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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Die weiße Rose.

Episode aus dem mexikanisch-französischen Kriege.
(Schluß.)

„Man kann seinem Fatum nicht entgehen, Sennorita,“ sagte de Brunne galant, „aber ich bedauere es von Herzen, daß mein Anblick Ihnen diesen idyllischen Morgen verbittern mußte,“ und er bückte sich, um die Lichtung zu gewinnen und dem jungen Mädchen den in der That reizenden Platz zu überlassen.

„Ich beabsichtige nicht, Sie zu stören, Sennor,“ sagte sie kalt, aber doch mit einem merklichen Beben der Stimme, welches auch Henri de Brunne nicht entging und ihm vielleicht den Muth gab, stehen zu bleiben und einen prüfenden Blick auf ihre vom frischen Morgen belebten, wunderschönen Züge zu werfen. „Ich möchte Sie im Gegentheil um ein paar Worte bitten, Sennor,“ fuhr sie zögernd fort, „zu welchen ich bis jetzt vergebens die Gelegenheit suchte.“

Des Franzosen feines Gesicht überzog eine jähe Gluth, aber dennoch vermochte er nichts zu sagen und neigte nur ehrerbietig sein Haupt.

„Ich fühle mich bedrückt,“ fuhr sie immer langsamer und stockender fort, „in Ihrem Besitze etwas zu wissen, wozu Sie keine Berechtigung haben, Sennor, das nur ein unglücklicher Zufall Ihnen in die Hände gespielt –“

„Und wovon Sie glauben,“ unterbrach sie jetzt der Franzose erregt, „daß ich nicht werth bin, es zu besitzen. Sie meinen doch die Rose, Sennorita?“

„Ja, die Rose, die ich keinem Franzosen, keinem Feind meines Vaterlandes lassen darf,“ und die junge Dame erhob das Haupt mit kaltem Stolze – jeder Anflug von schüchterner Verlegenheit war aus ihren Mienen verschwunden.

„Wenn es aber nun nicht der Franzose, der Feind Ihres Vaterlandes, ist, Sennorita, der Sie darum bittet,“ sagte jetzt Monsieur de Brunne weich, in dem wunderschönen Anblick des Mädchens versunken, dessen Bild sich von der ersten Stunde an so unauslöschlich tief in sein Herz gesenkt. „Wenn ich Ihnen sage, daß mich keine Eroberungssucht nach Mexico trieb, sondern neben unglückseligen Verhältnissen die Sehnsucht nach dem Meere, nach fremdem Lande und tropischem Himmel – würden Sie mir auch dann die Rose verweigern, Sennorita?“

Ein unerklärliches Etwas bäumte sich in der Brust des leidenschaftlichen Mädchens auf – ein Gefühl, halb Himmel, halb Hölle. Ihre Augen ruhten feucht auf dem fernen Gebirge. Wollte sich da eine wunderbar leuchtende Sonne hervordrängen, die in ihrem Herzen einen Abglanz fand? Schon legte sich ein weicher, verklärender Zug um ihre Lippen, ein Zug von ungesprochener, unsagbarer Seligkeit – dann wandten sich ihre Blicke ab von der schönen freien Gotteswelt und fielen starr, wie aus allen Himmeln gerissen, auf die französische Uniform ihr gegenüber.

Ein eisiges: „Auch dann nicht,“ drängte sich gewaltsam über die Lippen, die jetzt ein dunkler Schatten von bitterem Trotz verzerrte, und jeder verklärende Glanz war verschwunden.

„Auch dann nicht!“ wiederholte der Franzose mit gesenktem Antlitz, in dem eine Welt tiefen Weh’s lag.

Sie standen sich einige Augenblicke schweigend gegenüber.

„Donna Conchita,“ sagte endlich Henri de Brunne, „lassen Sie mir die Rose; ich bitte Sie – sie soll, von der Erinnerung an Sie geheiligt, mein liebstes Andenken sein.“

„Ich kann nicht,“ sagte sie weicher als vorher. „Ich darf diese Rose nur dem Manne schenken, den ich – liebe.“

„Und das ist, Sennorita?“

„Das darf niemals ein Franzose sein, so wahr mir Gott helfe!“ und die Stimme, die diese Worte sprach, hatte nichts von dem musikalischen Klang, der sie sonst so bezaubernd machte.

Der Adjutant hatte sein Portefeuille von der Brust genommen, mit bebenden Fingern schlug er es aus einander und gab ein Blatt des feinsten Seidenpapiers, zwischen dessen Falten eine welke Rose lag, in der jungen Dame Hand; dann verbeugte er sich und ging.

Als er die Lichtung gewonnen hatte, schaute er noch einmal zurück. Das schöne Mädchen stand noch auf derselben Stelle wie zuvor; in der einen Hand hielt sie die lebensfrischen Blumen, die sie vorher im Bosquet gepflückt, zwischen den bebenden Fingern der anderen die weiße Rose. Ihre Augen waren wie abwesend in die Ferne gerichtet, groß, träumerisch.

