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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


als die Hälfte aller Nordländer, die sehnsuchtsvoll nach Italien pilgern, spricht da zu; durch den deutschen Grundbaß klingt schon manch süßes italienisches Wort, namentlich im Sommer, wo sich hier immer viele welsche Arbeiter aufhalten, und somit läßt sich der Bahnhof zu Kufstein als ein Vorhof Hesperiens betrachten.

Eine lange Brücke führt über den Strom und in die Stadt. Letztere besteht allerdings nur aus einer Straße, welche aber sehr breit und von hohen erkerreichen Gebäuden eingerahmt ist. Sie zieht einen gelinden Abhang hinan, was dem malerischen Reize des Bildes keinen Eintrag thut. Ein hoher eherner Brunnen schmückt sie. Während andere Landstädte an der Brennerbahn einer traurigen Verödung entgegengehen, hat das freundliche Kufstein durch dieses neue Verkehrsmittel unbedingt gewonnen. So wächst denn sein Wohlstand von Jahr zu Jahr, und in seinem Aeußeren zeigt sich allenthalben ein erfolgreiches Streben nach Reinlichkeit und Glanz. Auch an guten Gasthöfen fehlt es nicht. Der Auracherbräu hat einen wohlbegründeten Ruf im ganzen Lande und darüber hinaus. Zu ihm gehört auch ein schattiger Garten am Ufer des Innstroms. Dort sitzen an schönen Sommerabenden die Wanderer und die Sommerfrischler.

Kufstein, Stadt und Festung, haben auch eine Geschichte, aber da wir jetzt selber so viele Geschichten erleben müssen, so haben wir wenig Zeit und Lust, uns in alte Jahrhunderte zu versenken, und sind um so dankbarer, je kürzer die betreffende Historie, wenn sie uns nicht ganz geschenkt werden kann, gefaßt wird. Also nur wenige Worte!

Die Kirche von Kufstein wird schon im achten Jahrhundert erwähnt. Damals gehörte das Unterinnthal bis zum Zillerbache noch zum Herzogthume Baiern und blieb bei diesem bis zum landshutischen Erbfolgekriege, welchen Kaiser Max der Erste austrug; er sprach sich dafür 1504 die Gerichte Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein zu. In jenen Tagen belagerte der Kaiser auch die Festung Kufstein.

Als der Kurfürst Max Emanuel von Baiern 1703 in’s Land Tirol einfiel, nahm er zuerst unser Kufstein vor, das sich auch schnell ergab, nur daß dabei die ganze Stadt in Flammen aufging. Anno Neune lag eine baierische Besatzung in der Festung, und der Platz wurde lange von den tirolischen Helden belagert, aber nicht eingenommen. Jetzt ist die Festung als solche aufgelassen und dient eigentlich nur noch als Caserne.

Kufstein liegt in herrlicher Gegend – am Inn, wie bereits gesagt. Dieser läuft hier noch zwischen hohen Bergen, welche aber in wenigen Stunden abbrechen und sich in’s baierische Hügelland verlieren. Zur Rechten erhebt sich das wilde, menschenfeindliche Kaisergebirge, zur Linken der ragende Pendling, zu dessen Füßen die Thiersee liegt, ein kleines, hellgrünes, liebliches Thal, in dem ein dunkelblauer See sich ausspannt. Wer nicht nach Arkadien gehen will, der soll hier ein sprechendes Bild jenes berühmten, von so vielen Dichtern besungenen Landes finden können. Zwischen der Thiersee und dem Innstrom erhebt sich der lange, doch nicht sehr hohe Thierberg, welcher Wald und Wiesen, schmucke Bauernhöfe, zierliche Villen und eine alte verlassene Burg trägt. Unter dieser, in großer Klemme zwischen der Bergseite und dem Strome, wo nur für Straße und Eisenbahn Raum ist, findet sich die nicht mehr ganz unbekannte Clause, ein Wirthshäuslein mit blumenreichem Garten, der eine treffliche Ansicht des Kaisergebirges und der Festung Kufstein bietet. Hier wird im Sommer mancher Becher rhätischen Weins getrunken, und zwar betheiligen sich daran nicht blos die Landeskinder, sondern noch ungleich mehr die baierischen Nachbarn. Da nämlich das Wirthshäuslein dicht an der Grenze des Königreichs Baiern liegt, also auf tirolischem Boden das erste und wegen seines guten Kellers sehr beliebt ist, so fahren jene Nachbarn an Sonn- und Feiertagen oft in großen Gefolgschaften heran, bleiben beim Glase, bis der Mond aufgeht, und wenden sich dann in heiterster Laune wieder der Heimkehr zu.

Auf dem andern Ufer des Stromes möchten wir namentlich die unferne Kienbergklamm einer näheren Betrachtung empfehlen. Dort rauscht ein frischer Alpenbach aus waldiger Schlucht, an deren Eingange sich eine neue Curanstalt erhebt, ein elegantes Wohnhaus und ein feiner Speisesaal, daneben auch eine zierliche Trinkhalle oder Veranda auf hohen Pfeilern mit erfreulichem Blicke in die Nähe und Ferne.

