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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

in die Oberförsterei zu einem Plauderstündchen kam, es wob sich immer ein Stückchen echter Poesie wie ein duftiger grüner Tannenkranz um seine Gestalt, die gleichwohl nur undeutlich aus dem Rahmen der Erzählungen hervortrat. Denn von den damals lebenden Mitgliedern der Familie hatte ihn selbstverständlich Niemand mehr gekannt, und nur meine hochbetagte Urgroßmutter erinnerte sich, ihn einmal gesehen zu haben, da er wie ein Einsiedler in dem rothen Hause mit einem alten Factotum von Diener gelebt, der Köchin und Gesellschafter zugleich war.

„Ich weiß es noch wie heute,“ pflegte sie zu erzählen, „ich saß auf der Gartenmauer und aß Weintrauben; so ein acht- oder neunjährig Ding mochte ich dazumal sein; es war ein kalter Octobertag; wir hatten schon Nachtfröste gehabt, und die Trauben hatte der Fuchs geleckt – darum schmeckten sie so süß. Da kam ein Mann aus der Schloßgartenpforte heraus, langsam und bedächtig; wundersam sah er aus, seine Kleider waren altmodisch, aber wohlerhalten, und sein Haar und Bart silberweiß. Erstaunt blickte ich ihn an und sah ihn näher kommen; er schritt an unserer Mauer entlang, und gerade als er an der Stelle war, wo ich mich neugierig hinüberbog, schaute er empor und – ich weiß nicht mehr, wie er ausgesehen, nur das weiß ich noch, daß ihm Thränen in den Augen standen und auch ein paar Tropfen in dem weißen Barte hingen, und daß ich unwillkürlich und sehr respectvoll „Guten Tag!“ zu ihm sagte. Ob er meinen Gruß erwidert hat, erinnere ich mich nicht mehr. Eine halbe Stunde später aber flog die Kunde durch's Städtchen: Prinz Christian sei todt, und sein so lang verfeindeter Jugendfreund habe an seinem Sterbebett gestanden und ihm die Augen zugedrückt, nachdem sie sich versöhnt.“

So meine Großmutter. Und nun gab es geheimnißvolles Vermuthen und unnützes Kopfzerbrechen noch hinterher, wie es gekommen sei, daß jene Beiden, die eine glühende Jugendfreundschaft verband, sich so plötzlich trennten. Mitunter wurde ein Frauenname dazwischen geworfen, aber Niemand wußte Näheres, und nur das Eine stand fest: der Unterthan kündigte dem Prinzen die Freundschaft, und so oft auch dieser ihm die fürstliche Hand zur Versöhnung bot, sie wurde mit einer an Verachtung grenzenden Kälte zurückgewiesen, ohne daß die Geduld und Langmuth des Prinzen sich je erschöpfte; als aber der Oberförster, alt und grau geworden, sein Amt niederlegen wollte, da wurde das „rothe Haus“ ihm als Eigenthum zugewiesen und die Oberförsterei in ein neues Gebäude, näher dem Städtchen, verlegt. Und der Einsiedler, der sich sonst schroff und abweisend der fürstlichen Huld gegenüber verhielt, machte in diesem Falle eine Ausnahme und nahm es dankbar an, sein Leben dort beschließen zu dürfen. Nach seinem Tode fiel das Haus an die Herrschaft zurück, laut einer Clausel im Testamente des Prinzen Christian aber blieb es unbenutzt stehen; die Zimmer wurden belassen wie zu Lebzeiten des Besitzers, und nur selten sah die gewölbte Halle einmal eine bunte Jagdgesellschaft, wenn gerade in diesem Revier gejagt wurde und die Zeit zu einem Imbiß gar zu knapp bemessen war, um nach dem eine Meile entfernten Jagdschlößchen zu fahren.

Und allmählich schwand das Interesse für den Mann, über den seiner Zeit das ganze Ländchen den Kopf geschüttelt. Die Alten starben, und die Jungen nahm das Leben mit all seinen Anforderungen an die rastlos klopfende Brust. Auch ich hatte lange nicht an den längst begrabenen Uronkel im grünen Harzwalde gedacht.

Gestern Abend nun hatte plötzlich Onkel Oberförster das Gespräch wieder auf jenen Mann gebracht, mir, nachdem Manches hin und her geredet worden, ein Päckchen vergilbter Papiere übergeben und mir mit fast feierlichem Tone gesagt, ich möge sie dort lesen, wo diese Zeilen dereinst geschrieben seien – im rothen Hause; es sei die Lebensgeschichte des Verstorbenen.

„Ich bin noch nicht gar lange im Besitze des Manuscriptes,“ hatte er hinzugefügt, „durch einen wunderlichen Zufall kam es in meine Hände; der Pastor in Bergerode – doch das erzähle ich Dir ein anderes Mal.“

Und dort unten am Ende des schattigen Weges, tief hineingebettet in des Buchenwaldes Schweigen, tauchte nun das rothe Gemäuer des einsamen Hauses auf; plump und unschön lag es da mit seinem runden ziegelgedeckten Thurme und den unregelmäßigen Fensterreihen. Eine tiefausgetretene Sandsteintreppe führte zu der hohen Hausthür, auf jeder Seite hielt eine uralte knorrige Linde Wacht, mit einem steinernen Ruhebänklein darunter. Es mochte wohl schon Jahrhunderte überdauert haben, dieses einsame Jägerhaus, und Zeuge gewesen sein der Waidmannslust längst dahingegangener Geschlechter.