Ein helles Lachen weckte Concha aus ihren Träumen. Es war ihre Freundin Rosita, die nun mit Don Miguel ernstliche Versuche machte, sie aufzufinden; sie barg hastig die Rose in den Falten ihres Reitkleides und trat ihnen entgegen.

„Ich dachte schon, irgend ein räthselhafter Berggeist hätte Dich verzaubert,“ sagte die junge Frau, indem sie mit der zierlichen Reitgerte, welche am Knopfe ihrer Weste befestigt war, schmeichlerisch der Freundin Schulter berührte. „Beichte, wo warst Du, und was hat Dich so geisterbleich gemacht?“

„Nur der Schrecken, als ich Euere Stimmen hörte und mir erst klar wurde, wie lange ich hier beim Blumenpflücken geträumt.“

Sie war wieder vollständig gefaßt und legte ihren Arm zärtlich in den der jungen Frau, indem sie den Berg hinunter stiegen.

Und als sie eine Stunde später in kunstgerechtem Trabe nach Mexico zurückritten, war ihr Lachen fast noch heller und anhaltender, als das Rosita’s. – –

Als Conchita am andern Morgen nach unruhigem Schlafe erwachte, war sie so weit mit sich und ihrer Ueberzeugung im Reinen, daß der Franzose anmaßend wie seine ganze Nation sei, und daß sie sich seiner impertinenten Liebeserklärung gegenüber viel zu schwach und duldend gezeigt habe. Was gab ihm ein Recht, ihm, dem Eindringlinge, sie zu lieben?

Ja gewiß, es konnte nichts als der Aerger über ihr eigenes viel zu wenig stolzes Benehmen sein, welches ihr Gewissen beunruhigte und ihre Gedanken an ihn fesselte. Die Rose hatte sie in ein Kästchen in den letzten Winkel ihrer Kommode geschoben, und obgleich sie gestern Abend zum ersten Male den Liebesschwüren Don Miguel’s Gehör gegeben, die Rose hätte sie ihm doch nicht für ein Königreich überlassen mögen.

Sie mochte nicht allein sein. Das bleiche Bild des Franzosen, wie er seine Augen so tief und ernst – so ganz anders, als die Don Miguel’s – zu ihr emporgehoben, verfolgte sie und nagte fast schmerzend an ihrer Seele.

Sie kleidete sich sorgfältig an und ging in den Salon.

Don Miguel erwartete sie schon, und sie ließ es geschehen, daß er sie zärtlich in seine Arme zog und ihre Hand an seine Lippen preßte. Dann trat sie mit ihm hinaus auf den Balcon; sie wußte, daß der Generalstab jeden Augenblick vom Spazierritte kommen mußte, und ihr Todfeind, der anmaßende Franzose, sollte sie an der Seite Don Miguel’s sehen – ihres Verlobten.

Als sie von ferne das Herannahen der Cavalcade vernahm, legte sie ihre Hand trotzig in die seine, aber ihr Herz schlug so gewaltig und ihre Lippen zuckten so eigenthümlich, daß sie sich, um nicht umzusinken, an seine Schulter lehnen mußte.

Monsieur de Brunne war vorübergeritten, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt. Ihre Verlobung wurde einige Tage später mit großem Pompe gefeiert – doch in den großen, schönen Augen der Braut glänzte ein fast unheimliches Feuer, welches ihre Umgebung erschreckte.

Monsieur de Brunne hatte sie nicht wiedergesehen. Jeden Morgen, wenn die Officiere vorüberritten, stand sie mit hoch klopfendem Herzen auf dem Balcon, aber jedes Mal trat sie getäuscht und noch aufgeregter zurück.

Ging sie in das Theater oder in irgend eine Gesellschaft, so spähten ihre Augen fiebernd in jedem Winkel nach ihm – und fanden ihn doch nicht. Dann sank sie theilnahmlos in sich zusammen, lächelte seelenlos ihrem Verlobten – aber kein Strahl von Feuer und Glück vergoldete mehr ihre schönen Züge.

Und doch hatte sie nicht den Muth, nach ihm zu fragen; doch wäre es ihr eine vollständige Unmöglichkeit gewesen, den Namen über ihre Lippen zu bringen, der mit flammenden Lettern in ihrem Herzen stand. Die Rose lag unberührt im Winkel; nicht einmal den Triumph hatte sie sich gegönnt, sie Rosita zu zeigen – sie fürchtete sie zu berühren, und ihr Stolz war gebrochen.

Ihr Onkel triumphirte indessen über das glückliche Gelingen seiner Pläne. Don Miguel selbst verstand sie nicht. Ihm genügte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_054.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)