Seite:Die Gartenlaube (1881) 091.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Herr Markus wandte sich unwillig weg von dem anmaßenden Schwätzer, der ihm, nur wenig verblümt, in das Gesicht hinein sagte, daß eigentlich er von Rechtswegen jetzt der Gutsherr im Hirschwinkel sei, wäre er nicht ein Pechvogel gewesen, dem das jähe Ende der früheren Besitzerin seine auf gebrachte Opfer wohlbegründeten Ansprüche vernichtet habe. Eine scharfe Antwort drängte sich auf die Lippen des jungen Mannes, allein im Hinblick auf die sichtlich alterirte Kranke, die beweglich, mit angstvoll flehendem Blick seine Augen suchte, bezwang er sich und entgegnete gelassen: „So viel ich durch ihren langjährigen Rechtsbeistand weiß, hat sich meine Tante zeitlebens nur als die Verwalterin dessen angesehen, was ihr Mann hinterlassen. Einzig aus dem Grunde hat sie auch durchaus nicht testamentarisch über das Gut verfügt.“

„Ja, ja – Sie mögen Recht haben – ja, ja!“ stotterte der Amtmann. Er duckte sich plötzlich ganz kleinlaut in seinem Lehnstuhl zusammen. „Ich erinnere mich auch, dergleichen Aussprüche aus ihrem Munde gehört zu haben. Es ist deshalb nur anzuerkennen, daß Sie die vieljährige innige Beziehung zwischen ihr und uns nicht ganz ignoriren. Nun denn, ich nehme Ihr freundliches Anerbieten, einstweilen in das Gutshaus überzusiedeln, mit bestem Dank an, aber – ich bitte Sie – was soll inzwischen aus meinem Viehstand werden?“

Es war schwer, dieser lächerlichen Aufgeblasenheit gegenüber ernst zu bleiben.

„Nun,“ sagte Herr Markus, indem er sich an seinem aufgesprungenen Handschuhknopfe zu schaffen machte, „ich meine, vorhin im Vorübergehen eine Kuh im Stalle gesehen zu haben –“

„Ja, ja – ganz recht, augenblicklich, Herr Markus. – Ich war vor Kurzem gezwungen, dem Fleischer zwei prächtige Schweizerkühe an’s Messer zu liefern – eine schwere Heimsuchung für einen Oekonomen! Ich bin überhaupt schlimm dran, bester Herr. Es steht draußen nicht Alles so, wie es sein sollte – das weiß Niemand besser als ich, aber mir fehlt ein Knecht. Ich habe nach allen Himmelsgegenden geschrieben – einen hiesigen will ich um keinen Preis; das Volk taugt den Teufel nichts – habe Lohn über Lohn geboten, aber den Lumpen ist’s zu einsam hier; es will absolut Keiner in den Hirschwinkel.“

„Lassen Sie mich einmal den Versuch machen! Vielleicht habe ich mehr Glück,“ versetzte der Gutsherr. „Die Kuh stellen wir auf dem Gute ein, und das Geflügel kann auch drüben auf dem Hofe mit durchgefüttert werden. Mit Vollendung des Neubaues aber muß Alles wieder im alten Geleise sein – das heißt: das nöthige Vieh in den Stallen und die erforderliche Menschenkraft und -Hülfe zur sorgfältigen Bewirthschaftung des Pachthofes – wenn er nicht total zu Grunde gehen soll. Ich werde für Alles Sorge tragen, auch dafür, daß der Knecht möglichst bald eintritt, der Ernte wegen. Selbstverständlich“ – der Knopf am Handschuh schien sich absolut nicht fügen zu wollen; der Sprechende wandte ihm seine ganze Aufmerksamkeit zu – „selbstverständlich brauchen wir auch noch eine Magd, ein echtes, rechtes Bauernmädchen, das tüchtig mit eingreift. … Das Mädchen, das jetzt auf den Vorwerkswiesen hantirt, ist doch wohl ursprünglich nicht zu diesem Zwecke engagirt worden?“

Die Kranke legte die abgezehrte, blasse Hand über die Augen, als überkomme sie eine momentane Schwäche, und der Amtmann hatte in diesem Augenblicke einen so krampfhaften Hustenanfall, daß er ganz blutroth im Gesicht wurde.

Der Gutsherr aber brannte förmlich darauf, etwas Näheres über das Mädchen zu hören; er hielt den günstigen Moment unerbittlich fest, trotz Schwäche und Stickanfall des alten Ehepaares.

„Wie man mir sagte, ist sie ein Stadtkind oder hat zuletzt in einer größeren Stadt gedient –?“ forschte er hartnäckig weiter.

„Ja, sie war in Frankfurt am Main,“ antwortete die alte Dame. Ihre Rechte war von den Augen auf die Bettdecke gesunken und pflückte an dem Ueberzug. „Sie ist allerdings nicht für eine solche Thätigkeit erzogen, ach, nichts weniger als das. Lieber Herr –“

„Und deshalb sind wir Ihnen sehr zu Danke verpflichtet, wenn Sie uns eine richtige tüchtige Bauernmagd verschaffen wollten,“ fiel der Amtmann mit erhöhter Stimme ein. „Also, bis wann denken Sie mit dem Neubau zu beginnen, Herr Markus?“

„Ich will mich sofort mit einem Baumeister der nächsten Stadt in’s Einvernehmen setzen,“ entgegnete der Angeredete, sich erhebend – es lag eine tiefe Falte des Mißmuthes, ja, eines gründlichen Aergers, zwischen seinen Brauen – „und werde später nicht verfehlen, Ihnen den Bauriß vorzulegen.“

„Gottes Segen über Sie! Sie sind ein edler Mann,“ rief ihm die Kranke in tiefster Bewegung zu, während er sich mit einer ehrerbietigen Verbeugung von ihr verabschiedete, um das Zimmer zu verlassen.