Meine Cousine schritt jetzt etwas rascher voran unter den hochaufstrebenden Buchen; die durch das Blättergewirr fallenden Sonnenstrahlen huschten goldig über ihre schwebende Gestalt und ich blieb stehen und sah sie die moosbewachsenen Stufen der Treppe emporschreiten, die reizendste Staffage zu dem alten Hause. Dann schaute sie sich nach mir um. Ueber ihr krönte ein prächtiges Hirschgeweih die hohe eisenbeschlagene Thür, auf deren einem Flügel ein Käuzchen festgenagelt war, das Gefieder von Sturm und Zeit zerweht und zerzaust. Die in unzählige kleine Scheiben geteilten Fenster blickten schläfrig und erblindet in das üppige Waldesgrün hinaus; Haselbüsche und junger Buchennachwuchs hatten sich bis dicht an die alten Mauern gedrängt und schauten neugierig in die Fenster hinein, den Sonnenstrahlen jeglichen Eingang verwehrend; es wehte schier ein zauberhafter Friede um dieses alte Jägerheim.

Frieda war ungeduldig geworden. „Kommst Du?“ rief sie, und ließ den eisernen Klopfer der Thür auf die Metallplatte fallen, daß der Schall dröhnend aus dem Hause zurückhallte. Ein Schwarm Dohlen erhob sich vom Thurme, umkreiste ihn erschreckt und schwang sich dann kreischend in den blauen Himmel empor, von innen aber erscholl heiseres Hundegebell und gleich darauf ein freudiges Schnuppern hinter der Thür.

„Diana, Diana!“ rief das Mädchen leise, „geh, hole den Alten! Es ist Besuch draußen.“

Bald hörten wir schlürfende Tritte, ein Schlüssel wurde kreischend herumgedreht, und ein alter gebückter Mann mit silberweißen Haaren und eigenthümlich scharfen Augen, die den Jäger sofort kennzeichneten, öffnete die Pforte.

„Das ist mein Vetter Ulrich, Wendenburg! Er will das rothe Haus sehen,“ begann Frieda und überschritt die Schwelle. „Vater läßt bitten, Ihr sollt ihm die Zimmer des alten Herrn aufschließen. – Ich komme zu Eurer Frau; hoffentlich ist's nichts Schlimmes?“

„Schön Dank,“ antwortete der Alte brummig, ohne mich eines Blickes zu würdigen; nur die Thür öffnete er etwas weiter, um mich einzulassen. Wir waren indessen in einen hallenartigen Flur getreten, der reich decorirt war mit Hirschgeweihen und Rehkronen; über einem hohen Kamine hing das nachgedunkelte Oelbild eines verwegen dreinschauenden Mannes in mittelalterlichem Jagdcostüme; Hundeköpfe und ein schnaubendes Pferdehaupt mit fliegenden Mähnen schaueten ihm zur Seite von der Wand herab.

„Hakelnberg, der wilde Jäger,“ erklärte Frieda beiläufig, und bedeutete mich, dem vorausschreitenden Alten ein paar ächzende Stufen hinauf zu folgen. Der Hund raste wie toll hinter ihm drein und sprang an ihm empor, als er jetzt stehen blieb, um in einer gewölbten Nische der ungefügen Mauer eine niedrige Thür aufzuschließen. Gebückt trat ich hinter Frieda ein.

„So, da hätte ich Dich hergebracht,“ sagte sie, „wie ich es dem Vater versprach. – Und nun, Wendenburg, kommt zu Eurer Frau; ich bringe ihr die Tropfen; es ist doch wieder die alte Geschichte, nicht?“

Der alte Mann antwortete nicht; er rückte ein paar Stühle und fuhr mit dem Rockärmel über die eingelegte Platte des massiven Tisches.

„Wenn der Herr mich braucht, ich bin im Hinterstübchen,“ murmelte er, „meine Frau schläft jetzt grad'; möcht' sie nicht wecken – werd' das Fräulein rufen, wenn sie aufwacht.“ Dann flog die Thür hinter ihm zu, und wir waren allein.

Im ersten Augenblick machte das Mädchen eine hastige Geberde, als wolle sie ihm nacheilen; ich sah, wie das bleiche Gesicht von einer purpurnen Röthe übergossen wurde; dann kam sie zurück und setzte sich in einen Lehnstuhl, der am Ofen stand. Sie schloß die Augen und jeder Zug ihres Gesichtes schien zu sagen: „Gott, wie unangenehm und langweilig, aber ich fürchte mich nicht vor dem Alleinsein mit Dir; Gott bewahre, es ist mir ganz und gar gleichgültig.“

Das ließ sich nun seltsam an, und jetzt wäre es wohl Zeit für mich gewesen, zu fragen: „Frieda, warum bist Du fremd gegen mich? Was that ich Dir? Hast Du mich nicht mehr lieb?“ Dies Alles lag mir auf den Lippen, und doch schwieg ich und wandte mich verletzt ab; sie sah so eiskalt aus, so unnahbar, und ich hatte ein gutes Gewissen. Ueberdies war mir erst kürzlich von einem Freunde gerathen worden, man müsse die Frau vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_595.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)