jahre des Heils 1880, in welchem das Bad eine Vergangenheit von 1200 Jahren festlich zu begehen im Begriff steht!

Wer im Winter dort hinauf steigt und die hohen Dampfsäulen betrachtet, die sich aus der verschneiten Landschaft erheben, dem mögen die wandelnden Dünste, wie sie an den Eisorgeln des Wasserfalls emporschweben, sich zu Gestalten umwandeln, welche die Flucht der Erscheinung versinnbildlichen. Da wallen die „Wildfrauen“ und „enterischen (heidnischen) Leute“, an wilde Urbewohner mahnend, die hier hausten, bevor Kelten, Römer, Germanen, vom verhängnißvollen Verlangen nach Gold getrieben, über die Pongauischen Hochpässe stiegen. Die Vorstellungen von denselben, wie sie in den Köpfen des Volkes leben, mögen sich zu ihren Urbildern verhalten, wie Lindwürmer und Drachen der Sage zu den von der Oberfläche der Erde verschwundenen Thieren der Vorzeit. Jene Ur-Insassen vergossen kein Blut und bearbeiteten, von Krankheit nicht heimgesucht, die Erde mit einem goldenen Pflug, den sie vor ihrem Abzuge in den Schluchten des Bärnkogls versteckten. Der Aberglaube nimmt noch zu Zeiten die eine oder andere dieser Gestalten wahr. Manchmal hängen Wildfrauen auf Graten ihre Wäsche aus – das sind Nebelfetzen und Schneeflecke an Hochkaren – oder es fällt von unsichtbarem Baume, den sie unnahbar pflegen, ein Apfel in die Gasteiner Klamm hinunter. Ihre zwölf goldenen Götzen sind in der Klamm verborgen; jeder Reisende erspäht dort vom Eilwagen aus die Höhle, die „enterische Kirche“, in welcher die Götterbilder während der Johannisnacht so weit herauf kommen, daß derjenige sie erbeuten müßte, der im jähen Augenblick des Emportauchens das Bannwort zu sagen verstünde. Bis aus Böhmen kommen noch alljährlich Goldgierige in der Zaubernacht zum Heiligthum der in Märchen verwehten Urbewohner des Thals.

Ein Tauernwindstoß – die Wildfrauen verschwinden im Stäuben des Sturzes, und es erheben sich, in geschabte Felle gekleidet, mit Schlägeln in den Fäusten, Gestalten der Ambisonten und Ambidraven. Das sind Kelten. Von einer Sage gelockt, kamen die Stämme, deren Ahnen einst vielleicht in den taurischen Bergketten Hochasiens nach Gold geschürft hatten, auf ihrem Wanderzuge von Südost nach Nordwest zu den Geröll-Lagern beim Naßfeld und fanden gewiß schon die Spuren älterer Arbeiten im goldhaltigen Gestein. Den Fluß südlich der Berge nannten sie Drava (Drau), den nördlich derselben Isonta (Salzach); sie selbst wurden nach beiden Flüssen geheißen; von Ambisontes stammt das spätere deutsche Bisonz-Gawe, davon das heutige Wort Pinzgau. Gar nichts ist von diesen norischen Keltenstämmen erhalten; nur Spuren ihrer Sprache haften noch an den flüchtigen Wassern. Aber auch Vieles, was einheimische Geschichtsauffassung der Arbeit von „Römern“ zuschrieb, beispielsweise die Spuren „römischer“ Meißel an den Wänden über der benachbarten Kitzlochklamm, dürfte von Kelten vollbracht worden sein, unter deren beliebteste Thätigkeiten der Bergbau gehörte.

Im flüchtigen Tanze der Gestalten mag der Fremdling noch gar viele andere Aufzüge angedeutet sehen. Auf Maulthieren bringen – die Gastuna und ihre Berge sind längst von den römischen Soldaten dem Lande Noricum beigefügt worden – römische Söldlinge Salz von Juvavum (Salzburg) nach Aguntum (Innichen) oder Aquileja. Jahrhunderte vergehen, und andere Karawanen klingelnder Tragthiere schleppen die Ausbeute der Goldgruben über den Korntauern nach Venedig, oder Wein, Seide, Früchte aus wälschen Gauen den Kaufhäusern des Nordens zu. In einer Zeit, in welcher auch die „Straßen“ sich nicht von einem Saumpfad unterschieden, besann man sich nicht, nähere Pfade

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_500.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2021)