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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Je toller, desto besser,“ entgegnete die fidele Gattin, „und je mehr sie sich boßen, desto mehr freu' ich mir. Wir wollen ihnen ein Ständchen auf dem Wasser bringen und dazu auf meiner Juitarre und der Ziehharmonika spielen.“

Der Vorschlag der muthwilligen Frau wurde von der lustigen Gesellschaft mit allgemeiner Acclamation angenommen und trotz der Protestation des vorsichtigen Budikers ausgeführt, indem Vater Brendel die an der leeren Kellerwand hängende Guitarre holte und der Sängerin mit komischer Galanterie überreichte.

„Nu kann es losjehn!“ sagte er lachend. „Das jiebt einen Ulk, wie er noch nicht dagewesen ist. Wollen Sie nicht anfangen, Frau Lucca?“


Die „Rück-Compagnie“ auf der Spree.
Originalzeichnung von H. Lüders.


Im nächsten Augenblick intonirte zur Guitarre Frau Piefke die bekannte Melodie: „O du lieber Augustin!“ mit lauter Stimme, begleitet von den gellenden Tönen der Ziehharmonika und dem dröhnenden Baß des angeheiterten Chores, daß die Fenster in dem ganzen Hause klirrten und Herr Spieseke erschrocken zusammenfuhr.

„Guste, Guste!“ schrie der entsetzte Hauswirth. „Die Budikersleute rücken aus. Hörst Du denn nicht den Spectakel?“

„I! da möchte doch Einen gleich der Schlag rühren!“ rief sie, aus dem Bette springend. „Schnell, nur schnell, daß sie uns nicht entwischen!“

Im tiefsten Negligé stürzten Beide die Treppe hinab, über den Hof nach dem Keller, dessen offene Thür und leere Wände ihnen keinen Zweifel ließen, daß die losen Vögel ausgeflogen waren. Ein Blick auf die Spree zeigte ihnen, welchen Weg die schuldigen Miether eingeschlagen hatten, um sich und ihre Sachen dem drohenden Schicksal zu entziehen.

„Wie kann man nur,“ grollte die erzürnte Gattin, „ein solcher Esel sein!“

„Wer hätte auch daran denken sollen, daß die Spitzbuben im Kahne ausrücken werden!“

Du hättest daran denken sollen.“

„Ich sage Dir, Guste, es giebt keinen Menschen in ganz Berlin, den sie nicht auch auf so eine niederträchtige Art und Weise hätten prellen können.“

„So was kann nur Dir passiren.“

„Du hast auch nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen. Hinterdrein kann man leicht klug schmußen.“

Während Beide mit einander zankten und sich fast in die Haare geriethen, schaukelte der Kahn lustig ihnen gegenüber auf dem Wasser. Auf einer großen Kiste saß Frau Piefke mit der Guitarre in der Hand und sang: „Das Schilf streicht durch die Wellen, Fridolin!“

„Fridolin!“ brüllte der tolle Chor und schwenkte die mitgenommenen Flaschen.

Knirschend vor Wuth raunte der Wirth sammt Gattin am Ufer auf und nieder, in ohnmächtigem Zorn die Fäuste ballend.

„Diebe, Räuber! Zu Hülfe! Constabler, Nachtwächter!“

„Incommodiren Sie sich nicht!“ höhnte Vater Brendel. „Sie werden sich noch die Schwindsucht an den Hals schreien. Die Nachtwächter schlafen, und die Polizei kann Ihnen auch nicht helfen. Legen Sie sich jefälligst in's Bett, sonst werden Sie sich noch einen jründlichen Schnuppen holen. Leben Sie wohl, Herr Spieseke. Jute Nacht!“

„Gute Nacht, liebste Anna Dorothe!“ sang Frau Piefke zur Guitarre.

„Hülfe! Diebe, Räuber!“ schrie Herr Spieseke, „Constabler, Nachtwächter!“ kreischte seine Gattin unter dem schallenden Gelächter der im Kahn dahintreibenden Rück-Compagnie.

Endlich zog der Lärm die Polizei herbei; auch die Nachbarn erschienen an den Fenstern und in den Thüren ihrer Häuser. Zitternd vor Aufregung erzählte der betrogene Wirth sein Mißgeschick und verlangte den Beistand des Constablers und die Verfolgung der Flüchtlinge.

„Thut mir leid,“ entgegnete der Beamte, „aber ich kann da nichts thun. Warum haben Sie nicht besser aufgepaßt?“

„Ich habe bei Tag und Nacht gewacht, aber das ist mir nicht eingefallen, daß man auch zu Wasser ausrücken kann.“

„Ich kann Ihnen nur den Rath geben, sich an das Gericht wegen der schuldigen Miethe zu wenden.“

„Dabei wird auch nichts herauskommen.“

„So weit ich den Budiker kenne, halte ich ihn für einen ehrlichen Mann, der ohne sein Verschulden in Noth gerathen ist. Wenn es ihm wieder besser gehen sollte, wird er Ihnen gewiß die schuldige Miethe bezahlen.“

„Er wird mir den Teufel thun. Ich kenne die Art besser; die lebt blos davon, daß sie ehrliche Leute um ihr Bischen Geld bringt.“

„Beruhigen Sie sich, und warten Sie's ab!“

Piefke bezahlte richtig. In dem neuen Stadttheil, wo sich der Budiker niederließ, blühte sein Geschäft auf, und schon nach einigen Monaten erhielt Herr Spieseke eine Postanweisung mit der ganzen Summe. Seitdem ist Letzterer auch nachsichtiger gegen seine Miether geworden und drückt nicht mehr die armen Leute, wenn sie mit der Zahlung im Rückstande bleiben. Er hat den größten Respect vor der Rück-Compagnie bekommen.

Max Ring.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_673.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)