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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Sie sah überrascht, mit ungewissem Blick auf und wurde glühendroth – dann senkte sie den Kopf tief auf die Brust, in der That wie eine Schuldbewußte.

„Ich wußte es ja,“ sagte er bei diesem Anblick verächtlich. „Sie waren gestern Abend im Grafenholz –“

„Sie auch,“ warf sie ruhig ein.

Diese Gelassenheit frappirte ihn, und dabei schämte er sich in seine Seele hinein der Spionage, bei welcher ihn das Mädchen ertappt hatte.

„Ach, ich wußte nicht, daß man im Forstwärterhaus die Waldspaziergänger controllirt,“ sagte er, zwischen Verlegenheit und grenzenlosem Aerger schwankend.

„Dazu hat man im Forstwärterhause weder Zeit noch Lust,“ versetzte sie ebenso ruhig wie vorher. „Der Hund schlug an –“

„Und da schauten Sie nach dem Heimkommenden aus,“ ergänzte er sarkastisch. „Die Abendsuppe war fertig; er brauchte sich nur an den gedeckten Tisch zu setzen. Der hat’s gut! … Sie sind schon merkwürdig heimisch und rührig in Ihrem zukünftigen Heim.“

Sie sah ihn zuerst groß an, dann aber schien sie plötzlich zu verstehen. Sie wurde roth, und um ihre Mundwinkel zuckte es wie verhaltenes Spottlächeln.

„Wir werden doch nicht in das Waldhaus ziehen?“ warf sie halb fragend hin.

„,Wir’ allerdings nicht, wenn Sie darunter Ihre Herrschaft mitverstehen. Ich glaube, Fräulein Agnes Franz würde sich für ein solches Unterkriechen im Hause ihrer ehemaligen Zofe sehr bedanken.“

„Das Forstwärterhaus im Grafenholz gehört Seiner Durchlaucht, dem Fürsten,“ entgegnete sie, das Lächeln niederkämpfend, „und ich wüßte nicht, wie ich je zu dem Rechte kommen sollte, darüber zu verfügen. Ich bin übrigens die längste Zeit in Thüringen gewesen: wenn ,Fräulein Agnes Franz’ geht, verschwinde ich auch, um mir mein Brod draußen in der Welt zu suchen.“

In sprachloser Ueberraschung starrte er sie an.

„Ich möchte Ihnen schon glauben,“ sagte er langsam, ohne seinen Blick von ihr zu wenden, „wenn ich nicht wüßte, daß Sie – falsch sind.“

Ihre Lippen bebten, aber sie nahm die Beschuldigung scheinbar gelassen hin.

„Ich widerspreche Ihnen nicht – warum soll ich in den Wind hineinreden? Sie sehen durch getrübte Gläser, und ich darf ja keinen Finger rühren, um der Wahrheit die Ehre zu geben. … Leider sind Sie allerdings nach einer Seite hin berechtigt, mir auch später nachzusagen, daß ich ein falsches Spiel gespielt habe –“

„Ja, das unverantwortliche Spiel weiblicher Gefallsucht, wie Sie es der gewiegten Salondame abgelauscht haben!“

„Nein, dazu bekenne ich mich nicht.“ Sie sagte das entschieden, mit einem festen Blick in seine zürnenden Augen.

Er lächelte malitiös ungläubig. „Ich möchte wissen, wie der Mann im Forstwärterhaus darüber denkt.“

„Der denkt und sagt jeden Tag auf’s Neue: ,Gott sei Dank, daß die furchtbare Sorgenzeit auf dem Vorwerk überstanden ist.’ Er hat das Gefühl der Erlösung, wie ich auch.“

„Und kraft dieses Trostes soll er es schleunigst verwinden, daß Sie nebenbei grausam mit ihm gespielt haben?“

Das Mädchen warf stolz den Kopf auf, und eine scharfe Antwort schwebte ihr unverkennbar auf den Lippen, aber sie beherrschte sich und fragte ganz ruhig:

„Nennen Sie die harte, schwere Feldarbeit, die wir allerdings wie ein Paar getreue Cameraden in Gemeinschaft auf uns genommen haben, Spielerei? Fritz Weber ist ein braver, prächtiger Mensch, dem ich zeitlebens dankbar sein werde. Ich habe ihm deshalb auch versprochen“ – ein leichter Zug von Schelmerei erschien und verschwand rasch auf ihrem schönen Gesicht – „seine Hochzeit in Person mitzufeiern, und wenn ich über’s Meer her kommen müßte. In zwei Jahren wird er so gestellt sein, daß er die treue Braut aus seiner ehemaligen Garnison Magdeburg heimholen kann.“

Die Züge des Gutsherrn hellten sich auf, als gehe ein Leuchten durch seine Seele. „Und über’s Meer würden Sie dann kommen? Will denn Fräulein Gouvernante ihr Glück drüben versuchen?“

Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht!“ sagte sie lakonisch, obenhin und fuhr mit den schlanken Fingern über die Sichelklinge, als gelte es, einen Fleck wegzuwischen.

