Seite:Die Gartenlaube (1881) 122.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Sie fuhr empört auf. Einen Augenblick maßen sich diese beiden Menschen mit Zornesblicken, aber wenn er die Thränen, die ihr an den Wimpern zitterten, für Zeugen mädchenhafter Schwäche und Hülflosigkeit hielt, so irrte er sich. Sie wandte ihm plötzlich mit einer stolzen Wendung den Rücken und hob den Krug vom Brunnenbrett.

„Wissen Sie darauf gar nichts zu sagen?“ rief er zürnend.

„Nichts! Was liegt daran, ob Sie die arme Magd des Amtmanns verachten oder nicht? Sie will nur für ein Paar Menschen da sein – für sie ist die Beachtung von Seiten Anderer nur eine Pein.“

Damit schritt sie vom Brunnen weg, direct nach dem Forstwärterhaus.

„Grüßen Sie mir Ihre lustigen Freunde da drüben!“ rief er ihr in beißendem Tone nach. Die weiche Luft schien die Laute zu verwehen, noch ehe sie das Ohr des Mädchens erreichten.

Nicht die geringste Bewegung verrieth, daß sie seinen impertinenten Zuruf gehört habe. Sie ging festen Schrittes weiter und war im nächsten Augenblicke hinter der Hausecke verschwunden.


11.

Noch an demselben Abend machte sich Herr Markus reisefertig. … Das war ja nicht zu ertragen. Was zwang ihn denn, sich selbst auf der Folterbank in diesem Thüringen festzuschmieden? Die ganze Welt stand ihm offen, und wenn er erst draußen war, und das frische, fröhliche Leben wehte ihn wieder an und zerblies die dumpfe, dicke Nebelkappe, die seinen sonst so klaren Kopf umhüllte und alle seine Gedanken gewaltsam auf den einen gehaßten, verwünschten Punkt concentrirte, dann lachte er gewiß und schämte sich der Othello-Gefühle, die ihn immer wieder antrieben, nein, hetzten, dieses Waldhüternest zu umschleichen, wie der Marder das Taubenhaus – ein schönes Taubenhaus! Eine Waldschenke war’s, voll zechender, johlender Gäste. … Ja, eine Taube flog wohl aus und ein – eine schöne, weiße mit täuschend unschuldsvollen Augen – aber sie fragte viel danach, ob ihr helles Gefieder in dieser schwülen, wüsten Atmosphäre befleckt wurde, wenn nur ihr Kommen und Gehen wohlbehütet unter dem Schleier des Geheimnisses blieb! Lug und Trug gaukelten auch durch diesen abgeschiedenen stillen Weltwinkel – und warum nicht? Belladonna und der verderbliche, schönglockige Fingerhut mischten sich ja auch unter Kraut und Strauch, unter die erquickenden Frucht- und Blumenspenden des edlen Waldes, und die Kreuzotter zischte aus dem Wurzelgeflecht der majestätischen Baumsäulen. …

Er ordnete die Papiere für seinen Buchhalter und schickte sie heim, und dabei schrieb er, daß es mit seiner Vergnügungstour nicht allein bei Nürnberg und München bleibe; er wolle viel, viel weiter – wieder einmal nach Rom und Neapel – und käme deshalb nicht so bald in seine vier Pfähle zurück. Und dabei meinte er, grimmig vor sich hinlachend, daß er gegenüber der erhabenen Marmorschönheit in den Sälen und Museen Roms, unter den Pinien am Golf von Neapel kaum noch verächtlich des Mädchens im Arbeitskittel und der herben Luft, der engen, grünen, einsamen Thäler des Thüringerwaldes gedenken, ja, daß er seinen jetzigen Wahnwitz dann nicht einmal mehr begreifen werde. …

Aber als er am anderen Morgen die Vorhänge aus einander schlug und das Fenster öffnete und ihm die geschmähte herbe Luft als würziger, erdbeerdurchdufteter Kraftodem entgegenschlug, die wogenden Kornbreiten des Thalgeländes morgensonnentrunken zu ihm aufleuchteten, und hart daneben der Buchenschatten dämmerte, wohlige Nachtkühle über die tief in sein Herz hineinlaufenden Waldwege breitend, da überkam ein unerklärliches Trennungsweh den tieferbitterten, zornigen Mann, und heiße Sehnsucht, die mit den todten Augen der Marmorbilder und dem weichen Wehen südlicher Lüfte nichts zu schaffen hatte, wallte übermächtig in ihm auf.

Er räumte Plaid und Reisetasche schleunigst bei Seite und quartierte sich wie fast immer für den ganzen Tag im Gartenhäuschen ein. Das Weichbild jenseits der Mauer jedoch betrat er nicht. Er erging sich im Lindenschatten des Gartens, las und schrieb, ließ die Rouleaux nieder vor den Gartenhausfenstern, die nach dem Fichtengehölz hinausgingen, und schloß die auf Altan und Holztreppchen führende Thür so fest zu, als solle nie wieder ein Menschenfuß da aus- und eingehen.

