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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Zeit ihre Tücher geschwenkt und angesichts der uniformen, in strammem Schritt einherschreitenden Turner unaufhörlich: „Gut Heil!“ gerufen haben. Es war wohl natürlich, daß Turner, an deren Land irgend welche nationale Erinnerungen geknüpft wurden und die sich durch ihre stramme Haltung oder durch die große Zahl der Vertreter auszeichneten, besonders freudig begrüßt wurden. Die Landsleute Frankfurts, die leutseligen Sachsen, die Schwaben, die lustigen Berliner, die Deutsch-Oesterreicher, die freien Schweizer und die befreiten Lothringer erfreuten sich einer allgemeinen Aufmerksamkeit. Der etwas massive Klang unseres dreifachen „Gut Heil!“ als Gruß und Glückwunsch war Vielen befremdlich und wird sich erst noch in den Herzen der Volksangehörigen Bürgerrecht erwerben müssen. Die beiden schweren Silben wirken entschieden markiger und drastischer, als das aufhüpfende, jubelnd emporsteigende „Hurrah“ mit angehängtem, lang austönendem â.

Der Festzug bewegte sich über die Wall- und Schulstraße in Sachsenhausen, aber den Schaumainquai und die neue Unter-Mainbrücke, über die neue Mainzerstraße nach dem Bodenheimer Thor, durch die Bodenheimergasse über den Goethe-Platz und Roßmarkt, durch die Kaiserstraße bis zur Kühlung spendenden Fontaine des Herrn von Erlanger. Hier fand zu großer Freude der Betheiligten ein freilich nicht langer Gegenzug statt, sodaß Jeder seine nächsten Vorder- und Hintermänner begrüßen konnte. Der an der Fontaine vor dem „Frankfurter Hofe“ angebrachte Denkspruch ist werth hier verzeichnet zu werden:

„Das Wasser macht die Menschen dumm,
Die Jungen und die Alten,
Drum geht der Zug hier drum herum.
Wenn’s Wein wär’, blieb er halten.“

Sodann ging es wieder zum Roßmarkt, die Zeit, die Fahrgasse, Brückhof-, Fischerfeld- und Langestraße hinab, weiter die Allerheiligen-, große Friedberger- und Altegasse entlang.

Die engen alten Straßen, Großmütter gegenüber den neuen stattlichen Landstraßen, hatten durchschnittlich ein bescheideneres Gewand angelegt, aber meinten es nicht minder herzlich.

Am Triumphbogen der Alten Gasse stand:

„Wo freie deutsche Herzen walten,
Da läßt’s die Altegass’ beim Alten;
Wird Friede alle Welt erfreuen,
Hält’s auch die Alt’gass’ mit dem Neuen.“

Durch die Bleichstraße gelangte man zum Friedbergerthor, und durch die Friedberger Landstraße nach der „dicken Oede“ des Barons M. E. von Rothschild und nach dem Festplatze.

Nun, kein Frankfurter kann sich darüber beklagen, daß ihm nicht hinreichende Gelegenheit geboten worden sei, den Festzug zu sehen. Ja, es haben ihn alle Frankfurter so gut gesehen, daß die Tribüne auf dem Festplatze als überflüssig – leer stehen blieb.

Nach etwa dreieinhalbstündigem Marsche traf gegen zwei Uhr der Zug auf dem Festplatze ein und wurde von dem Centralausschuß und den Behörden begrüßt. Nachdem die Spitze des Zuges den Uebungsplatz bis zur Festhalle, vor der Bundesfahne vorbeidefilirend, umzogen hatte, ordneten sich die Freiübungsturner zu Achterreihen, welche bis an den Eingang zu dem Freiübungsplatze geführt wurde. Vermittelst der aufgestellten Richtfähnchen gelangten die 2016 Freiübungsturner in 311/2 Reihen von je 64 Mann zur Aufstellung. Als die Reihen gerichtet waren, übergab der Vorsitzende des Festausschusses, Franz Fabricius, den Festplatz den Turnern mit folgende Worten, die laut und vernehmbar vom Steigerthurm erklangen:

„Deutsche Turner, Gäste und Freunde aus dem Auslande! Willkommen, herzlich willkommen, alle Ihr Brüder! Euch deutschen Turnern mag wohl jetzt das Herz höher schlagen in dem Bewußtsein, daß das Auge der gesammten Nation nicht allein auf Euch ruht, sondern daß die Blicke des ganzen Auslandes, das den gleichen Bestrebungen huldigt, wie Ihr, auf Euch gerichtet sind. Nun denn, Ihr Turner, in diesem Bewußtsein thut Euer Bestes! Tretet frisch heran zum Wettkampf! Seid fromm und blickt ohne Neid auf den Sieger, gebt keinem andern Gedanken in Eurem Herzen Raum, als dem: ‚Ich will mir Mühe gebe, es ebenso gut zu machen suche, wie Du!‘ Seid fröhlich, daß es Euch vergönnt ist, an einem solchen nationalen Feste theilzunehmen, und daß Ihr hier Euren Freunden aus dem Auslande die Bruderhand drücken könnt. Wenn Ihr diese drei Worte Eures Wahlspruches wahr macht, Ihr Freunde, dann könnt Ihr frei vor Jeden hintreten, die Hand auf’s Herz legen und sagen: Ich bin stolz darauf, ein Turner zu sein. Und so denn, Ihr Männer, so denn, Ihr Turner, übergebe ich Euch im Namen des Centralausschusses diese Stätte zum schönsten Wettkampfe. Tretet an, kämpft dem Vaterland zur Freude, der gesammten Turnerschaft zur Ehre! Und daß dieses Fest gelinge, daß wir unseren Zweck erreichen und dadurch die Turnerschaft immer mehr zur Ehre und Anerkennung bringen, Ihr Brüder, darauf bringt ein dreifaches Gut Heil!“