„Lassen Sie das!“ wehrte er ihr nervös irritirt. „Sie werden sich verletzen. – Werfen Sie doch das profane Instrument da fort! Sie brauchen es nicht mehr, so wenig, wie Ihre Dame die Blumenmalerei.“

Das Mädchen ließ die Rechte mit der Sichel sinken, es fiel ihr aber nicht ein, das Geräth auf die Erde zu werfen.

„Ich werde so lange arbeiten und auf meinem Posten bleiben, bis ein Ersatz für mich da ist,“ entgegnete sie ernst gelassen. „Und weshalb ,meine Dame’ auf eine Kunst verzichten soll, die sie liebt, das verstehe ich nicht.“

„Ei, sagten Sie denn nicht, daß sie über das Meer gehen würde? Nun sehen Sie, das ist der direkte Weg in’s Schlaraffenland, zu dem erträumten Diamantenprinzen!“

Sie verzog geringschätzend die Lippen. „Was doch solch ein reicher Mann für eine hohe Meinung von der Macht des Besitzes hat!“ sagte sie bitter.

Er lachte. „Wäre sie etwa falsch, diese Meinung? Gott bewahre Sie bestätigt sich alle Tage! Geben Sie einen Diamantenregen über Kopf und Schultern, einen Palast in volkreicher Metropole und ein märchenhaftes Sommerhaus inmitten reicher Plantagen, und solch ein begehrliches Gouvernantenpersönchen wird den Spender all dieser Herrlichkeiten hinreißend finden, und wäre er schwarz und brutal wie der Teufel selbst. Glauben Sie das nicht?“

„Mein Gott, ja – wenn Sie es sagen!“ antwortete sie ebenso leichthin, wie er gesprochen. „Die Eine, die ich meine, hat ja auch ihren Sparren. Ist es nicht grenzenlos vermessen, daß sie sich erlaubt, Sympathieen und Antipathieen zu haben, ganz wie Sie? Ich weiß, daß sie den Vorzug des Reichthums genau auf dieselbe Stufe stellt, wohin Sie die verhaßten Gouvernanten verweisen – tief unter ihre Wünsche.“

Die tiefste Gereiztheit sprach aus dieser scharfen Replik, aber er schien es nicht zu fühlen.

„Ach, lassen Sie sich doch nicht so Etwas weiß machen!“ lachte er. „Sie sind ein kluges Mädchen, an Geist für mich eine Art Wunderkind Ihrer Sphäre, aber das innerste Wesen Ihrer Gebieterin ist Ihnen doch ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Sie belügt Sie. Darum fort mit ihr nach dem ersehnten Eldorado! Ich wünsche ihr von Herzen fröhliches Gelingen. Mag sie doch nach ihrer Façon glücklich werden, wenn sie nur ihren Schatten zurück läßt! Sie gehen nicht mit – nein? Sie bleiben im Hirschwinkel?“ fragte er nach einem tiefen Athemzuge fast bittend.

Aber das ließ sie ungerührt. „Hierbleiben? – Um vielleicht auf mein Schicksal zu warten?“ fragte sie unbeschreiblich herb und spöttisch zurück.

„Es würde wohl rascher kommen, Sie wegzuholen, als Sie denken,“ versetzte er in seltsam stockender Redeweise – klang es doch, als klopfe ein ungestümes Herz in diesen unsicheren Tönen. Er trat ihr plötzlich näher, aber da wich sie erschreckt, mit tiefverfinstertem Gesichte zurück und erhob, wie in unwillkürlicher Nothwehr, die Rechte – die Sichelklinge blitzte zwischen ihnen auf.

„Ich werde Ihnen wohl dieses abscheuliche Spielzeug wegnehmen müssen,“ zürnte er und griff mit einer raschen Bewegung zu. Es geschah mit Gedankenschnelle, aber wie es geschehen, wußten wohl Beide nicht – er fuhr zurück, und sie stieß erschrocken einen Schrei aus und schleuderte die Sichel weit von sich.

„Trag’ ich die Schuld?“ stammelte sie entsetzt.

„Und wenn? War es nicht recht so?“ fragte er, während er sein Taschentuch hervorholte und es um die verletzte Hand wickelte. „Strafe muß sein! Daß doch solch ein dummer Teufel nie gewitzigt wird!“ Er verzog den Mund zu einem flüchtigen Lächeln des Spottes, das die schönen, festen Zähne sehen ließ. „Ich wußte schon am ersten Tage – da auf der Brücke bei der Schneidemühle, wo ich so famose Antworten bekam – daß die Disteln in Thüringen abscheulich stechen, und nun bin ich doch wieder so einfältig gewesen, ihnen in’s Gehege zu laufen.“ – Er verbeugte sich ironisch tief. – „So, nun sind wir quitt, schöne Prüde. Ich habe meinen Theil dahin.“

Sie antwortete nicht. In sich zusammengesunken, hatte sie dagestanden und die Augen in unbeschreiblichem Schrecken auf das weiße Foulardtuch geheftet, durch welches jetzt mit Blitzesschnelle große, rothe Flecken drangen. Und nun, bei diesem Anblicke, flog sie wie gejagt durch den Garten und verschwand im Himbeergebüsch.

Trotz seiner tiefen Verstimmung mußte er lachen. Diese tapfere Heldin, die eine schwere Lebensaufgabe wirklich heldenhaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_124.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)