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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Nicht Gleichheit, sondern unbestrittenes Uebergewicht begehren sie, und zwar nicht blos in Böhmen, das sie sich zu einem Wenzels-Königreiche ausbauen möchten, sondern auch in Oesterreich überhaupt. Sie sind Panslavisten und Schwärmer für Rußland, den natürlichsten Feind Oesterreichs. So lange sie in Böhmen die Zügel führten, war zwischen Böhmerwald und Riesengebirge eine Stätte des Bürgerkrieges, der Zerstörung mit Feuer und Schwert. Verfassungsmäßiges Recht ist ihnen keinen Pfifferling werth, wenn nicht die Verfassung ihnen, und ihren ultramontanen und feudalen Verbündeten alle Freiheit, den Anderen das Helotenthum verhängt. Sie haben kein Verdienst um Oesterreichs geistige, nur ein geringes um seine materielle Wohlfahrt und keines um die Entwickelung des politischen Fortschrittes; denn die Politik ist ihnen nichts als das Instrument ihres nationalen Eigennutzes.

Wenn Oesterreich aufhört, die Ostmark zu sein, der vielleicht in Zukunft den Russen gegenüber dieselbe Mission vorbehalten ist, wie in der Vergangenheit gegenüber den Türken, wenn es sein Beharrungsvermögen einbüßt und in lauter nationale Splitter, einen czechischen, slovenischen, polnischen, deutschen, aus einander fällt, so ist seine historische Sendung beschlossen. Und wo keine historische Sendung ist, da ist auch kein Bestand. Das geschichtliche Oesterreich ruht auf den Schultern der Deutschen; begünstigt es die Czechen und deren Alleinherrschaft in Böhmen, so schafft es wider sich selbst einen Vorposten Rußlands und des Slaventhums. Das ist so einfach, daß sich Niemand mit mangelnder Einsicht entschuldigen kann. Der böhmische Adel, der dreihundert Jahre mit den Jesuiten fraternisirte, glaubt freilich Alles, was – absurd ist; er glaubt auch daran, daß er um Roms willen und wegen seiner feudalen Vorrechte das liberale Deutschthum hassen und verfolgen müsse. So anscheinend gebildet und erkenntnißfähig diese Grafen Leo Thun, Clam-Martinitz, diese Fürsten Lobkowitz und Liechtenstein sind, sie zappeln doch an dem römischen Drahte. Und darin trifft eben Graf Thun mit Ladislaus Rieger, der Concordatsgraf mit dem Moskaupilger zusammen, daß Beide die Reaction wollen, diese alte Feindin und Unterdrückerin alles Deutschen.

„In Bereitschaft sein, ist Alles,“ sagt Hamlet. Man weiß es links und weiß es rechts, welch tiefer Sinn in diesem Worte steckt. Die böhmischen Deutschen kämpfen auf dem Boden der Verfassung tapfer und unentmuthigt; sie sind zweifellos von der Gewißheit durchdrungen, daß sie nicht umsonst Deutsche sind. Der Theil kämpft für das Ganze, und es giebt Zeiten, wo nach dem alten griechischen Philosophen der Theil mehr ist als das Ganze.



Am Sterbebett der Natur.


Ich wand’le durch den herbstlich öden Wald;
Hoch über mir die Krähenschwärme krächzen.
Von Westen bläst der Sturmwind feucht und kalt.
Und in den Wipfeln geht ein wimmernd Aechzen.

Es raschelt in der Eiche dürrem Laub;
Den welken Schmuck, ihn will sie noch bewahren.
Was längst des Frosts und der Verwesung Raub,
Noch läßt es nicht die Uebertreue fahren.

Halboffnen Aug’s nur ist der Tag erwacht;
Kein Sonnenstrahl will seine Wange färben. –
Natur, Natur, wie wehrst du dich mit Macht
Im letzten Lebenszucken vor dem Sterben!

Ich hör’ es, wie du leise stöhnst und weinst
Auf deinem Todtenbett von Blätterfetzen.
Schlaf ruhig ein! Erwachen wirst du einst
Zu neuer Pracht nach ew’gen Weltgesetzen.

Du hast gegrünt, geblüht und Frucht gebracht;
Du hast getrunken heiße Sonnenküsse –
Wild fegt der Wind. Ich habe still bedacht.
Wie doch so schwer sich sterben lassen müsse.

