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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


menschlich, und so täuschten wir uns auch, als wir glaubten daß alle folgenden Processe zur Herstellung unserer Münzen uns in das Gebiet des Schönen fuhren würden. Dem gerändelten Plättchen wird auf einmal das stärkste Mißtrauensvotum erteilt, indem man ihm vor Anlegung des Festgewandes sich reinzuwaschen empfiehlt. Das ist hart, aber, objectiv betrachtet, eine berechtigte ästhetische und gesundheitspolizeiliche Forderung, denn die Stücke tragen von der Schmelzstation her noch immer eine rothbraune, schmutzige Farbe an sich. Symbolisch wird die Erniedrigung dadurch angedeutet, daß wir aus dem ersten Stocke wieder in das Erdgeschoß wandern müssen. Und welche Reinigung lassen ihnen die beiden Männer dort angedeihen! Hier wird keine Mandel- oder Veilchenseife verwandt, sondern man geht ihnen mit verdünnter Schwefelsäure zu Leibe. Nachdem die Säure das Kupfer aus der Oberfläche gebeizt hat, erscheinen. die Plättchen hellgelb und glänzend. Nun wird die an ihnen haftende Säure in einer mit Weinstein gefüllten rottenden Trommel entfernt, welche sie tüchtig durch einander rüttelt und schüttelt. Alsdann bringt sie ein Arbeiter in flache kupferne Kessel und reibt und trocknet sie mit wollenen Lappen zuerst kalt, dann warm ab.

Der Erniedrigung folgt endlich der gerechte Triumph. Gerändelt und gereinigt, läßt man die Plättchen in das Zubringerohr der fieberhaft arbeitenden Prägmaschine gleiten, welche sie einzeln nach der Anciennetät zwischen zwei mit gewaltiger Kraft gegen einander strebende Stahlstempel führt, die sie mit inbrünstigem Liebesarme umfassen, daß sich das Edelmetall oben und unten in die Vertiefungen der Stempel preßt, was man „Prägen“ nennt.

Da rollen die zur Würde von Münzen erhobenen Goldstücke aus der Maschine heraus und betten sich in ihrer jungen Größe verführerisch neben einander. Wer ihnen etwas an ihrer Würde oder Ehre „abschneiden“ wollte, würde mit den Gesetzen in Conflict gerathen. Der Münzbuchstabe A, Zeichen der Münzstätte Berlin, der aus dem Avers so bescheiden unter dem Bilde des Kaisers hervorblickt und nur auf einigen Scheidemünzen die Keckheit hat, sich zweimal zu zeigen, macht es dem Zehnmarkstücke unmöglich, seine Vaterstadt Berlin zu verleugnen, was übrigens allen Berliner Kindern bekanntlich sehr schwer wird.

In großen Behältern, welche Fleischerschüsseln ähnlich sehen, werden die glitzernden Goldstücke nun in das Münzcomptoir gebracht, wo sie gezählt und aufbewahrt werden. Bald wird sie die Reichsbank in ihre Cassen und Keller überführen und nach und nach in den Verkehr bringen. Dann wandern sie durch ehrliche und unehrliche Finger, aus den Geldschränken der Banquiers in die Strümpfe alter Frauen, von der schwieligen Hand des Arbeiters in das wohlgepflegte Händchen vornehmer Damen. Lange Jahre liegen sie ruhig in den Kisten zinsenverschmähender Geizhälse, bis sie dann plötzlich verurtheilt werden, ein unruhiges Dasein in der Börse des verschwenderischen Erben zu führen. Sie dienen allen Menschen, allen Ständen, allen Neigungen, allen Wünschen und Bestrebungen mit gleicher Liebe. Sie enthalten in der That das von den Chemikern bisher vergeblich gesuchte eine Element, aus welches sich alle anderen zurückführen lassen und welches in alle anderen verwandelt werden kann. Ja, wenn uns eines dieser Goldstücke seine Geschichte erzählen könnte! Vor mehreren tausend Jahren wurde vielleicht sein Stoff im Pactolus gewonnen, in der persischen Reichsmünze verarbeitet und mit dem Bilde des Königs geschmückt. Jahrhunderte später aber prangte auf dem umgeschmolzenen Metallstücke das Haupt Julius Cäsar's, und wieder nach Hunderten von Jahren ließ es eine fromme Frau mit anderen Werthsachen einschmelzen, um der neuerbauten romanischen Kathedrale eine kostbare Monstranz zu verehren. Abermals nach manchem Jahrhundert bildete es ein Glied der langen Kette, welche sich um den Hals eines Fürsten wand, und jetzt liegt es, ein moderner Phönix, zurückblickend auf stolze und ruhmreiche Schicksale, ruhig neben den Emporkömmlingen, deren Stoff erst vor wenigen Jahren in den Bergwerken Californiens gewonnen wurde.




