Seite:Die Gartenlaube (1880) 659.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Es folgte nun eine lange Berathung mit meinem guten Freunde, dem erwähnten Polizeibeamten, eine Berathung, deren Ergebniß in Kürze war, daß der Hôtelbesitzer wegen seiner eigenen Sicherheit den Portier nicht sofort entlassen dürfe und daß die ganze Sache vorläufig verschwiegen bleiben solle, um durch sorgfältigste geheime Bewachung des Alten den Hauptschuldigen auf die Spur zu kommen. Mein Hôtelier erkannte an, daß ich, wie die Sachen nun einmal lagen, nicht umhin gekonnt, gegen ihn Verdacht zu fassen, und wir trennten uns bald darauf als die besten Freunde. Da der Alte sein verbrecherisches Gewerbe seit etwa fünf Jahren betrieben hatte, so mußten durch ihn sehr bedeutende Massen falschen Geldes in Umlauf gekommen sein.

Das war meine erste Berührung mit italienischen Falschmünzern; eine zweite, mit sehr tragischem Ausgange, fand etwa ein Jahr später in Rom statt, und sie war mir um so mehr interessant, da ein Theil der im Vorigen geschilderten Personen bei dieser zweiten Begegnung die Hauptrollen spielte.




Es war im Jahre 1871, zur Zeit des Carnevals, als ich eines Tages in Rom mit dem eben erwähnten Polizeibeamten, Herrn Bergi, zusammentraf. Nach den üblichen persönlichen Fragen, welche in diesem Falle freilich mehr als Förmlichkeiten waren, erfuhr ich, daß er nach langen Mühen den eigentlichen Sitz und Fabrikationsort der Bande entdeckt und das Nest ausgenommen hatte. Etwa fünfzehn Personen waren zu schweren Galeerenstrafen verurtheilt worden, der eigentliche Chef der Bande aber, ein gewisser Antonio, und der alte Giuseppe hatten Freiheit und Vermögen durch rechtzeitige Flucht gerettet. Des alten Giuseppe Entkommen hatte er ziemlich rasch verschmerzt, die Flucht Antonio's aber konnte er noch nicht verwinden. Er schilderte ihn mir als einen äußerst gewandten, energischen und gefährlichen Menschen, der zugleich eine seltene Verstellungskunst besitze.

Während des Carnevals fand der eifrige Beamte natürlich fast keinen Augenblick Muße zur Erholung; wir trafen uns daher nur selten; um so mehr war ich überrascht, als er kurz vor dem Ende der tollen Zeit mich eines Abends zu einem Streifzug durch die Straßen, die Redouten, die Kneipen aufforderte. Meiner Einwilligung gewiß, hatte er bereits für Maskenanzüge gesorgt, welche, sobald wir eines der größeren Locale verließen, mit anderen im Voraus gewählten gewechselt wurden. Hieraus und aus einigen kleinen Nebenumständen bemerkte ich bald, daß er unter der Maske des Vergnügens lediglich seinem Amte oblag, und sein an diesem Abende ganz besonderer Eifer, eine gewisse, ihm sonst fremde Erregtheit wurden mir erklärlich, als er mir in einer Droschke mittheilte, daß er Antonio und Giuseppe, den ersteren wieder als Chef einer Falschmünzerbande, hier vermuthe und jene Personen beim Ausgeben falschen Geldes womöglich noch heute betreffen wolle. Und es gelang ihm.

Nachdem wir verschiedene Theater und Tanzlocale besucht, glaubte mein Freund unter den Ballgästen im Correa-Theater seine Leute gefunden zu haben. Ich, im einfachen Domino, erhielt die Weisung, mich bei Seite zu halten; mein Freund begann nun, durch sein ganzes Auftreten, in jeder seiner Bewegungen den reisenden Engländer so treffend zu markiren, daß gerade Leute wie Giuseppe und Antonio, weil sie mit den Manieren der Engländer vermöge ihres langjährigen Berufes vollkommen bekannt waren, den Beamten für das halten mußten, was er naturgetreu und ohne jede Uebertreibung darstellte. Er wußte dann am Büffet mit ihnen zusammen zu treffen und hatte richtig berechnet, daß ihre Eitelkeit sie veranlassen werde, auf eine in englischer Sprache nicht an sie unmittelbar gerichtete, sondern ohne bestimmte Adresse hingeworfene Bemerkung oder Frage in der fremden Sprache Antwort zu geben. So kam er mit ihnen in's Gespräch, ließ sich mit ihnen an einem Tische zum Trinken nieder, fragte schließlich, ob sie ihm, da er sein italienisches Geld verausgabt, eine Zehnpfund-Note wechseln könnten, und da der gelegentlich in unverfänglichster Weise sich bietende Gewinn reizte, so gingen sie in die Falle und übten ihrem schlimmsten Feinde gegenüber ihr verbrecherisches Gewerbe aus, indem sie in seine Hand einen Haufen falscher Lire-Scheine legten.

Man kann sich denken, in welch gehobener Stimmung der Beamte etwa eine Stunde später den Ball verließ.