Gebetet hab’ ich, daß mir Gott einmal
Mit diesem Trost das letzte Leid versüße,
Daß ich nicht sterbe ohne Sonnenstrahl
Und ohne treuer Liebe Scheidegrüße.

Emil Rittershaus.


Skizzen aus Niederdeutschland.
Von Ferdinand Lindner.
5. Sturmfluth.

Sturmfluth – ein wildes, unbändiges Wort, das ein ungeheures Bild in unserer Seele erregt – ein klares und vollkommenes aber wohl kaum. Wer den Ocean nicht selbst sah, wie er sich, vom Sturm belastet, dem Lande zuwälzt, dem kann keine Schilderung, auch die leidenschaftlichste nicht, ein vollständiges Bild geben, noch weniger aber das Bild einer in den Wirbeln des Meeres versinkenden Landschaft.

Was wir in Folgendem dem Leser vor Augen führen wollen, ist eine geschlossene Darstellung der Sturmfluthen überhaupt und ihre Einwirkung auf die Verhältnisse unserer Nordseeküste, und wenn wir diese Darstellung mit dem Versuche beginnen, eine Sturmfluth flüchtig zu skizziren, so bezweckt dies allein, dem Leser das sinnlich nahe zu rücken, was in der folgenden Geschichte der Sturmfluthen den gewaltigen elementaren Hintergrund bildet.

Erdfahl hat sich der Himmel umzogen; erdfahl färbt sich die See, und aus der unruhigen düstern Fläche blickt es weiß auf – kurz und schnell, bald hier, bald dort: die See zeigt die Zähne, wie das Raubthier vor dem Ansprung; kurze weiße Schaumkämme tauchen auf und versinken; höher beginnen sich die Wogen zu heben; länger dehnen sich die Schaumrücken; hohl tönend kommt es über die See herüber – der Sturm ist da.

Doch was kümmert das den Marschbewohner, der vom sichern Deiche hinaus in die Wasserwüste und hinab in die stille Landschaft blickt, deren gesegnete Gefilde, weithin gestreckt, sich in der grauen Ferne verlieren.

Aber mächtiger, wuchtiger stößt der Sturm auf Meer und Land nieder; schon rollt die See brausend über den Groden heran; nicht lange und sie bricht sich schäumend an der Bärme des Deiches – über die rückprallende Woge gießt sich rauschend und zischend die folgende und über die im Schaum zerberstende wälzt sich donnernd die nächste den Deich hinauf; höher und höher, Fuß um Fuß klimmen sie empor. Schon zuckt die erste Spritzwelle über der Kappe auf, und wie nun die Wogenhäupter anfangen, gierig über den Deich zu spähen, wie der Schaum geradaus in’s Land fegend sich schneegleich auf die braunen Moosdächer wirft und an die Lehmwände schlägt, da blickt der Marschbewohner nicht mehr ruhig, sondern beklommen späht er zwischen den tief jagenden Wolkenfetzen zu dem düstern Himmel hinan. Doch dort schreibt der Orkan nur drohende Zeichen. Er blickt in die finstern Sturmcolonnen des Oceans hinaus, aber als triebe sie ein furchtbarer höherer Wille, ein unerbittlicher Gedanke, so rastlos stürzen sie in wilder Energie heran. Der Tag versinkt ohne Abschiedsgruß in der wüsten Nacht, und mit der Nacht kommt das Ende.

Längst schon ging der Alarm durch’s Land; längst schon stehen die Posten auf Auslug und arbeiten die Männer verzweifelt hier und dort, die Kappe, den obersten Theil des Deiches, zu halten; denn wenn diese verloren, ist es auch der Deich.

Alles umsonst! Die vernichtende Woge rollt endlich heran; in Schaum und Gischt zerbröckelt die Kappe; hinterdrein stürzt der zermalmte Deich, und triumphirend donnern die Fluthen durch die Bresche; mit Gedankenschnelle sind die nächsten Höfe weggefegt wie Kartenhäuser, in Nacht und Grauen, in Sturmgeheul und dem rasenden Wirbel der Elemente beginnt der Todeskampf der Landschaft, das große Sterben, das letzte Ringen mit den Wogen.

Wenn auch die nun folgenden Scenen in ihren Einzelnheiten denjenigen binnenländischer Überschwemmungen zum Theil ähneln oder gleichen, so liegt doch in dem Bewußtsein, daß das uferlose Weltmeer sich auf den Menschen herabstürzt, eine so furchtbare

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_838.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)