Seite:Die Gartenlaube (1880) 601.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Deutschland auch das zweite Drittel der etwaigen Ergebnisse behalten sollte. Späterhin verstand sich sogar die Pforte dazu, auch noch das letzte Drittel dem deutschen Reiche gegen eine ganz geringfügige Geldentschädigung zu überlassen.

Die Ausgrabungen selbst nahmen einen überaus erfreulichen Verlauf. Die ersten von Humann gefundenen Reliefplatten hatte man inzwischen mit Sicherheit als Fragmente der Gigantenschlacht erkannt, mit welcher Attalos den Zeus-Altar zu Pergamon schmücken ließ, und es handelte sich zunächst um die Feststellung des Platzes auf dem ausgedehnten Gebiet der Akropolis, an welchem dieser Altar einst gestanden haben mochte. Humann sagte sich nun, daß man sicherlich für die Errichtung des großen Prachtbaues einen Punkt erwählt haben würde, der schon von großer Ferne aus sichtbar erscheint, und fand eine Stelle des Berges, welche man sogar von der Meeresküste aus deutlich erkennen konnte.


Karl Humann.
Zeichnung und Holzschnitt von August Neumann.


Dort ist bis heute noch ein Gesträuch stehen geblieben, bei welchem Humann seinen Stock in die Erde stieß mit den Worten: „Hier muß der Zeus-Altar liegen.“ Auf diesen Punkt zu ließ er zwei Gräben ziehen.

An einem Montag, dem 9. September 1878, hatten die Arbeiten begonnen, am nächsten Tage fanden sich mehrere große Reliefs, und am Mittwoch bereits traf man zugleich mit dem Funde der elften Reliefplatte auf die Grundmauern des Altars, sodaß Humann hocherfreut nach Berlin telegraphiren konnte: „Der Zeus-Altar ist gefunden.“ Erst am 6. December 1879 wurden die Arbeiten eingestellt. Nachdem der Altar von den Erdanschwemmungen freigelegt worden, ergab sich, daß er aus einem mit Marmor bekleideten Massenblock von 37 Meter Länge und 34 Meter Breite bestand, in dessen südliche Schmalseite eine Treppe eingebaut war. In der Mitte des kolossalen Unterbaues erhob sich eine kleine Erhöhung von einigen Fuß, welche die eigentliche Opferstätte bildete. Der Unterbau ist verziert, indem man zunächst vier breite Stufen ringsum gelegt und dann eine Plinthe (Unterlagsplatte) mit kleinem Abschluß aufgesetzt hat, in welchem die Namen der darüber befindlichen Figuren des 2,30 Meter hohen Reliefs standen. Jetzt folgte ein Hauptgesims, welches 80 Centimeter vorstand, um die Bildwerke gegen Sonne und Regen zu schützen. Auf dem Rande dieses so verzierten Unterbaues erhob sich endlich noch eine Colonnade von 10 Fuß hohen ionischen Säulen, welche durch ein flaches Dach gedeckt wurden; auf diesem Dache wiederum befanden sich zahlreiche freistehende Statuen. Von dem Fries, welcher außer den Stellen an beiden Treppenwangen 107 Meter, zusammen mit denselben wahrscheinlich etwas mehr als 133 Meter an Länge haben mochte, sind drei Fünftel aufgefunden worden; ein Drittel der gefundenen Sculpturen besteht aus mehr oder weniger gut erhaltenen Platten, von denen einzelne sich an einander fügen, während größere und geringere Fragmente den Rest ergeben.