Und diesen einen Tag blieb er auch übermenschlich standhaft in seiner selbstgewählten Gefangenschaft; ja, er hörte scheinbar äußerst gleichmüthig zu, als Frau Griebel Nachmittags kam und erzählte, daß sie bereits eine neue Magd für Amtmanns gemiethet habe. Die stramme Person werde schon in diesen Tagen die Stelle antreten, und da sei sie, die alte Griebel, lieber gleich selbst nach dem Vorwerk gegangen, um den Leuten die Nachricht zu bringen. … Die Hände habe sie zusammengeschlagen über die Frau Amtmann, die jahraus, jahrein im Bette campiren müsse; und dabei sei die arme Kreuzträgerin so lieb, so sanft und freundschaftlich gewesen, daß sie kaum die Zeit erwarten könne, wo sie selbst das elende, ganz zusammengezogene Weibchen heben und tragen werde – denn daß sie die Pflege in die Hände nehmen müsse, das stehe bombenfest, nach Allem, was sie heute in den paar Augenblicken beobachtet habe. … Die Amtmannsleute seien mutterseelenallein gewesen – der alte Krüppel, der kaum noch über die Stubendielen kriechen könne, habe ihr die Hausthür ausschließen müssen, und in der Küche sei mit keinem Auge Feuer noch Rauch zu sehen gewesen, und das gerade um das Kaffeestündchen, wo doch der Aermste ein Töpfchen voll Cichorienwasser an’s Feuer rücke. Ein wahrer Spectakel sei es da drüben. Das vornehme Gouvernantenfräulein habe jedenfalls ihr Nachmittagsschläfchen gemacht, und die Andere – na, von der wisse man ja, wo sie zu suchen sei. – Die könne aber nun abkommen und sich mit Sack und Pack zu ihrem Forstwärter trollen; denn die „Neue“ sei ein wahrer Dragoner, ein Arbeitsbär, mit Händen, an denen jede rechtschaffene Oekonomenfrau ihre Freude haben müsse. Die bringe das Bischen Kram im Haushalt und die Arbeit auf dem ausgehungerten Felde spielend fertig und gehe in Nägelschuhen und Flanellrock, wie es sich für eine ordentliche Magd auf dem Dorfe schicke – kurz und gut, es sei Zeit, daß drüben gründlich ausgefegt und reiner Tisch gemacht werde, und damit habe dann auch der Skandal im Grafenholz ein Ende.

Bei dieser Rede hatte die brave kleine Dicke scharf mit ihren schmalgeschlitzten Aeuglein an dem Gutsherrn hinaufgesehen; denn seit gestern, wo sie die Gottesgabe, den Griebel’schen Musterkaffee, unangerührt und eiskalt auf dem Schreibtisch vorgefunden und die auf dem Fußboden verstreuten Geschäftspapiere zusammengelesen hatte, war ihr der neue Besitzer des Hirschwinkels sehr befremdlich, und eben hatte er ja so verdächtig aufgezuckt, als wolle er ihr mit allen seinen schlanken Fingern in die saubergebürsteten, spärlichen weißblonden Haare fahren. Natürlich war sie nicht die Frau, die so etwas bemerkte. Sie hatte nun erst recht „von der Leber weg gesprochen“ und war nachher mit dem Bemerken fortgegangen, daß sie heute noch die Mägdekammer auf dem Hausboden für „die Neue“ ausräumen und Herrichten müsse.

Und dann, nachdem die Sonne untergegangen, war es wirklich geschehen, daß eine hastige Hand an der Altanthür leise den Schlüssel umgedreht und den Riegel zurückgeschoben hatte, und gleich darauf war der Gutsherr das Holztreppchen herabgestiegen und zwischen dem Kornfeld und der Gartenmauer hingeschritten; der Weg lief an den Hintergebäuden des Gutes hin und über ein Wiesenstück weg direct in den Wald hinein. Der Wandelnde hatte den Hut tief in die Augen gedrückt gehabt, als schäme er sich vor dem wispernden Halmengewoge und den dunkelnden Waldwipfeln, die in ernster Majestät auf eine neue Thorheit niedergesehen. Es hatte aber auch jedes Geräusch, das der eigenen Schritte, das ferne Durchbrechen eines Wildrudels im Unterholz, das Huschen der Eichhörnchen droben durch’s Geäst, doppelt scharf und nervenberührend geklungen – ein polizeiliches „Halt!“ vor diesem Wege hätte dem Dahingehenden weit weniger zu schaffen gemacht, als der Gedanke, daß Herr Markus, der Gestrenge, unentwegt Rechtliche daheim, hier scheu wie ein Wilderer durch fremdes Revier schleiche. Und im Stall des Waldhüterhauses hatten die Ziegen verrätherisch gemeckert, und der Hund hatte drinn die Schnauze an die Fuge der Flurthür gedrückt und geknurrt, zum Aerger dessen, der das Haus umkreist und auf dem weichen Wiesenboden fast unhörbar geschritten war.

Die Eckfenster waren noch genau so streng verhüllt gewesen wie gestern; nur aus einem Fenster an der Nordseite war ein helles Licht in die Abenddämmerung hineingeflossen – und durch dieses Fenster hatte er gesehen, was er gefürchtet, was ihm Verwünschungen auf die Lippen und eine Thräne ohnmächtigen Zornes und rasender Erbitterung in die Augen getrieben. … Ja, sie

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_122.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)