Blätter und Blüthen.


Im Lande der Tuareg. (Mit Abbildung Seite 65.) Immer mehr lichtet sich das Dunkel, welches früher über dem Innern Afrikas herrschte, und den Spuren wissenschaftlicher Forscher des „dunkeln Welttheiles“ folgen schon heute kühne Unternehmer, welche die fernen Länder dem Handel und Wandel der civilisirten Welt zu erschließen trachten. Auch die Sahara, das großartige Sandmeer, welches die alten Culturländer der nordafrikanischen Küste von den tropischen fruchtbaren Ländereien am Nigerstrome trennt und bis setzt für den Handel ein fast unüberwindliches Hindernis bildete, wird gegenwärtig von Ingenieuren durchforscht. Man plant nämlich in Frankreich, über die trockenen, viele Meilen umfassenden Sandstrecken von Algier aus eine Eisenbahn nach Timbuktu zu bauen und also einen neuen Handelsweg zu dem „französischen Indien“ am Niger zu schaffen. Die französische Kammer hat zu diesem Zwecke bereits 600,000 Franken bewilligt, und im Anfange vorigen Jahres suchten vier Expeditionen unter Führung der Ingenieure Choisy und Poyanne, des Obersten Flatters und des gelehrten Afrikaforschers Soleillet von verschiedenen Richtungen aus in die Wüste einzudringen und die zukünftige Route für die geplante Bahn festzustellen. Vom größten Erfolg waren die Bemühungen des Obersten Flatters gekrönt, welcher durch das Land der Tuareg bis Temassinin vorgerückt war. Schon früher durchstreiften Reisende dieses Gebiet, unter Anderem die durch ihr tragisches Geschick bekannt gewordene Alexine Tinne. (Vergl. Jahrgang 1869, Seite 696.[WS 1]) Dank ihren Berichten steht der Targi[1] in schlechtem Ruf bei den Europäern. Auf flinken Reitkameelen, Meharas, nomadisirt er von Oase zu Oase, Viehzucht treibend und das Räuberhandwerk ausübend. Der Stamm, welchen man auf ungefähr 300,000 Köpfe zu schätzen pflegt, gehört der kaukasischen Rasse an und zählt zu den Bekennern des Propheten Mohammed. Wo er sich mit Negern nicht gemischt hat, bildet er einen schönen bräunlichen Menschenschlag. – Am 12. April vorigen Jahres begegnete die Expedition Flatters’ der ersten Tuaregbande zwischen Ain el Hadjadi und dem See Menthough, bei Sonnenuntergang näherten sich die Männer dem französischen Lager und machten, von den Strahlen der Sonne beschienen, in ihren weißen und blauen Gewändern und mit dem Mundtuch, das sie in der staubigen Wüste stets umbinden, einen überaus malerischen Eindruck. Durch die Lanzen, die sie in der Faust hielten, und durch die an der Seite der Kameele herabhängenden Schilder hatten sie das Aussehen von Kriegern, wie sie der Europäer aus „Tausend und eine Nacht“ kennen gelernt. Sie nahmen die Gastfreundschaft der französischen Soldaten an und brachten weiter sogar zwei von ihren angesehensten Damen mit, von denen die ältere die Fremden mit Musik unterhielt. Auf ihrem Mehara um einen Tamarindenstrauch in der Runde reitend, spielte sie auf einem Instrument, welches einer Geige ähnlich ist, aber nur eine Saite hat. Die Dame war die Schwester des Häuptlings und die Mutter des künftigen Bandenführers, denn bei den Tuareg herrscht die merkwürdige Sitte, daß nicht, wie bei uns, der Sohn den Vater beerbt, sondern daß die monarchische Würde von dem Onkel auf den Neffen übergeht. Friedlich ließen sie die Expedition weiterziehen. – Bald wird die Welt von Neuem Gelegenheit haben, von den Tuareg zu sprechen, da der französische Minister Barroy das von Flatters begonnene Werk mit Nachdruck fortzusetzen gedenkt. Wenn aber früher oder später der Plan einer Saharabahn verwirklicht werden und das schnaubende Dampfroß als Rival des flinken Kameels auf dem Sande der Wüste erscheinen wird, dann werden wohl die Söhne der Wüste trübe Erfahrungen machen. Sie werden die Cultur aufhalten wollen, aber man wird ihre Angriffe mit wohlgezieltem Pelotonfeuer und Branntwein zurückweisen, bis sie wie die Indianer Amerikas ihr Land den Civilisirten überlassen.




