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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 3.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)

Herr Markus saß am Morgen des vierten Tages nach seiner Ankunft in dem Gartenhäuschen auf der Mauer und schrieb. Er hatte mit einer Anzahl auserlesener Werke aus der „Bücherstube“, allerhand Schreibgeräth und einigen Regaliakistchen die kleine Stube noch behaglicher ausstaffirt. … Nun hatte er sich eine Cigarre angebrannt, und die blauen Wölkchen vertrieben die Camillen- und Lavendeldüfte, welche die Morgenluft aus dem Kräutergarten der Frau Oberforstmeisterin hereinwehte. – Er saß im Eckdivan, der Balconthür gegenüber. Sobald er aufblickte, übersah er durch die Glasscheiben den Weg, der, vor dem Gutshause hinlaufend, in fast schnurgerader Linie die Felder durchschnitt und erst weit drüben von dem beginnenden Waldschatten aufgenommen wurde. Nur einmal zweigte sich eine schmale Pfadlinie rechts ab, um hinter einem kleinen Fichtengehölz weg nach dem Vorwerk zu laufen.

Auf diesem Fußweg daherkommend, trat plötzlich ein weibliches Wesen in seinen Gesichtskreis – es war die Magd vom Vorwerk. Sofort erkannte er sie an Gang und Haltung, wenn auch heute, außer dem ominösen weißen Tuch – von Frau Griebel zornmüthig „Scheuleder“ genannt – noch ein breitrandiger Strohhut ihr Gesicht beschattete.

Sie ging langsam mit gesenktem Kopfe; in der Linken trug sie einen Rechen und ließ im Vorüberwandeln die grünen Kornähren durch die Finger der rechten Hand laufen. Wie auf Goldgrund hob sich das Mädchen aus der sonnenhellen, einsamen Landschaft. Sie war offenbar im Begriff, auf der entferntgelegenen Wiese, wo sie vor einigen Tagen gemäht hatte, das Heu zu wenden.

Er sah sie näher und näher kommen; sie hatte sichtlich keine Ahnung, daß in dem Gartenhäuschen ein Beobachter jeder ihrer Bewegungen unverwandten Blickes folgte. Herr Markus hatte nicht mehr an das Mädchen gedacht, das ihm die verlangte Hülfe auf der Brücke nur mit Widerwillen geleistet, jetzt aber fiel ihm die knappe und schroffe Art und Weise, mit welcher sie ihn abgefertigt hatte, wieder ein; er mußte lachen, und es reizte ihn, mit der Spröden noch einmal anzubinden.

Er erhob sich und trat an die Thür, während sie, der Mauerecke nahe, plötzlich Halt machte und einen Brief aus der Tasche zog. Es schien, als spähe sie nach irgend einem dienstbaren Geist des Gutes aus, aber vor dem Hause und an den Fenstern desselben rührte und regte sich nichts. Sie betrat deshalb, kurz entschlossen, den Rasenstreifen an der westlichen Gartenmauer, jedenfalls um zu den Hintergebäuden zu gelangen, wo die Mägde in den Ställen zu finden waren.

In diesem Augenblick kam Herr Markus auf den Balcon heraus; er stieg rasch das Treppchen hinab und vertrat ihr so den Weg. Sie schrak zusammen, als habe sich die Erde vor ihr aufgethan, und ließ vor Bestürzung den Rechen fallen.

„Der Brief ist doch wohl für Jemand auf dem Gute bestimmt – gieb ihn mir! Ich will ihn bestellen,“ sagte er lächelnd, indem er die Hand nach dem schmalen Couvert ausstreckte.

Stumm reichte sie ihm den Brief hin.

„Was der Tausend – er ist ja für mich,“ rief er mit einem Blick auf die Adresse. „Von wem?“

Sie bückte sich und nahm den Rechen auf.

„Von Deinem Herrn doch nicht?“ inquirirte er weiter, da die Antwort nicht sofort erfolgte.

„Ja, vom Amtmann,“ bestätigte sie jetzt in der fast ängstlich knappen Redeweise, die er bereits an ihr kannte.

Er wiegte lächelnd den Kopf.

„Sieh, sieh, was der alte Herr für eine, zierliche Damenhand schreibt!“

„Das ist nicht seine Schrift – er leidet an Augenschwäche –“

„Ach so, da hat er dictirt, und eine seiner Damen, wie ich vermuthe, das Fräulein Gouvernante, hat nachgeschrieben.“ Er hielt die Adresse prüfend von sich ab. „Schöne, schlanke Züge, auf schneeweißem Papier, wie es sich für eine Dame gehört, die mit Küchengeräth und Staubtuch absolut nichts zu schaffen hat.“

Sie warf den Kopf auf, und er hoffte schon auf eine schneidige Replik, aber umsonst; sie senkte das Kinn wieder auf die Brust und schwieg.

„Du bist wohl für Deine junge Dame sehr eingenommen?“ fragte er, seine brennende Cigarre wieder zum Munde führend.

„Ich glaube nicht,“ versetzte sie und trat ein wenig zurück, als wolle sie den blauen Duftringeln ausweichen, die ihren Kopf plötzlich umschleierten. Lächerlich! Das Mädchen da, das in öffentlichen Vergnügungslocalen unter ihresgleichen den dicken Dampf unfeinen Canasters athmen mußte, that verwöhnt und belästigt, als habe sie die feinsten Damennerven – sie copirte höchstwahrscheinlich das Fräulein Gouvernante. Das ärgerte und reizte ihn – er that nun erst recht ein paar kräftige Züge.

„Du glaubst es nicht?“ wiederholte er darauf. „Aber ihr vornehmes Wesen gefällt Dir trotz alledem, wie ich vermuthe – Du möchtest wohl gar zu gern sein wie sie, nicht?“

„Das wäre ein sonderbarer Wunsch –“

„Ei warum denn? Die schönen Hände pflegen und sich im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_041.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)