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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Ueberlieferung eine hohe haarfreie Stirn als ein Merkmal der Schönheit. Auch der von der Männerwelt zur Geltung gebrachten Tendenz der Verengerung huldigte die Frau in dem oberen Theile ihrer Gewandung; um nun aber Schneider und Tuchmacher wieder zu entschädigen, oder um nur doch auch Etwas vor den Männern voraus zu haben, fügten die Frauen jener Tage an die Schultern oder die Ellbogen, außer den gewöhnlichen Aermeln noch, nach dem gang und gäben Ausdruck der Zeit, lange „Lappen“ oder „Zotteln“, die oft bis zum Boden herabfielen und sie wie flatternde Segeltücher umwallten.

Als folgerichtiges Seitenstück dazu liefen nun auch Mantel und Oberrock in langen Schleppen aus, ja es legte sich um die Füße herum eine solche Masse, von Stoff, daß die Frauen zur Vorwärtsbewegung außer den Füßen auch noch die Hände nöthig hatten, sei’s die eigenen oder die von Pagen. Das, was unsere lieben Frauen in der Entfaltung dieser „Zottel- oder Schleppentracht“ leisteten, war so weitgehend, daß sich sogar eine wohllöbliche Polizei in’s Mittel legte. So

XIV. und XV. Jahrhundert.       Spanische Tracht.       Renaissance.
Deutsche Frauentrachten.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

entstanden jene bekannten Kleiderordnungen, wahre Cabinetstücke für den Culturhistoriker. In einer solchen des Frankfurter Magistrats vom Jahre 1350 wird verordnet: „Die Lappen an den Ermeln der Kleider sollen nicht über eine Elle lang sein. Die Weiber sollen keine Kogeln tragen, die sein streifrecht, geteilet oder gestückelt, auch Kruseln und Hüllen größer denn von sechsfachem Zeug.“ Eine Polizeiordnung Kurfürst Ernst’s und Herzog Albert’s von Sachsen aus dem Jahre 1482 verbietet, Kleider zu tragen, die über zwei Ellen lang auf der Erde nachschleppen; andernfalls, hieß es in dieser wie in andern Verordnungen, daß man solche „bis auf den Fußboden schwelgende Schweife uff des Rathhaus antwurten, allda absneiden und zum rechten Maase kürzen“ werde. Da sich im Punkte der Mode Frauen nun einmal nichts beschreiben lassen, auch nicht von der Polizei, so hatten die Stadtknechte damals vollauf zu thun.

In dieser Periode fing man auch an die Taille von ihrem Sitzpunkte weg und zwar mehr nach oben zu verlegen. Dieses Hinauf- und Herabrücken der Kleidertaille bildet dann ein wesentliches Moment in der Entwickelungsgeschichte der Frauentracht.

Der Eintritt der Reformation, der zugleich auch den Eintritt einer ganz neuen Zeit markirt, übte natürlich auch einen regenerirenden Einfluß auf die Tracht. Mit der ernsteren Zeitstimmung schwanden auch die Extravaganzen und Thorheiten in der Kleidung. Die Zotteln und Schleppen fielen ab; die Taille rückte wieder auf ihren natürlichen Sitz. An die Stelle der unförmlichen Gugeln und Zuckerhüte traten zierliche Netze aus Goldfäden (Calotten) oder auch helmartig geformte weiße Häubchen, unter denen das Haar in gewundenen Zöpfen oder natürlichen Löckchen wieder hervorsah. Vornehme Frauen trugen außer dem Hause oder bei feierlichen Gelegenheiten über den Calotten noch Sammetbarette mit einem Kranze wehender Straußfedern.

Weiter tritt als die folgenreichste Wandlung jetzt zum ersten Male das Mieder auf, das in seiner Trennung von dem andersfarbigen Rocke eine Zweitheilung der ganzen Gestalt hervorruft, und als die Ahnmutter der Wespentaille, des Schnürleibs, der männlichen Weste und der weiter in dieses Fach einschlagenden Mode-Artikel zu gelten hat. Das Leibchen erscheint viereckig ausgeschnitten über einem weißleinenen Chemiset, das die Volkssprache als das eigentliche Mieder bezeichnet. An den engen glatt anliegenden Aermeln bilden weiße Ausbauschungen, unterbunden mit Sammetbändern oder Goldborden, eine malerische Unterbrechung. Ein Gürtel von Leder oder Metall fällt seitwärts auf die Hüfte nieder, und an ihm befestigt hängt eine Tasche zur Aufnahme von Scheere, Nadeln und Messer. Es ist die Zeit der Gretchen und Klärchen, die Zeit der Renaissance, die sich der besondern Gunst unserer Historienmaler erfreut. Die Tracht enthält – nicht zu ihrem Schaden – viele Reminiscenzen an die Tracht des ritterlichen Mittelalters, so in dem Aufraffen des Oberkleids zu einem anmuthigen Faltenwurfe unter gleicher Benutzung des Gürtels.

Da macht in der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, hervorgerufen durch den überall, besonders aber in Deutschland, breitmachenden spanischen Einfluß – die Tracht auf einmal wieder einen Sprung in’s Barocke. Die Herrschaft des freien Faltenwurfs geht dabei ganz wieder unter; das Costüm beginnt von Kopf bis zu den Füßen zu erstarren. Denn schon der Hals wird eingezwängt und verdeckt durch eine in die steifsten Falten gelegte mühlsteinförmige und schließlich auch mühlsteingroße Krause. Ein Kunst-Schriftsteller, Jacob von Falke, vergleicht sie ganz treffend mit der Schüssel der Herodias, auf welcher das Haupt Johannis des Täufers ruht. Die Taille sank wieder tiefer hinab und erhielt zum ersten Male eine Schneppe. Ja, sie verengte sich durch eine aus Stahlpanzer bestehende Maschine bis zur modernen Wespentaille. Oben schließt das Kleid eng an die Krause an, jeder Entblößung ängstlich wehrend. In’s ärgste Extrem gerieth aber dieses spanische Erstarrungsmotiv, das mit der steifen Etiquette des spanischen Hofes Hand in Hand ging, in dem an die Panzertaille sich anschließenden Rock. Anfangs wurde die Steifheit desselben durch Filz hergestellt. Das genügte jedoch nicht, und man erfand ein förmliches Gestell von eisernen Reifen, über das man das Kleiderzeug spannte. Hatte dieses Gestell im Anfang die barocke, aber immerhin noch nicht ganz unschöne Form einer Glocke, so fing es später an sich unten zu verengen und oben zu erweitern, sodaß die Dame unterhalb der Taille einer wandelnden Tonne oder Birne glich. Allem ästhetischen Gefühle Hohn sprechend und nicht einmal den Anforderungen gemeiner Zweckmäßigkeit genügend, bot diese Kleidertonne wenigstens den einen Vortheil, daß die Damen ihre Arme bequem darauf ruhen lassen konnten. Und dieses Motiv taucht jetzt wieder am Horizonte der Mode auf.

Dem Charakter der Tracht entsprechend, wurde nun auch das Haar wieder in die Höhe gekämmt und von einer Schneppenhaube umspannt, welcher die schöne unglückliche Königin von Schottland, Maria Stuart, den Namen und zugleich mit jenem Brauche, wie die Gegenwart lehrt, eine gewisse Unsterblichkeit lieh. Andererseits

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_805.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)