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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


In lang ausgedehnter Siesta läßt die Gesellschaft des Tages Hitze über sich hinwegziehen, bis der vorwärtstreibende, alle Welt bewegende Magen auch diese Schläfer wieder aufrüttelt und sie zur Weiterjagd und Weiterwanderung zwingt. Plötzlich tönt von der Spitze des Zuges her ängstliches, lautes Pfeifen. Ein Feind – ein Ocelot, eine Tigerkatze oder auch ein menschlicher Jäger ist gewittert, und sofort, in rasender Eile, stürmt die ganze Gesellschaft die zunächst stehenden Bäume hinan und zerstreut sich auf die weitausgreifenden Aeste, – von Baum zu Baum geht die Flucht weiter. Bei Verfolgung durch Thier oder Menschen springen die Coatis, falls die Noth sie zwingt, von den Endspitzen solcher Zweige, die keine weitere Verbindung zu anderen Bäumen haben, auf den Boden herab, hier kräftigst Reißaus nehmend. Dergleichen Sprünge werden aber nur in Verzweiflungsfällen gewagt; gewöhnlich bewegen die Thiere sich auf den Aesten mit großer Vorsicht, obwohl sie, wie man bei ihren Spielen im Gezweige bemerken kann, an Gewandtheit den Affen, Mardern und Katzen kaum nachstehen; sie klettern bedächtig kopfunten stammabwärts, um nach Bedürfniß einen andern Baum zu besteigen. Am Boden erscheinen ihre Bewegungen in der Ruhe schwerfällig und unbehülflich. Der hocherhobene, kaum mit der Spitze übergebogene Ringelschwanz giebt diesen Geschöpfen aber etwas unendlich Possirliches.

Unter den Feinden der Nasenbären ist der Mensch nicht zum wenigsten gefürchtet. Weiße und Farbige stellen dem Coati mit gleichem Eifer nach. Erstere betreiben seine Jagd mit der Meute hauptsächlich als unterhaltenden Sport, obgleich nebenbei der Braten, welchen das Wildpret gewährt, vorzüglich der der jungen Thiere, ein ausgezeichneter ist, auch das Fleisch der Alten noch als sehr wohlschmeckend gerühmt wird.

Da es verhältnißmäßig leicht ist, in den Besitz lebender Nasenbären zu gelangen, sind sie häufig angetroffene Hausfreunde bei Weißen und Indianern, welche Letztere ja große Thierliebhaber sind. Die Anspruchslosigkeit des Coati unterstützt diese Liebhaberei ausnehmend. Milch, Früchte und Fleischabgänge sind ihm angenehme Nahrung. Man hält ihn nicht im Käfige, sondern mittelst Halsbandes und Riemens an einen Pfosten gebunden; niemals versucht er, die Fessel zu durchbeißen, und fügt sich überhaupt willig in jede Veränderung seiner Lage. Wiewohl er einen hohen Grad von Zahmheit erlangt, ja über ihm gewährte Liebkosungen die lebhafteste Freude äußert und seine menschlichen Freunde zum Streicheln und Ohrenkrauen zudringlich auffordert, wahrt er dennoch ganz entschieden seine Selbstständigkeit. Er spielt und tändelt nur, wenn es ihm genehm ist; er läßt sich hudeln und selbst am Schwanze ziehen, solange er dazu aufgelegt ist, empört sich jedoch offen mit kräftigem Gebiß und scharfen Krallen gegen jeden Zwang und schont selbst nicht im mindesten seine vertrauten Freunde. Hunde sind ihm sehr unsympathisch; meist schreitet er sofort ohne allen Grund zum Angriffe gegen solche, die sich in seinem Bereiche zeigen.

Wenn die alten Herren, die Einsiedler, sich wieder zum befreundeten Familienstamme begeben haben, kommt ein reges Leben in die ganze Genossenschaft. Nicht so leicht ist es, aus den Herzen der Weibchen die Neigung zu den auf langer Wanderschaft freundgewordenen jüngeren Männchen zu reißen; noch weniger wollen diese ihr wohlerworbenes Recht durch den alten Isegrimm, der sich so lange Zeit nicht um das Wohl und Wehe seiner Angehörigen gekümmert hat, beeinträchtigen lassen; da setzt es blutige Köpfe und Bälge. Ernsthafte Raufereien sind an der Tagesordnung, mit den ansehnlichen, keilförmigen, meißelscharfen Eckzähnen bringen sich die Kämpfer tiefe, klaffende Wunden bei, und lange schwankt der Kampf. Alle Gewandtheit, Kraft und Geschmeidigkeit wird aufgeboten, bis der Besiegte das Feld zu räumen gezwungen ist und der Triumphator die Vortheile des mühsam erworbenen Lorbeers genießt.

Mit dem October, der in Südamerika unserm gefeierten „wunderschönen Monat Mai“, dem Frühlingsideale, entspricht, erblicken die Jungen das Licht der Welt. In recht heimlichem Verstecke hat die Mutter eine Höhlung im modernden Baumstamm oder unter Wurzelwerk hergerichtet, wo ihre Kinder die erste Lebenszeit zubringen. Rasch erstarken sie und verlassen bald mit Mama den gastlichen Schlupfwinkel, ja so eilig haben sie's, sich dem Corps der älteren anzuschließen, daß manche, die man als Glieder des größeren Verbandes antraf, kaum ihre Schneidezähne erhalten hatten. Auch in der Gefangenschaft in Europa hat man öfter die Freude gehabt, junge Coatis zu züchten, doch sind dies nur sehr vereinzelte Fälle.

