Seite:Die Gartenlaube (1880) 735.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Zusammenhange zu unterrichten und seine Kenntniß der geschäftlichen Seite in Hinsicht auf Bezugsquellen und Absatzgebiete zu erweitern; sie lehrt auch die große Menge der nicht producirenden Beschauer die Ueberzeugung gewinnen, daß die Aschenbrödelrolle, welche der heimischen Industrie gegenüber der ausländischen zugewiesen worden ist, als eine den thatsächlichen Verhältnissen durchaus nicht entsprechende erscheint. Die Werthschätzung heimischen Könnens zu steigern, ist eine der verdienstvollsten Aufgaben der Fachausstellungen.

Alle diese Erwägungen waren für die Veranstaltung einer Fachausstellung maßgebend. Zudem fühlte sich die deutsche Wollenindustrie mit vollem Recht stark genug, um sich in einer Zusammenstellung alles Dessen, was sie zu leisten vermag, einer allgemeinen Beurtheilung zu unterwerfen. Auch war sie überzeugt, daß angesichts der weltgeschichtlichen Bedeutung, zu der sie sich vermöge des nothwendigen Consums ihrer Fabrikate emporgeschwungen hat, und ihrer Wichtigkeit in dem Organismus unserer Volkswirthschaft das Interesse für eine solche Ausstellung in den weitesten Kreisen der Nation Platz greifen würde. Und sie hat sich darin nicht getäuscht. Das Heimathsrecht dieser Industrie auf deutschem Boden liegt in ihrem tausendjährigen Bestehen begründet, und die Phantasie des Volkes, nach greifbaren Werkzeugen suchend, denen sie die Segnungen der Cultur und Civilisation zuschreibt, verehrt mit Recht gerade die Spindel als Symbol segenspendender friedlicher Arbeit.

Die gegenwärtige Bedeutung der Wollenindustrie in der deutschen Volkswirthschaft legen folgende Ziffern dar. Im deutschen Reiche befanden sich nach der Gewerbezählung vom 1. December 1875: 34,311 Betriebe, welche sich mit der Herstellung von Gespinnsten und Geweben aus Schafwolle und anderen Thierhaaren befassen, mit 193,688 beschäftigten Personen und einer motorischen Kraft von 58,235 Pferdekräften, von denen 45,155 per Dampf erzielt wurden.

Der geschätzte Werth der Einfuhr roher und gekämmter Schafwolle, wollener Garne und wollener Waaren bezifferte sich in Summa auf 350 Millionen Mark, der Werth der Ausfuhr der entsprechenden Objecte auf 247 Millionen Mark. Der Verbrauch in Pfunden Wollen wird für Deutschland gegenwärtig (1879) auf etwa 1 Kilogramm pro Kopf der Bevölkerung berechnet.

Daß diese Industrie nunmehr zum ersten Male unternimmt, eine Specialausstellung zu veranstalten, um der Welt zu zeigen, daß sie sich noch heute wie früher eine der stolzesten Töchter deutschen Fleißes zu nennen das Recht hat, daß sie ferner Betreffs der Qualität vor den westlichen Nachbarn nicht die Segel zu streichen hat, sondern in Bezug auf Intelligenz, Geschmackshöhe und Geschicklichkeit kühn mit ihnen in die Schranken treten darf, dürfte sehr gerechtfertigt erscheinen. So fand das Unternehmen denn nicht allein in den Kreisen der Fachgenossen, sondern auch in ferner stehenden Schichten der Bevölkerung lebhaften Beifall.

Ebenso zögerte Leipzig nicht, nachdem man diese Stadt, die vermöge ihrer industriellen Lage ein Sammelpunkt der kaufmännischen Welt und der Mittelpunkt des so überaus gewerbreichen Sachsens und namentlich der deutschen Wollenindustrie ist, als Ausstellungsort gewählt hatte, das Gebäude der ehemaligen Kunstgewerbe-Ausstellung gegen einen bescheidenen Procentsatz von einem sich etwa ergebenden Gewinn zur Verfügung zu stellen und das für ein aufzuführendes Maschinenhaus nothwendige Grundstück ebenfalls anzubieten. Auch die königlich sächsische Regierung erklärte sich sofort bereit, die Prämiirung der Aussteller zu übernehmen.

Am 1. Juli 1880 wurde die Ausstellung in Gegenwart des sächsischen Königspaares feierlich eröffnet.

Die ausgestellten Gegenstände waren nach sechs Gruppen geordnet: A Gewebe; B Rohmaterial; C Halbfabrikate; D Hülfsmaterialien; E Maschinen und Apparate jeder Art für den Gebrauch der Wollenindustrie; F Unterricht und Literatur. Auffallend schien es, daß keine Gruppe für Geschichte, Handel und Statistik vorhanden war. Die Fachausstellungen sollten diese rein wissenschaftliche Seite des Faches um so mehr berücksichtigen, als sie in umfassender Weise dem ernsten Studium dienen sollen.