Der Amtmann bestand darauf, ihn hinaus zu begleiten. Draußen, in der Hausflur, hielt er ihn mit geheimnißvoller Miene fest.

„Es ist Alles sehr schön und liebenswürdig, was Sie da für uns thun wollen,“ raunte er ihm mit gedämpfter Stimme zu.

„Und ich bin Ihnen auch sehr dankbar dafür, aber denken Sie ja nicht, daß Sie dabei irgend Etwas riskiren – es wird Alles bei Heller und Pfennig ausgeglichen werden. Sie kommen nicht um Ihr Geld – dafür stehe ich. … Sehen Sie, drinn durfte ich nichts sagen; meine Frau weint sich noch die Augen aus vor Sehnsucht nach ihrem Jungen – das ist ein gar heikles Thema bei uns. Solch ein närrisches Weibchen! Und wenn er zerlumpt und zerrissen heimkäme, sie wäre doch selig, ihn wieder zu haben – so sind die Frauen, und in solchen Dingen muß der Vater den Kopf oben behalten. Ich werde doch wahrhaftig meinen Sohn nicht vorzeitig und um dieser Grillen wegen aus seiner Carrière reißen! Er hat großes Glück gehabt, der Thunichtgut, dem’s zu Hause, in der schönen thüringer Heimath zu enge war; der junge Bengel ist schon jetzt so eine Art Nabob; noch ein, zwei Jährchen, da frage ich Serenissimus schlankweg, was seine Gelsunger Domäne kostet –“

„Ei, du Sackermenter, willst du gleich ’runter gehen!“ unterbrach er sich, riß sein Käppchen von dem kahlen Schädel und warf es in die offenstehende Küche nach einer Katze, die eben aus den Tisch gesprungen war, um eine der Tauben zu annectiren.

Er humpelte hinein und jagte das Thier mit dem Stocke in den Hof, worauf er die Küche verschloß. Sie war noch leer. Ueber dem Suppentopf kräuselte kein Dampfwölkchen – das Herdfeuer war offenbar längst ausgegangen.

„Was das nun wieder für Dummheiten sind!“ brummte der Amtmann, roth vor Aerger und Alteration. „Und wenn man zehn Dienstboten hält und bezahlt, sie lassen, Eine wie die Andere, Thür und Angel offen und sieden und braten für die Katze, was man für sein theures Geld anschafft. … Um ein Haar wären wir um unser Diner gekommen. – Dummes Zeug! – Wo sie nur wieder einmal steckt!“

„Ja – wo mag sie sich wohl versteckt halten?“ dachte auch Herr Markus ergrimmt, der, nachdem er sich vom Amtmann verabschiedet hatte, nun über den Hof nach dem Garten schritt, um aus dem Wege, den er gekommen, nach dem Gute zurückzukehren. Er warf einen bösen Blick hinauf nach dem Mansardenfenster, wo sich eben wieder der Mullvorhang wie ein Sommerwölkchen in den blauen Lüften wiegte. – Höchstwahrscheinlich hatte sie sich zu Fräulein Gouvernante geflüchtet, und zwei Mädchenköpfe sahen ihm nun verstohlen und hohnlächelnd nach. … Es war doch stark, daß sie die kärgliche Mahlzeit ihrer Herrschaft achtlos preisgab und sich die schärfsten Verweise derselben zuzog, nur, um ihm nicht wieder in den Weg zu kommen.

Im Garten war es auch still und einsam. Die Grasmücken zwitscherten leise in dem Gebüsch, durch welches vor einer halben Stunde die vermeintliche weiße Dame gekommen war, um eiligst die nöthigen. Küchenkräuter abzuschneiden. Noch lagen die ihr im raschen Laufe entfallenen grünen Stengel über den Weg verstreut; es war offenbar kein Fuß wieder darüber hingeschritten. Und in der Lindenlaube konnte Herr Markus das Schreibeheft dreist in die Hand nehmen; es war weit und breit kein Menschenauge, um zu sehen, wie er ironisch lächelte.

Die ersten Seiten des kleinen Buches waren richtig bedeckt mit dem zierlichen Geschreibsel derselben Feder, in welche der Amtmann seinen herausfordernden Brief dictirt hatte. Es waren aber keine Verse, nur abgerissene Gedanken, wie sie der Augenblick eingegeben haben mochte, Ansichten und Aussprüche eines klaren, wohlgeordneten Mädchenkopfes. – Diese Blattseiten waren eigentlich ein günstiges Charakterzeugniß für die Schreiberin. Wie sie plötzlich ihre angenehme Stellung aufgegeben, um Krankenpflegerin zu werden, so hatte sie auch diese nicht absolut nothwendigen, poetischen Seelenergüsse mit dem pünktlich geführten, kärglichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_091.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)