Nach diesen mit jubelndem Einstimmen aufgenommenen Worten übernahm der Festturnwart Gottlob Danneberg das Commando für die sechszehn mit vier größeren Pausen auszuführenden Freiübungen. Zweimaliges Läuten mit dem um den Freiübungsraum gelegten elektrische Apparat verkündete Anfang und Ende einer größern Pause. Die Ausführung der Freiübungen wurde durch Fahnenschwenken und durch einfache Glockenschläge geregelt. Trotz einiger Schwankungen erscholl mehrfach von den Lippen der ringsum gelagerten Zuschauer ein allgemeines Bravo. Es wird stets ein überwältigender Anblick sein, Tausende augenblicklich dem Winke eines Einzigen folgen zu sehen.

Der Himmel war diesem Theile des Programms günstig. Ein Gewitter, das im Anzuge war, hatte sich verzogen. Ein scharfer Nordwest wehte, und der Himmel war mit schwarzen Wolken bedeckt, aber es kam vorläufig nicht zu störendem Regen.

Den Schluß der Freiübungen verkündete ein Böllerschuß. Der Abmarsch der Freiübungsturner erfolgte Arm in Arm durch Umzug in Achtercolonne vom rechten Flügel. Freudig stimmten die Turner ein in den Gesang des Liedes: „Deutschland, Deutschland über Alles“, vollendeten den Abmarsch und eilten, die Reihen auflösend, den Erquickung spendenden Hallen zu.

Die Uebungen der Musterriegen in Kreisen, Vereinen und Gauen begannen am Sonntag bald nach den Freiuebungen, wurden aber des Regenwetters wegen eingestellt und erst am Montag Morgen um acht Uhr wieder aufgenommen.

In den spätesten Nachmittagsstunden des Montags führte eine Riege aus Birmingham auf dem für die auswärtigen Gäste abgesteckten Raum das Keuleschwingen vor und legte darin eine solche Fertigkeit an den Tag, daß allgemeiner Beifall sie belohnte. Die birkenen, drei Fuß lange Keulen haben die Gestalt von Flaschen, deren ausgezogener Hals die Länge des Bauches hat.

Ein dichter Kreis von Zuschauern endlich, den zu durchbrechen selbst Kampfrichtern und Obmännern mit Mühe nur vermöge ihrer Amtsinsignien gelang, umgab diejenigen englischen Turner, welche den deutschen Genossen ein Probestück ihres nationalen Sports, des Boxens, vorzeigen wollten. In enganschließender wollener Bekleidung traten die Gegner paarweise auf, die Fäuste bewaffnet mit dicken, weichledernen, fettgepolsterte Handschuhen, und die regste Aufmerksamkeit verfolgte ihre Uebungen.

Zu allgemeiner Befriedigung verlief das erste große Feuerwerk am Montag Abend, veranstaltet von dem königlichen Hofkunstfeuerwerker Bidacowich aus Höchst. Noch größeren Eindruck machte und von ergreifender Wirkung war das dem Feuerwerk vorangehende Nachtmanöver der freiwilligen Feuerwehr an dem drei Stockwerke hohen Steigerthurme. Fingirt war für die Uebung die Unbenutzbarkeit der Treppe bis zum zweiten Stocke in Folge eines ausgebrochenen Feuers.

Das Festbanket am Montag für die beinahe dreitausend Personen hat der gewaltigste Despot, der Hunger, und die Macht der Elemente, die das Gebild der Menschenhand hassen und das Dach der Festhalle zu durchbrechen drohten, leider nicht so glänzend verlaufen lassen, wie es sicherlich angelegt und vorbereitet war. Eine große Anzahl von Gästen konnte nicht bedient werden, weil noch vor Thoresschluß, das heißt wenige Stunden vor dem Beginn des Festmahles, aus Nachgiebigkeit des Comités Anmeldungen in Menge angenommen worden waren, trotz der Ankündigung, daß am Vorabend die Theilnehmerliste geschlossen werden sollte. Während eines grausen Gewirrs von Messerklappern, Gläserklingen, Trompetenstößen erhob sich ein Nordoststurm, der einen wahren Wolkenbruch mit sich brachte. Der Regen ergoß sich in Strömen durch die Fugen des Daches auch in die Gläser auf den Tischen. Da bewahrte nebst manchen anderen fröhlichen Leuten der akademische Turnverein aus Berlin eine wünschenswerthe Kaltblütigkeit und sang, was der Festausschuß durchzusetzen nicht im Stande war, zwar nicht an seiner Tafel, aber um einen Hallenpfeiler gedrängt, zur Freude aller Umstehenden die programmmäßigen Tischlieder ab.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_574.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)