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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

in Bart und Haar aufzuthauen, erwiderte auf die Frage, ob es denn wirklich so kalt draußen sei: ,Freilich, Herr! Auf dem Felde war eine zweipelzige Kälte.’“

Daß diese „zweipelzige Kälte“ kein scherzhafter, bildlicher Ausdruck ist, sondern der Wirklichkeit entstammt, das erfuhren in vollster Wahrheit die Mitglieder der Bremer Expedition nach Westsibirien. Dr. Finsch berichtet hierüber:

„Von Jekaterinburg ging die weitere Reise durch die Ischim-Steppe nach Omsk. Der Empfang der Reisenden Seitens der Witterung – es war im März – war ein echt sibirischer. Der Himmel trübte sich; Schneewolken jagten einander, und es wurde empfindlich kalt. Das Land zeigte, daß man es nur in jeder Weise entsprechend ausgerüstet betreten darf. Und in Bezug auf Winterkleider waren wir es nicht; denn bei diesem schneidenden Winde und den 13° R. Kälte konnte man leicht einsehen lernen, daß unsere Pelze wohl für deutsche, aber nicht für sibirische Verhältnisse eingerichtet waren. Trotz Wollenzeug, doppelter Weste, Jagdflausch und Pelz fror mich so entsetzlich, daß ich mir oft wie in Hemdsärmeln sitzend vorkam. Will man sich also verwahren, so muß man sich nach Landessitte in zwei Pelze (eigentlich drei) kleiden. Der eine innen mit Schafpelz gefütterte gleicht einem bis über die Kniee reichenden Rocke und wird seitlich durch engschließende Oesen zugeknöpft. Ueber diesen gehört eine sogenannte Dacha, das heißt ein außerordentlich weiter mit Kapuze versehener Pelz, innen aus den Sommerfellen des Eisfuchses, außen aus Renthierkalbfellen gefertigt, der deshalb sehr leicht ist und in den man sich ganz einhüllen kann. Als Kopfbedeckung trägt man dazu am besten eine samojedische Kappe, innen und außen aus Fell vom Renthierkalbe, deren Ohrenklappen in lange breite Streifen enden, die als Shawl um Hals und Kinn geschlungen werden können. Und vor Allem sind Pelzstiefel nicht zu vergessen und ganz unerläßlich. So ausgerüstet, vermag man der größten Kälte zu trotzen.“

Aber weder in dem einen noch in dem anderen angeführten Falle wird uns der eigentliche arktische Winter in seiner ganzen schreckhaften Gestalt vorgeführt: davon können uns nur jene Männer erzählen, die als Nordpolfahrer Leib und Leben in den Dienst der geographischen Erforschung gestellt haben.

Aus der großen Menge der einschlägigen Berichte heben wir hier die von Wrangel und Kane hervor, weil diese uns in besonders drastischer Weise jene Winterszeit beschreiben: Die Erde berstet vor Kälte bis zu Tiefen von 400 bis 600 Fuß. Wo sich in diesen Rissen und Spalten noch fließendes Wasser befindet, verdunstet es, doch gefrieren diese Wasserdämpfe bereits zu Eis, ehe sie noch an die Oberfläche kommen. Bart, Augenbrauen, Wimpern und die Härchen an den Ohren bekommen eine zarte und vollkommen einhüllende Decke von ehrwürdigem Reif; an Schnurrbart und Unterlippe bilden sich schwebende Eisperlen. Steckt man die Zunge heraus, so friert sie sogleich an dieser Eiskruste fest, und eine schleunige Anstrengung und Nachhülfe mit der Hand ist erforderlich, um sie wieder frei zu machen. Je weniger man spricht, desto besser ist es. Sogar die Augenlider kleben, oft schon bei vorübergehendem Schließen, zusammen. Ergötzlich ist im Bericht des Dr. Kane zu lesen, welchergestalt sich die Eßwaaren zeigten:

„Die getrockneten Aepfel und Pfirsichen wurden zu einer festen Masse voll an einander gedrängter Ecken und Winkel. Diese aus dem Fasse oder das Faß aus ihnen herauszubringen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Wir fanden nach verschiedenen Versuchen, daß der kürzeste und beste Weg der war, das Faß sammt den Früchten mit wiederholten Schlägen einer schweren Axt aus einander zu hauen und dann die Klumpen zum Aufthauen in die Schiffsküche hinab zu schaffen. Sauerkraut sah aus wie Glimmer oder richtiger wie Talkschiefer. Butter und Schweineschmalz, die sich weniger verwandeln, erfordern einen schweren Schrotmeißel und Schlägel. Schweine- und Ochsenfleisch sind seltene Probestücke florentinischer Mosaik, denen man nicht einmal mit der Axt, sondern nur mit Brecheisen und Hebebaum oder mit der Säge beikommen kann. Ein Klumpen Lampenöl, der aus den Faßdauben losgelöst war, stand da wie eine gelbe Sandsteinwalze für einen Kiesweg. Unsere eingemachten Speisen könnten vortrefflich als Kanonenkugeln verwendet werden.“