Die Betheiligung an der Ausstellung kann leider keine allgemeine genannt werden. Gegenüber den 34,311 Hauptbetrieben, welche das deutsche Reich besitzt, bildeten 800 Aussteller, von denen übrigens 210 gar keine Textilbetriebe repräsentirten, sondern nur Maschinen, Apparate, Chemikalien für den Gebrauch der Wollenindustrie lieferten, einen sehr bescheidenen Procentsatz. Württemberg, Schlesien und die Rheinprovinz, welche mit ihren 560,203 Wollspindeln und 19,176 Wollwebstühlen allein ein Drittel der gesammten Wollspindeln und Wollwebstühle Preußens besitzt, haben sich eben sehr zurückhaltend gezeigt. Dasselbe läßt sich auch in mancher Hinsicht von Sachsen behaupten.

Einzelne Classen der obengenannten Gruppen wiesen jedoch eine stärkere Betheiligung auf. Die Tuch- und Buckskinfabrikation Preußens und Sachsens, die Fabrikate in Kammgarn, die wollenen Decken aus Süddeutschland und vom Harz, die Teppichfabrikation, vertreten durch die Brüsselteppiche von Berlin und die nach orientalischer Art geknüpften Teppiche von Schmiedeberg, Cottbus, Wurzen und Springe, die gehäkelten und gestrickten Phantasiewaaren von Apolda, dem alten Stammsitze dieser Fabrikation, und von den in jüngster Zeit aufgetretenen Concurrenzstädten Erfurt, Freiberg in Sachsen und Liegnitz, endlich die Filzwaaren gaben immerhin ein bezeichnendes Bild von der Bedeutung und der hohen Entwickelung der betreffenden Branchen. In hervorragender Weise hatten sich die Fabrikation der viel geschmähten Kunstwolle und die Maschinenindustrie betheiligt. Erstere, welche mit Hülfe von Maschinen aus Wolllumpen die Wollfasern zu weiterem Gebrauche herauslöst und das kurzfaserige Material aus Tuch und anderen Wollstoffen mit dem Worte „Mungo“, das Material aus Stricklumpen, Kammwollstoffen etc., also das langhaarige mit dem Worte „Shoddy“ benennt, wurde durch etwa ein Zwölftel der sämmtlichen Mungo- und Shoddyfabriken Deutschlands, letztere durch zahlreiche und bedeutende Werke von Chemnitz, Berlin, Werdau, Aachen, Leipzig etc. repräsentirt.

Nach dieser Uebersicht über die Betheiligung an der Ausstellung mögen die Eindrücke geschildert werden, welche wir von dem Ausgestellten empfangen haben.

Die halbrunde Vorhalle, welche das Vestibül des alten Kunstgewerbe-Gebäudes bildet, war für die Ausstellung des Rohmaterials benutzt worden. In zahlreichen eleganten Glasschränken und Kasten lag die Wolle in allen Graden der Reinheit und in den verschiedenen Stadien der Verarbeitung ausgebreitet. Vor der im Centrum der Halle auf hohem Postament thronenden Statue Friedrich August’s von Sachsen hatte eine umfangreiche, für Lehrzwecke systematisch zusammengestellte Wollsammlung des landwirthschaftlichen Instituts der Universität Leipzig ihren Platz gefunden. Diese Collection entsprach ihrer Bestimmung in ausgezeichneter Weise, sodaß auch der Laie nach genauerem Studium derselben wenigstens eine annähernde Vorstellung von dem ihm bisher unbekannten Gebiet der Wolle erhielt. Eine Anzahl lithographirter Tafeln veranschaulichte in sehr bedeutender Vergrößerung den Bau des Wollhaars, den Längen- und Querschnitt desselben, seine Entstehung und seinen Sitz in der Haut des Schafes.

Die Wollfaser der Merinowolle erscheint in dieser Vergrößerung aus einer Menge kleiner Hörner zusammengesetzt, die eins in das andere gesteckt sind, die Spitzen nach der Wurzel der Faser, also nach der Haut des Thieres gerichtet – die Wollfaser der anderen Wollen als ein massiver Cylinder, der wie ein Tannenzapfen mit dachziegelartigen Schüppchen bedeckt ist. Dieser Bau erklärt die Neigung mancher Wolle, sich zu kräuseln, und die Fähigkeit aller, sich zu filzen. Die Anzahl der Kräuselungsbogen hat zum Maß für die Qualität der Wolle Anlaß gegeben. So hat feine Wolle auf gleicher Haareslänge ungleich mehr kleine, flache Kräuselungsbogen, als grobe Wolle. Neben der Kräuselung sind aber noch verschiedene andere Eigenschaften des Haares für die Bestimmung der Wolle maßgebend: so vor Allem die Dicke, das heißt der Durchmesser und die Länge des Haares. Auf dem Längenunterschiede basiren die beiden Hauptgebiete der Wollspinnerei: die Kammgarnspinnerei und die Streichgarnspinnerei. Lange Wollen (6 bis 20 Centimeter lang) dienen als Kammwollen. Kurze Wollen (1,5 bis 7 Centimeter lang) werden als Streichwollen verarbeitet.

Nach diesen verschiedenen Eigenschaften wird die Wolle eingetheilt in die Classen: Electorale 1 und 2, Prima 1 und 2, Secunda, Tertia und Quarta. Unterhalb dieser Proben lagen in großen Glaskästen Vließe von den besten Heerden jener alten Zuchtrichtung ausgestellt, welche bis zur Mitte der sechsziger Jahre florirte, und nicht nach der Fleischgewinnung, sondern nach der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 735. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_735.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)