An den schattigen Halden der Kienbergleite schlängeln sich bequeme, von verlässigen Geländern begleitete Pfade in die Höhe; hier zeigt sich ein schmaler Steg, dort eine schwindelnde Brücke. Oben ladet ein offenes, leichtbedachtes Sommerhäuschen zum Besuche ein, den es auch mit prachtvoller Aussicht in das grüne Innthal, auf den ragenden Pendling und in die Stubeierferner dankbar vergilt.

Sagen wir auch einige Worte über die Bildchen, welche das Festungsstück umkränzen! Sie sind nicht besonders idealisirt und mögen daher der Wirklichkeit ziemlich nahe stehen. Das erste oben links (1) zeigt uns einen Arbeiter, der sich mit einer Botin unterhält und ihr ein Gläschen Schnaps abkauft. Er ist sicher Einer von Denen, welche in den seit etwa dreißig Jahren in diesen Thälern ausgebeuteten Cementbrüchen arbeiten.

Der Cement ist ursprünglich Mergelkalk, der in großen Oefen ausgebrannt und dann unter jenem Namen (jährlich circa zwei Millionen Centner) als hochgeschätztes Baumaterial in die weite Welt versandt wird. Er geht zu Schiffe nicht allein nach Wien und Pest, sondern auch bis an’s goldene Horn zu Stambul. Die Oefen, in denen er gebrannt wird, geben übriges einen dicken Rauch von sich, der einen höllischen Gestank verbreitet und so manchen Wanderer, der sich nach reiner Luft und feinen Blumendüften sehnt, aus diesen stillen Thälern völlig hinausräuchert. Zu diesen verhaßten Cementöfen nimmt der mit Mergelkalk beladene „Rädelkarren“ unseres Bildes (4) seinen Weg.

Neben den prosaische Mergelkalk stellt unser Maler die vielbesungenen Sennerinnen (2, 8 und 9). Die Nachrichten, welche über diese Alpenhirtinnen umlaufen, sind sehr schwer unter einen Hut zu bringen. Man hört mitunter, sie seien ganz eingegangen und die Almen würden jetzt allenthalben mit „Schweizern“, das heißt mit käsekundigen Männern besetzt, die aber nur selten noch aus der Schweiz kommen, sondern meistentheils im Inlande aufgewachsen und geschult worden sind.

Nach andern Angaben sollen die Sennerinnen zwar noch vorhanden, aber garstige Trampeln sein, welche leinene Hosen tragen und die Touristen mehr verblüffen, als bezaubern, eine Anschauung, welche durch unsere Bildchen nur unterstützt wird. – Wieder nach anderen Quellen sind es aber liebliche Huldinnen, deren blaue Augen mit ihrem minniglichen Blicke allein schon den jungen Wanderer auf der freien Höhe für alle seine Anstrengungen entschädigen können. Wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, so wäre nach allem diesem etwa anzunehmen, daß es wirklich noch Sennerinnen und darunter auch solche gebe, denen man Jugend und Schönheit keineswegs absprechen dürfte. Milch, Butter und Käse erfordern nämlich in ihrer Behandlung große Reinlichkeit, und diese will man am ersten von jugendlichen Mädchen erwarten. Die Melkerei ist beschwerlich und verlangt junge Arme; mehr Anstrengung noch als diese bringt aber die Hut und die Bewachung des Viehes mit sich, welches oft bei Hochgewittern durch Blitz und Donner weit versprengt und dann nur durch beschwerliche Hetze über Stock und Stein wieder zusammenbracht werden kann. Aus allen diesen Gründen schickt man im baierischen Gebirge und im tirolischen Unterinnthal noch immer die jungen, kräftigen Mädchen, ob sie schön oder garstig sind, auf die Alm. Dort wird dann allerdings auf Citherklang und Liedersang oft mehr Werth gelegt, als auf die Predigten des Vicars, der tief unten im Dorfe über die leichten Sitten der Almerinnen zetert.

Im übrigen Tirol dagegen hat man die Mädchen schon längst von den Almen heruntergezogen, um dafür die ledigen Burschen, mitunter schon ganz angejahrte, hinaufzuschicken. Damit ist denn auch sofort ein principieller Gegensatz eingetreten. Während die Almerinnen nämlich stolz sind auf ihre Reinlichkeit, findet man bei den Sennen oft genug das Gegentheil.

Damit auch das Touristenvolk auf unserem Bilde nicht fehle, führt uns der Zeichner zwei Touristinnen, freilich der ältlichen Gattung (3) vor, welche zu Pferde auf die hohe Salve pilgern. Möge ihnen schönes Wetter beschieden sein, damit sie die schöne Aussicht genießen können, und gebe Gott, daß sie sonst nichts zu genießen brauchen; denn das braune Hüttlein dort oben vermag kaum die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen.

Einen Rattenfänger lernen wir auch kennen (6), so einen, der Maulwürfe und Feldmäuse in seinen Wirkungskreis zieht und von jedem Schwänzchen, das er seinen Auftraggebern abliefert, eine Belohnung von zwei Kreuzern erhält.

Außer zwei Gewitterscenen (10 und 11), die sich selbst erklären, führt uns unser Bild noch ein Marterl (von Martyrium

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_670.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)