Besonders glücklich war der zoologische Garten in Breslau, dessen ausgezeichneter Leiter Dr. Schlegel wiederholt das Glück hatte, von seinen Pfleglingen Junge zu erzielen, die er auch glücklich auferzog. Er war es, der mich rief, an seiner Freude theilzunehmen, und reich lohnte das sich bietende Schauspiel den Ausflug. Im Angesichte der Familie schrieb ich meine Beobachtungen über sie für „Brehm's Thierleben“ nieder, an welche Darstellung ich mich im Nachfolgenden wesentlich halte.

Zehn Wochen waren die jungen Thiere alt, als ich sie besuchte; sie bewohnten einen geräumigen Käfig, der am Boden theilweise mit Stroh bedeckt war und einen reichgegliederten Kletterbaum enthielt. Die Alte ruhte auf der Fläche des Kreuzbeines, Rücken und Schultern in eine Ecke gelehnt, Beine und Schwanz mir entgegengestreckt. Lebhaft beschäftigte sie sich mit der Toilette ihrer fünf Kleinen, die, an ihren Zitzen hängend, sich dem behaglichen Genusse des Frühstücks hingaben. Fünf braungraue, birnenförmige Haarballen mit je einem hell und dunkel geringelten Schwänzchen, die strahlenartig von der Mutter als Mittelpunkt ausgingen, bildeten für Letztere ein so eigenartiges Geschmeide, daß es kaum noch des leise bewegten mütterlichen Hauptes bedurfte, um einen hochkomischen Eindruck zu erzielen. Mein Hinzutreten brachte bald Wechsel in das Bild; denn die Aufmerksamkeit der menschengewöhnten, spielgeübten Alten wandte sich mir zu. Neugierig erhob sie sich vom Lager und versuchte ihre Jungen abzustreifen. Die aber hielten fest bis auf eines, welches, da es noch schlaftrunken ihr vor den Füßen umhertaumelte, beiseite geschoben wurde; die anderen Beharrlichen schleifte Mütterchen unverdrossen auf dem Boden entlang bis zum Gitter des Käfigs. Erst nach längerer Zeit, als Mama schon längst angelegentlich meine Bekanntschaft gemacht und sich meiner Freundschaft versichert hatte, ließen die Kleinen von ihr ab, und da sie sofort in kindliche Schäkerspiele eintraten, gaben sie mir Gelegenheit zu umfassender Musterung. Von den Alten unterscheiden sie sich nur durch die Kinderformen der runden Köpfe mit den großen Augen und noch sehr kurzen Schnauzen, sowie durch kleine Füße und Schwänze; in der Farbe stimmen sie fast völlig mit jenen überein. Dennoch ist der Gesammteindruck ein durchaus anderer, und in einer Gruppe von fünf gleichgezeichneten, koboldartig sich tummelnden kleinen runden Gestalten wirkt die zierliche Farbenvertheilung im höchsten Grade komisch. Die glänzend schwarze Nase, welche fortwährend in schnüffelnder Bewegung ist, das verlängerte Gesicht, die von mehreren verschieden geformten weißen Flecken umgebenen, harmlos dummblickenden, glänzend schwarzen Perlaugen, die zackig braun und weiß gezeichneten Wangen, der hochgewölbte Schädel mit den vielbewegten Ohren, dazu der bärenartig rundliche Körper mit dem immer aufrecht getragenen Ringelschwanze bilden ein so absonderlich belustigendes Ganze, daß ich mich nicht erinnere, jemals drolligere Erscheinungen gesehen zu haben.

Um unserer neuen Freundschaft eine solide Basis zu verschaffen, hielt ich es für an der Zeit, Futter zu reichen. Eine todte Maus und bald darauf eine Ratte wurden von der Alten schleunigst acceptirt, in den Kopf gebissen, als sollte die Todte noch mehr getödtet werden, und vom Schwanz-Ende an verzehrt. Letztere Eigenthümlichkeit – andere Thiere beschließen gewöhnlich mit dem Verspeisen des Schwanzes ihrer Beute das Mahl – wurde mir vom Wärter der Thiere als constant bezeichnet. Daß die Alte die prächtigen Bissen für sich allein in Besitz nahm, war eigentlich ganz gegen meinen Wunsch und Willen, sowie auch gegen die lebhaft ausgedrückte Begierde der Kleinen. Wahrscheinlich wußte aber Mama besser, als ich, was ihren Kindern gut sei; denn energisch verweigerte sie ihnen Alles, schnarrte ärgerlich auf, stieß nach rechts und links die Jungen weg und schleuderte sie, als sie in ihrer Zudringlichkeit nicht nachließen, mit den Vorderfüßen seitwärts und hinter sich. Die Jungen rafften sich flink auf, umstanden die schmausende Alte voller Theilnahme und Begierde, die schnüffelnde Nase in ewiger Bewegung, sämmtliche fünf Schwänze in die Höhe gereckt und nur zuweilen mit deren Spitzen nach Katzenart kleine Kreise beschreibend – ein köstliches Bild jugendlicher Begehrlichkeit. Endlich war der saftige Braten verzehrt bis auf ein kleines Stück, das jedoch, um es den Kleinen vorzuenthalten, in einem diesen unerreichbaren Loche, einen halben Meter über dem Boden, niedergelegt und mittelst der langen beweglichen Nase

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_510.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)