Nach der Sitzung. (Zu Abbildung Seite 69) Ein glücklich gewählter Gegenstand, ein Augenblick, den wir gern belauschen und zu dessen Erklärung es kaum noch eines Wortes bedarf! Das liebliche Kind hat einem Künstler als Modell gedient und wird nun, „nach der Sitzung“, vom Großvater wieder zur Heimgeleitung vorbereitet. Die Tracht des Mädchens deutet wohl auf das Land der Kunst, auf den lichten Süden, aber die blätterlosen Zweige, die zum hohen Fenster hereinsehen, verrathen winterliche Jahreszeit und rechtfertigen die sorgliche Einhüllung des Kindesköpfchens. Glücklicher Heimweg Euch beiden, Großvater und Kind!




Arnold Ruge ist am letzten Tage des vorigen Jahres zu Brighton in England gestorben. Ein Wecker männlichen Freisinns und deutschen Einheitsstrebens stand er seit 1837 durch die erst „Hallischen“, dann „Deutschen Jahrbücher“ mit an der Spitze der rührigen Geisteskämpfer, welche das Sturmjahr Achtundvierzig zu Thaten aufrief. Von der Reaction überwältigt und persönlich bedroht, ging er nach England, wo er als einer der tapfersten Ritter des Geistes fortwirkte und nun, ein volles Menschenalter hindurch von der Heimath getrennt, starb. Seinem Andenken wird die „Gartenlaube“ binnen Kurzem in Wort und Bild ein besonderes Blatt weihen.



Kleiner Briefkasten


B. v. W. Sie irren; Ihr Wunsch ist längst erfüllt. Der alte Soldat, der Wächter am Schlachtdenkmale von Roßbach ist nicht vergessen, sondern durch das Garde-Husaren-Regiment in Potsdam, bei welchem er selber einst als Vice-Wachtmeister gedient, in den Stand gesetzt worden, seine goldene Hochzeit (am 22. Decbr. des vergangenen Jahres) recht freudig zu feiern. Das Regiment schickte ihm gegen zweihundert Mark baar und dazu noch Attila, Hose, Mütze und Mantel, alles neu. Möge der alte Husar noch lange damit paradiren!

F. F. in Frankfurt an der Oder. Um was handelt es sich? Wiederholen Sie gütigst Ihr Anliegen unter Angabe Ihrer vollen Adresse!



  1. „Targi“ ist die Einzahl des Volksnamens, von dem die Mehrzahl „Tuareg“ gebildet wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. korrigiert, Vorlage: Seite 694
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_072.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)