„Ich hätte mich fast verleiten lassen, sofort die Verhaftung der Kerle anzuordnen,“ sagte er, „aber es wäre ein Fehler gewesen, weil ihre Genossen und die Fabrikationsapparate mir entgangen wären, namentlich die Platten, die – ich muß es gestehen – ausgezeichnet gearbeitet sind. Sie müssen einen Kupferstecher ersten Ranges gewonnen haben. Ohne ihn wäre der Fang der beiden Gauner nur halbe Arbeit.“

Es mochten zwei weitere Tage vergangen sein – der Carneval war mittlerweile beendet – als ich an meinem Freunde eine fast fieberhafte Aufregung bemerkte. Er gestand mir, daß er sich einen Vorwurf daraus mache, nicht doch zur sofortigen Verhaftung geschritten zu sein.

„Die Umstände, lieber Freund, die Umstände! Die Kerle haben gestern einen Coup ausgeführt, sie haben der Bank eine große Summe Geldes abgelockt! Das ist Eins. Dieser große Betrug wäre gehindert worden, wenn ich die Leutchen sofort verhaftet hätte. Numero Zwei ist, daß sie mich seit gestern erkannt haben und seitdem beobachten lassen. Für meine Person fürchte ich zwar nichts; allein ich zweifle, ob mir der Fang so vollständig gelingt, wie ich's wünsche.“

Mir war bei dieser letzten Mittheilung nicht wohl zu Muthe, aber schon am folgenden Tage theilte er mir mit, daß er morgen die ganze Gesellschaft mit einem Schlage in einem einsamen Hause, der Stätte der Notenfabrikation, aufheben werde. Der Erfolg sei, wie er mir sagte, verbürgt.

So schied ich mit einem herzlichen Glückwunsche und wegen der ihm drohenden Gefahren mehr als je beruhigt von ihm, um ihn – lebend nicht wiederzusehen.

Am folgenden Morgen durchlief die Stadt das Gerücht, daß in der Via Rosa ein Polizeibeamter in dem von ihm bewohnten Hause auf der Treppe durch zahllose Dolchstiche ermordet gefunden sei. Sowie ich den Namen der Straße hörte, wußte ich genug, und der Augenschein bewies, daß meine Befürchtungen nur allzu sehr begründet gewesen. Fünfzehn Dolchstiche waren in den Körper des eifrigen Beamten eingedrungen; aus mehreren, dem linken Oberarme beigebrachte Stichen und aus der Thatsache, daß auf der Treppe ein dem Ermordeten zugehöriges Dolchmesser aufgefunden wurde, schloß man, daß zwischen dem Mörder und seinem Opfer im Dunkel der Nacht ein erbitterter Kampf stattgefunden haben müsse, von dessen gewiß starkem Geräusche unglücklicher Weise keiner der Hausbewohner, auch nicht die im zweiten Stocke wohnende Gattin des Ermordeten etwas wahrgenommen hatte.

Die Polizei konnte aber bereits am zweiten Tage zur Verhaftung des Mörders und seiner Genossen schreiten, da der Unglückliche noch soweit wieder zum Bewußtsein gelangte, daß er über die letzten Stunden seines Lebens eine Aussage zu Protokoll geben konnte. Diese ergab im Wesentlichen Folgendes:

Nachdem der Beamte die Gewißheit erlangt hatte, daß die beiden Gauner ihn als ihren Verfolger erkannt und deshalb seine Thätigkeit ihrerseits beobachten ließen, fürchtete er, die volle Frucht seiner Bemühungen zu verlieren, wenn es ihm nicht gelänge, sämmtliche Theilnehmer der Bande wenigstens einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Er gewann deshalb den Eigenthümer des Hauses, in welchem die Bande ihre Zusammenkunft hielt, und wurde von diesem in ein Nebenzimmer geführt, von dem aus er durch in die Thür geschnittene Löcher im Stande war, die Gesichtszüge der einzelnen Mitglieder der Bande sich einzuprägen. Eine halbe Stunde, nachdem die Gauner sich entfernt, verließ auch er das Haus, wurde aber unglücklicher Weise von Giuseppe und Antonio, welche sich, da man Verdacht geschöpft, in der Nähe versteckt gehalten, beim Verlassen des Hauses entdeckt und von dem ersteren scharf verfolgt. Seiner Ortskenntniß und großen Gewandtheit gelang es, dem Verfolger zu entkommen, und er glaubte sich geborgen, als er, ehe der Verfolger ihn eingeholt, in sein Haus eingetreten und die Hausthür hinter sich verschlossen hatte. Noch athemlos vom eilige Laufe, schickte er sich an, die dunkle Treppe zu ersteigen, als er von Antonio angegriffen wurde, welcher, um des Verhaßten unter allen Umständen sich zu entledigen, auf dem geradesten Wege im raschesten Laufe vorangeeilt war und in das Haus seines Todfeindes sich eingeschlichen hatte. Auf der dunklen Treppe hatte dann ein heftiger Kampf stattgefunden, in welchem der Mörder selbst nicht unerheblich verletzt wurde.

Die fast im Todeskampfe abgegeben Aussage des in Erfüllung seiner Pflicht gefallenen Beamten ermöglichte, außer den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_659.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)