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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


wurde auch das Haar in die seitherigen Goldnetze aufgenommen, und diese wurden mit einem ganz winzigen Hütchen oder kokett zur Seite getragenen Käppchen bedeckt. Auch wider diese „mit Eisen oder sonst weit ausgesperrten Röcke“ kämpfte die Polizei lange vergeblich an; denn wir finden sie noch im Jahre 1619 in einer braunschweigischen Klosterordnung erwähnt. Selbst als am Ende dieser auch in der Kunstgeschichte als Barockrenaissance bezeichneten Periode Halskragen und Rock wieder auf ein ästhetisch erträgliches Maß zurückgegangen waren, zeigt sich das Barocke immer noch in den hohen Achselbauschen der Aermel, in den kurzen weit abstehenden Jacken und den tapetenartig gemusterten Streifen, die vorn an den Kleidern wie Schürzen herabliefen.

Soviel für heute über die Geschichte der Frauenmoden! Unser zweiter und letzter Artikel wird die Entwickelung der Frauentrachten bis in die Zeiten unserer Mütter und über dieselben hinaus dem Leser vorführen.




Nachdruck verboten.
Kaiser Josef.
Den Deutsch-Oestreichern zur Säcularfeier von Josefs Thronbesteigung gewidmet
von Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)


3.

Mammon und Moloch, das goldene Kalb und der eherne Stier, Geld und Erfolg, das sind die einzigen Götter, an welche unsere Zeit mit Inbrunst glaubt. Auch eine unsittliche Geschichtschreibung, wie sie dermalen nur allzu sehr und namentlich in Deutschland obenauf ist, kniet und räuchert vor diesen Götzen. Sie thut groß damit, das ethische Princip aus der Geschichtewissenschaft verbannt zu haben. Sie hat es glücklich dahin gebracht, die Gegensätze von gut und bös, recht und schlecht, edel und gemein, hochherzig und niederträchtig in die „Harmonie wissenschaftlicher Objektivität“ aufzulösen und den Erfolg oder Nichterfolg als einzigen Werthmesser von Gedanken und Thaten, von Menschen und Dingen anzuerkennen und auszurufen. Sie vergiftet die Jugend, indem sie in den unerfahrenen Augen derselben den Unterschied von Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge, Freiheit und Knechtschaft als „wissenschaftlich unwesentlich“ erscheinen zu lassen sich bemüht und die jungen Leute förmlich zur charakterlosen Streberei verleitet und ermuntert. Sie hat in nicht geringem Grade die moralische Krankheit unserer Zeit mitverschuldet. Denn, des Gewissens ledig, wie sie ist, hat sie mittels ihrer ganzen Gebarung nach Kräften das Rechtsgefühl geschwächt, das Pflichtbewußtsein untergraben, die Begeisterung für das Ideale und den Haß des Schändlichen lahmgelegt, die Grundsatzlosigkeit für preiswürdig „objektiv“ ausgegeben, die Laxheit und Leichtfertigkeit der Anschauung und der Lebensführung gefördert.

Eine solche Auffassung und Darstellung der Geschichte kann dem Kaiser Josef nicht gerecht werden. Sie hat für ihn nur ein dünkelhaftes Achselzucken. Er beging ja die unverzeihliche Sünde, kein Glück, keinen Erfolg zu haben. Hätte er das gehabt, so würden die Pfaffen des ehernen Stieres „Josef den Großen“ unendlich behallelujahen, über alle seine Mängel und Mißgriffe „objektiv“ hinwegsehen und mit Napoleon singen und sagen: „Le succès justifie tout.“

Und hatte denn wirklich Josef keinen Erfolg? Ein Mann, der mehr Schärfe des Blickes und Urtheils, mehr geschichtlichen Sinn besaß als hundert schulweise Pedanten, Georg Förster, hat anders gesehen und geurtheilt. Sein bekannter Ausspruch: „Aus der Fackel von Josefs Geist ist ein Funke in Oestreich gefallen, der nie erlöschen wird“ – enthält eine Wahrheit, welche nur ganz Urtheilslose zu bestreiten sich versucht fühlen dürften. Allerdings nur ein „Funke“. Aber alles Licht, was seither in Oestreich aufgegangen, aus diesem josefinischen Funken ist es entsprungen. Ist das etwa kein Erfolg?

