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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Soldaten, welch ein Ereigniß! Die andern Werkleute, so fleißig und rührig bis jetzt, hielten ebenfalls mit der Arbeit inne und blickten neugierig staunend dorthin, von wo der Rauch aufgestiegen war.

Es war aber auch etwas ganz Außerordentliches, Soldaten in der Nähe zu wissen, da man hier solche seit langen Zeiten nicht gesehen hatte. Der Bruder der Unität, der doch das Waffenhandwerk für Sünde hält, war zur Zeit unserer Erzählung, also im Anfange dieses Jahrhunderts, durch eine Verordnung des Landesherrn noch vom Militärdienste befreit, und so war Mancher in der Colonie, der, wenn er nicht auf Reisen gewesen war, Soldaten nicht zu Gesicht bekommen hatte.

Jetzt leuchteten plötzlich von einem der waldbedeckten Hügel Blitze auf, und wieder dröhnte das Krachen von Kanonenschüssen, diesmal lauter als zuvor; gleichzeitig antworteten Gewehre aus dem Walde. Aus den Waldwegen ließen sich die bunten Uniformen, zuerst einzelne, dann mehr und mehr, zuletzt in ganzen Truppen unter den Bäumen blicken; Bajonnette blitzten im Sonnenlicht; Fahnen und Standarten wehten, und Hornsignale tönten aus der Ferne herüber.

„O, da sind sie – die Soldaten! Wie das blitzt und funkelt!“ rief Carmen entzückt. „Wie die Reiter dahinsprengen und die Waffen in ihrer Hand leuchten – sieh doch, lieber Vater, wie herrlich sich das ausnimmt!“

„Ja, wenn kein blutiger Ernst darin ist und man dem Schauspiel aus sicherer Ferne zusehen kann!“ meinte Mauer bedächtig.

„Ich weiß doch nicht, Vater, wenn ich ein Mann wäre, ob ich nicht gern Soldat sein möchte,“ warf das Mädchen lebhaft ein. „Tödten ist zwar große Sünde, aber für das Vaterland kämpfen, das muß schön für einen rechten Mann sein – ein rechter Mann, Vater, scheint mir, ist der, welcher fest dasteht und Furcht niemals kennt, der sich der Gefahr muthig entgegenwirft, mit scharfem Auge sie übersieht und mit fester Hand sie abwehrt, unter dessen Schutz die Schwachen flüchten und der doch dabei das weiche, gute Herz und den gerechten Sinn hat – solch ein Mann, Vater, der wie eine Eiche nicht schwankt, wenn die Bäumchen im Winde zittern.“

„Hast Du denn schon Soldaten gesehen?“ fragte Mauer, erstaunt über das Feuer, das aus dem Mädchen sprach.

„Ja, in Wollmershain,“ antwortete sie schnell.

„Und waren sie denn auch solche Männer, wie Du sie schilderst?“

Sie zauderte einen Augenblick.

„Nein, alle doch nicht, Vater – es ist eben nicht Jeder ein rechter Mann.“

„Wollmershain und Frau von Trautenau – dazwischen scheinen sich Deine Gedanken und Deine Erfahrungen zu drehen, Carmen; denn Alles, was Du denkst und mir erzählst, geht von dort aus und führt dorthin zurück,“ sagte Mauer fast beunruhigt. „Sie haben großen Eindruck auf Dich gemacht – ich fürchte, größeren, als Dir gut ist.“

Sie antwortete nicht. Ihre Blicke hingen an dem Bilde vor ihr. Immer neue Truppen drangen aus dem Walde hervor – plötzlich schwenkte auch seitwärts eine große Anzahl Reiter um die Waldecke; das Schauspiel wurde immer lebhafter; Carmen’s Gesicht glühte vor Vergnügen, und ihre Augen flogen rastlos hin und her, um das ganze Bild zu umfassen.

„Ich möchte den ganzen Tag hier sitzen und dem Gewoge zusehen,“ sagte sie. „Es kann doch noch nicht spät sein, lieber Vater – nicht wahr? Schwester Agathe sagte mir heute früh, als ich fortging, ich möchte einer wichtigen Sache wegen um elf Uhr wieder im Schwesternhaus sein.“

„Elf Uhr?“ fragte Mauer, erschrocken auf seine Uhr sehend. „Aber Kind, es ist beinahe zwölf Uhr und der Mittag herangekommen.“

Carmen sprang vom Rasen auf.

„Dann muß ich fort, eilig fort. Wie schade doch! Ich bliebe so gern noch hier. Adieu, lieber Vater! Heute Nachmittag bin ich wieder bei Dir.“

Sie küßte und umarmte den Vater und eilte davon. – – –

Inzwischen hatte im Schwesternhause eine ungewöhnliche Erregung geherrscht. Wo Zwei sich in den Gängen trafen, flüsterten sie gespannt; bei der Arbeit in den Zimmern rasteten heute öfter die Hände, und die Köpfe neigten sich zu einem leise gesprochenen Worte zusammen; die Augen irrten fragend umher oder hafteten an dem Zeiger der großen Uhr, der ruhig seinen gewohnten Gang vorwärts rückte. Endlich wies er auf die erwartete Stunde, und die Uhr schlug bedächtig ihre elf Schläge, worauf aus allen Thüren die Schwestern hervorströmten und sich nach dem Versammlungssaal begaben.