Die Darstellung des Schlachtgebildes ist von außerordentlicher Lebendigkeit; vor Allem zeichnen sich die beiden Hauptgruppen des Zeus und der Athene aus, welche gegen die Giganten siegreich vordringen. Bei den Göttern sind die Züge der intelligenten, siegreichen Griechen, bei den Giganten ist die Gesichtsbildung roher, nordischer Gegner nicht zu verkennen. Wir haben eben auch in diesem Werke nichts Anderes vor uns, als eine Verherrlichung der Pergamener-Siege im Gewande der griechischen Mythe. Die Figuren sind voll ausgearbeitet und können nur noch insofern als Reliefdarstellungen bezeichnet werden, als sie sich stellenweise gegen die Marmorwand anlehnen. Die Körperformen bekunden ein eingehendes Studium der Natur, während die Ausführung des Details sich mit derjenigen bei Arbeiten der besten griechischen Kunstepoche zu messen vermag.

Außer dem Gigantenkampf fand sich noch ein zweiter Fries, der nur 1,58 Meter hoch ist und eine Darstellung der Sage des Telephos, des Stadtheros von Pergamon, enthält. In Auffassung und Durchführung steht dieses Werk dem Gigantenkampf gleichberechtigt zur Seite. Hiervon wurden bisher 36 Platten gefunden.Wo dieser Fries gestanden hat, ist nicht genau zu bestimmen.

Ferner ergaben die Ausgrabungen eine Ausbeute von 50 isolirten Statuen, 150 Inschriften und einer großen Fülle architektonischen Materials, welches sich besonders bei der gleichfalls auf der Akropolis vorgenommenen Freilegung des Augusteums und des Gymnasiums vervollständigte. Die sämmtlichen Marmore, welche nach Berlin geschickt wurden, hatten ein Gewicht von 7000 Centner und waren in 463 große Kisten verpackt. 2700 Centner kommen auf die Gigantomachie, 300 auf die Telephos-Sage und das Uebrige auf Statuen, Architekturen, Vasen etc. Erwähnenswerth ist auch die Art des Transportes. Für diesen Zweck ließ Humann einen den Berg in Schlangenwindungen hinabsteigenden Fahrweg bauen und die einzelnen, 30 bis 60 Centner schweren Kisten auf von Büffeln gezogenen Schlitten hinabbefördern. Da aber bei dieser Art von Fortbewegung wegen der Steilheit und Schlüpfrigkeit des Weges, an dessen Seiten tiefe Abgründe gähnten, die Kunstschätze oft in Gefahr kamen, hinabzustürzen und zu Grunde zu gehen, so wurden später die Thiere durch Menschen ersetzt, und es beförderten nun 40 Arbeiter die Lasten bis zum Meere. Hier wurden die Kisten bei der Hafenstation Dikeli auf Lichterschiffe geladen und gelangten dann in acht Stunden nach Smyrna; von dort erfolgte der Weitertransport durch die europäischen Dampfer nach Triest, dann weiter mit der Bahn nach Berlin. Später wählte man den Seeweg bis Hamburg und führte die Sculpturen auf Flußschiffen durch die Elbe, Havel und Spree bis dicht vor das Berliner Museum.

Endlich will ich noch bemerken, daß die sämmtlichen Unkosten des Unternehmens für Ausgrabung, Verpackung, Transport, Gehälter, Reisen und Ankauf des Drittels der Funde, welches die Türkei beanspruchen konnte, sich für die deutsche Regierung auf die verhältnißmäßig geringe Summe von etwas über 150,000 Mark beliefen, während der rohe Marmor der nach Berlin geschaffte Werke, nach dem Kubikinhalt taxirt, allein einen Werth von 180,000 Mark repräsentirt.

Die mit so außerordentlichen Resultaten im vorigen Jahre abgeschlossenen Ausgrabungen zu Pergamon sind jüngst, nach Erlaß eines neuen türkischen Firmans, abermals aufgenommen worden. Bei einer Hitze von 28 Grad Réaumur haben am 14. August unter Humann's Leitung die Arbeiten wieder begonnen, zu welchen wir unserm braven Landsmann ähnliche glückliche Erfolge, wie die bisher erzielten, wünschen wollen.

Alfred Schütze.



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_601.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)