Soweit unser Berichterstatter. Der schlimmste Feind der Nordpolfahrer ist der Durst. Wie soll das aber möglich sein in Gegenden, wo es nur Schnee und Eis giebt? Wir wissen aus unserer Jugendzeit, daß Schneeballen und Schneemänner nicht an jedem Wintertage herzustellen sind, sondern nur dann, wenn die Temperatur dem Thaupunkte nahe ist; denn der Schnee nimmt je nach der Lufttemperatur verschiedene Kältegrade an; beträgt seine Temperatur –6° R. und darunter, so vernehmen wir bei unseren Tritten das Knirschen und Kreischen des Schnees. In jenen nördlichen Gegenden aber hat der Schnee während des Winters häufig –25° R., ist also ungenießbar; zum Aufthauen fehlt es meist an Feuerungsmaterial. So kann man sich vielfach nur dadurch helfen, daß man mit der Wärme des menschlichen Leibes den in Kautschukflaschen gefüllten Schnee aufthaut. Welch angenehmes Gefühl solche „negative Wärmflaschen“ dem Körper bereiten, kann man sich leicht vorstellen.

Die höchsten Wärme- und die größten Kältetemperaturen, die man an der Oberfläche unseres Erdenballes beobachtet hat, liegen um mehr als 100° R., also weiter als Gefrier- und Siedepunkt von einander entfernt. Daß aber der Mensch bei all diesen extremen Temperaturverhältnissen seine Existenz zu behaupten vermag, daß er sogar, wie neulich Nordenskjöld und seine Gefährten gethan, in verhältnißmäßig kurzer Zeit mit dem Aufenthalte in den Gegenden der äußersten Extreme wechseln kann, ohne der Gesundheit zu schaden, das ist ein bedeutungsvolles Zeugnis für seine hohe Organisation und ein Beweis dafür, daß der Mensch zum Herrscher der Erde berufen ist.

Fritz Krumbiegel.




Zum Tage der Kaiserproclamation.
(18. Januar 1871 – 18. Januar 1881.)


In Nanzig war ich, der Stadt der Pracht –
Von Geschützen erdröhnend, auf eherner Bahn,
Wie rollte, gleich grollenden Schatten der Nacht,
Im Sturme Wagen um Wagen heran!
Noch trotzte Paris, und im Süd und Nord
Auflohten im Volke die Flammen des Kriegs.
Da trugen die Wagen an klirrendem Bord
Die jungen Kämpfer zum Banner des Siegs.
Doch wohin sie fuhren, horcht, auf! dorther
Erschallte die stolze, beglückende Mär.

Aufsprangen wir Alle in Hof und Saal,
Die Krieger und Waller von jeglicher Art,
Wie Deutschland von Küste, Berg und Thal
Im Feindesland sie zusammengeschaart –
Von der Alpenhöh’ und vom Bernsteinstrand,
Von der Donau und Elbe, vom Neckar und Main,
Sie Alle, die sich aus so vielerlei Land
Zusammengefunden als „Wacht am Rhein“,
Sie Alle lauschten der jubelnden Mär:
Sie kam von Versailles, von König und Heer.

Und wie durch die Reihen die Kunde erschallt
Von dem theuern, dem wiedergewonnenen Reich,
Da werden auf einmal mit Wonnegewalt
Die Augen naß und die Herzen weich.
„Die kaiserlose, die schreckliche Zeit“,
Im Grolle getragen so manches Jahr,
Von der uns nicht Wunden noch Thränen befreit,
Nun liegt sie auf schmählicher Todtenbahr,
Und daneben in goldener Wiege lacht
Das neue Reich in Siegespracht.

Versunken war der Vergangenheit Bild,
Das „Kaiser und Reich“ uns in’s Herz gemalt,
Wo in Heldenarmen Deutschlands Schild
Und der deutsche Name in Ehren gestrahlt.
Da kam der rettende Krieg – er trat
Der Zwietracht Hyder den Kopf entzwei –
Auf dem Kampfplatz steht ein Volk der That;
Mit dem Siege zieh’n Macht und Ruhm herbei,
Und wieder vor allen Landen verklärt
Steht Deutschlands Thron und das deutsche Schwert.

Ich eilte hinaus in den Sternenschein,
Von Begeisterungswonne die Brust geschwellt;
Ich mußt’ in die festliche Nacht hinein
Die Kunde zujauchzen der staunenden Welt.
Dort trugen die Wagen das junge Heer
Gen Paris – und der dienende Blitz trug dort
Nach Deutschland die völkerdurchzuckende Mär
Von dem neuen Reich und dem Kaiserwort;
Und ich hob zum Himmel Herz und Hand:
Gott segne dich, herrliches Vaterland!

Friedrich Hofmann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_052.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)