Schwester Agathe und der neuerwählte Vorsteher der unverheiratheten Schwestern, Bruder Jonathan, standen inmitten des Saales, an ihrer Seite der Lehrer und die verschiedenen Chorältesten. Da nun Alle in den Saal eingetreten waren und eine lautlose Stille über den vielen erwartungsvollen Gesichtern lag, begann Jonathan zu den Versammelten zu sprechen:

„Wie Ihr vielleicht schon wissen werdet, liebe Schwestern, ist ein Brief unseres Bruders Daniel aus dem Capland bei uns eingetroffen, in welchem er uns seine glückliche Ankunft in dem Lande der Kaffern mittheilt. Sodann berichtet er uns, wie er dort mit Bruder Joseph Hübner und noch zweien Brüdern zusammen getroffen sei – wie eine kleine Gemeine gläubiger Christen sich um diese zu bilden angefangen habe und wie sie mit Hülfe des Herrn weiter fortzuarbeiten hoffen, um immer mehr Seelen der Unwissenheit zu entreißen und für den Heiland zu gewinnen. Es ist ein großes Werk, das sie gläubig begonnen haben, und Heil einem Jeden, der daran mit bauen hilft! Es fehlt ihnen an nichts, wessen sie zu ihrem einfachen Leben bedürfen – nur an Einem fehlt es ihnen: an weiblichen Händen, die ihnen beistehen und das schwere Werk ihnen erleichtern und tragen helfen. So bittet denn Bruder Joseph, daß seine Frau, Schwester Christine, die er hier zurückgelassen, ihm nachfolge, und Bruder Daniel, daß wir für ihn eine Gefährtin erwählen und in Schwester Christine’s Begleitung zu ihm senden möchten. Diese Bitte ist eine sehr gerechte und für die Frau, welche ihm angehören wird, ist ein schönes Feld bereitet, auf dem sie mit ihm wirken kann. So wollen wir denn jetzt, liebe Schwestern, durch das Loos entscheiden lassen, welche von Euch zu der Ehre berufen sei, eine Gehülfin unseres lieben Bruders bei dem Bau von des Heilandes Kirche zu werden, und wollen wir Alle in der solcher Weise getroffenen Wahl die unmittelbare Aeußerung von des Herrn Willen erkennen und ihm freudig und demüthig gehorchen.“

Jonathan schwieg, und es entstand nun eine lebhafte Bewegung unter den Schwestern, als jetzt in üblicher Weise zu dem Ziehen der Loose geschritten wurde. Spannung stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben, aber man würde vergeblich gesucht haben, auf einem derselben Furcht statt der gewohnten stillen Ergebung zu lesen.

Der Gebrauch des Loosens, der früher in der Brüderunität bei Besetzung von Aemtern und bei Eheschließungen allgemein angewendet wurde, war im Laufe der Zeit dahin eingeschränkt worden, daß es jetzt dem Ermessen jeder Ortsgemeine freigegeben war, sich desselben zu bedienen oder nicht; hier gab das Loos noch immer die Entscheidung in unsicheren Fällen, wie bei Besetzung von Aemtern, bei der Wahl von Gefährtinnen für die Mitglieder der Aeltesten-Conferenz oder für Missionäre und sonstige Brüder, die in ihren entfernten Stationen das Verlangen nach einer Frau aussprachen.

Die Gewohnheit, welche ja die Gefühle der Menschen beherrscht, ließ die Schwestern nichts Verletzendes oder Abschreckendes finden in dieser Art, über sie zu verfügen.

So ließen sie es auch heute mit heiterer Ergebung geschehen, daß Bruder Jonathan seinerseits von den gezogenen Zetteln die Namen der Schwestern, einen nach dem andern, ablas, während Agathe ihrerseits die gleichzeitig gezogenen unbeschriebenen Loose Blatt auf Blatt auf den Boden fallen ließ, wartend bis der Treffer kommen werde, welcher den Namen Bruder Daniel’s trage, und ihn so der Schwester verlobe, deren Namen Jonathan zuletzt verlesen. Die stille Demuth, die Alles, als vom Herrn kommend, gelassen hinnahm und immer auf diesen sanften Gesichtern geschrieben stand, schien selbst dieser schweren Probe standzuhalten. Keine der Schwestern zitterte, wenn ihr Name von den Lippen Jonathan’s klang.

Die Hälfte der anwesenden Schwestern mochte wohl auf diese Weise genannt worden sein; da entfaltete Jonathan ein neues Blatt, und es betrachtend, erbleichte er. Einen Augenblick hielt er den Zettel zaudernd in seiner Hand fest.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_714.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)