Josefs Beschreiten der politischen Bühne wird markirt durch seine im März von 1764 erfolgte Wahl zum „Römischen König“, d. h. zum bezeichneten Nachfolger seines Vaters in der deutschen Kaiserwürde, durch das Kurfürstenkollegium des deutschen Reiches. Im April fand seine Krönung zu Frankfurt a. M. statt, welche weitschichtige Haupt- und Staatsaktion, wie jeder weiß, Göthe aus den Erinnerungen seiner Knabenzeit ausführlich und anziehend in „Dichtung und Wahrheit“ beschrieben hat. Der Gekrönte selbst nahm dieselbe, wie sein Briefwechsel darthut, mehr von der heiteren als von der erhabenen Seite. Er muß in dem anachronistischen Krönungsornat mehr lächerlich als feierlich sich ausgenommen haben und fühlte das selber ganz gut[1]. Konnte er doch, so wie die Sachen im deutschen Reiche lagen, das ganze Krönungsspektakel nur für eine Maskerade ansehen. Das deutsche Reich, seit dem westfälischen Frieden ein sterbendes, war seit dem hubertusburger ein todtes. Josef hatte, als er nach dem unerwartet baldigen, im August von 1765 erfolgten Tode seines Vaters aus dem römischen König zum deutschen Kaiser geworden, ganz zweifellos die redliche Absicht, dem Reichscadaver neues Leben einzublasen. Aber da war alle Liebesmühe umsonst. In diesem Moder konnte keine Reformsaat mehr Wurzel schlagen. Josef mußte bald erkennen, daß seine deutsche Kaiserschaft nur eine ceremonielle Bedeutung hätte und höchstens dazu ausreichte, dann und wann einem der kleinsten und wüstesten unter den deutschen Duodez- oder Sedeztyrannen von damals einen heilsamen Schrecken einzujagen, und so wandte er denn Wollen und Thun der Staatsleitung von Oestreich zu.

Maria Theresia, welche die unruhige Neuerungslust ihres Sohnes gar wohl kannte und scheute, hatte denselben von einer thätlichen Betheiligung an den Staatsangelegenheiten bislang möglichst fernzuhalten gesucht und gewußt. Nun aber, durch den Tod ihres Gemahls, über dessen Flattereien sie großmüthig hinweggesehen, so tief gebeugt, daß sie ihren heiteren Sinn als Frau und ihren Muth und ihre Kraft als Herrscherin nie mehr völlig zurückgewann, suchte sie nach einer Stütze, und die nächste und naturgemäßeste war ihr Sohn Josef, welchen sie darum förmlich und feierlich zum Mitregenten annahm.

Das war ein unerquickliches und nicht selten geradezu peinliches Verhältniß von Anfang an, was sich sofort herausstellte, wenn der Mitregent Oestreichs seine Rolle ernsthaft zu nehmen Miene machte. Zugleich mit der Bekanntmachung des Mitregentschaftspatentes begann die heimliche Minirarbeit und das offene Widerstreben, welche mitsammen schließlich das Herz des Kaisers brachen und sein Werk vernichteten. Alles, was bisher von den Mißbräuchen der Staats- und Kirchenverwaltung gelebt und sich gemästet hatte, verschwor sich gegen den Neuerer Josef, welcher es wagte, in das ungeheure östreichische Drohnennest der Faulheit, des Schlendrians und des Wohllebens mit reformatorischer Hand hineinzugreifen. Alle die aufgestörten oder auch nur mit Aufstörung bedrohten bureaukratischen, hierarchischen und aristokratischen Drohnen wurden zu Wespen, zu Hornissen wider den Kaiser, der es versuchte, sie aus dem Halbschlummer träger Genüßlichkeit zum Denken und Schaffen für das allgemeine Beste, zur Arbeit, zum Fleiß, zur Pflichttreue zu rufen. Kanzlei, Sakristei und Kaserne verbündeten sich gegen ihn, und das Hofungeziefer aller Grade und Sorten kam mit den Nadelstichen giftiger Bosheit den Keulenschlägen zu Hilfe, welche Kamaschenhelden, Bonzen und Schreibstubenmatadore zu führen unternahmen. Den vereinigten Gegnern Josefs gelang es sehr bald, seine Mutter auf die doch immerhin sehr bescheiden und rücksichtsvoll gehandhabte Mitregentschaft ihres Sohnes eifersüchtig zu machen, und in Folge

  1. „Der junge König schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung einher, sodaß er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopfe ab. Die Dalmatika, die Stola, so gut sie auch angepaßt und eingenäht worden, gewährte doch keineswegs ein vortheilhaftes Aussehen. Skepter und Reichsapfel setzten in Verwunderung; aber man konnte sich nicht leugnen, daß man lieber eine mächtige, dem Anzuge gewachsene Gestalt, um der günstigen Wirkung willen, damit bekleidet und ausgeschmückt gesehen hätte.“
    Göthe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_806.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)