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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ob nun alle Ehen, wie der Artikelbrief es vorschrieb, durch den Priester oder doch vor der Trommel eingesegnet waren, wollen wir dahin gestellt sein lassen, immerhin aber beanspruchte der Landsknecht die möglichste Bequemlichkeit, und dieses Verlangen nach häuslichem Wesen und gutem Wissen hat die Unsitte des Weiber- und Bubentrosses bei den deutschen Heeren bis tief in’s siebenzehnte Jahrhundert hinein erhalten. Die Befriedigung der mannigfachen Bedürfnisse machte Heerlager und Marsch höchst schwerfällig, wenn aber Herr Sebastian Schärtlin, der Feldobrist, sein „bequemes Reißbett mit Fürhängen, der Himmel auf eine Säule gestützt“, mit in’s Feld zu nehmen für nöthig fand, so wollen wir den armen Landsknechten ihre Liebe zu häuslicher Gemüthlichkeit nicht allzu sehr verargen.

Die einzelnen Abtheilungen des Regiments hießen Fähnlein, deren jedes vierhundert Knechte zählte. Dem Fähnlein war ein Hauptmann vorgesetzt, und aus der Zahl dieser Hauptleute erwählte der Obrist seinen Stellvertreter. Dieselben waren fast immer durch größere Summen bei der Aufrichtung eines Regiments betheiligt, weshalb das Wohl und Wehe ihres Geldbeutels sowie ihrer Stellung mit dem des Feldobristen eng zusammenhing. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen wir die Pilsener Verschreibung der Friedländischen Officiere vom 12. Januar 1634, sowie die Auflehnung des schwedisch-deutschen Heeres gegen Oxenstjerna (20. April 1633) beurtheilen. Auch unter dem großen Kurfürsten sehen wir kurz nach seinem Regierungsantritte sich eine ähnliche Revolte mehrerer Obristen gegen den Kriegsherrn entspinnen, deren Wiederholung der umsichtige und energische Fürst durch allmähliche Errichtung eines fast nur aus Landeskindern bestehenden Heeres zuvorzukommen wußte.

Dem Hauptmann zunächst folgte der Fähndrich, eine Persönlichkeit, von deren Wesen und Benehmen gar oft die Entscheidung des Treffens abhing. Es mußte ein starker, hochgewachsener Kriegsgesell im kräftigsten Mannesalter sein, und das Fähnlein, welches, nebenbei bemerkt, seiner Diminutivbezeichnung wenig entsprach – denn es war eine gewaltige, viele Ellen Seidenzeugs enthaltende Fahne, in deren Weite sich ein Mann bequem einwickeln konnte – wurde ihm vom Obristen unter besonderer Ansprache übergeben.

„Ich befehle Euch das Fähnlein,“ pflegte er zu sagen, „damit Ihr schwöret, Leib und Leben bei demselben zu lassen, also, wenn Ihr werdet in die Hand geschossen, darinnen Ihr das Fähnlein traget, daß Ihr es in die andere Hand nehmet, oder werdet Ihr an derselben Hand geschädigt, daß Ihr das Fähnlein in’s Maul nehmet und fliegen lasset. Sofern Ihr aber von dem Feinde überrungen werdet, so sollt Ihr Euch darein wickeln und Leib und Leben drinnen lassen.“

Also lautete des Obristen Anrede, welche von den todesmuthigen Herzen ihrer vollen Bedeutung, ihrem eigentlichen Wortlaute nach aufgefaßt sein mag, denn fast keine Schlacht, kein Treffen finden wir verzeichnet, in welchem nicht einem tapferen Fähndriche auf diese Art das anvertraute Fähnlein zum Leichentuche geworden.

Die Verfassung der Landsknechte, welche Kaiser Max selbst niederschrieb und drucken ließ, war uraltem, deutschem Herkommen

Der Feldweybel.
Originalzeichnung von Adolf Neumann

entlehnt. Für beleidigte Ehre trat der Zweikampf ein, wobei aber als ehrliche Kampfeswaffe nur das kurze Landsknechtsschwert erlaubt und, im Gegensatz zur wälschen Sitte, der Stich verboten war. Prügelstrafe, Schimpfreden etc., die Auswüchse einer späteren Zeit, gab es nicht, denn der unabhängige, freie Mannessinn des Gesellen, der durch adelige Geburt oder in seinem früheren Berufe daheim durch Zunft und Bruderschaft vor Verunglimpfung geschützt war, beugte seine persönliche Freiheit und Ehre auch im Feldlager nur unter solche Gesetze, welche ihm dieselben gewährleisteten. So entstand eine Gerichtsordnung, die, in Malefizsachen allerdings vielfach auf Strafbestimmungen der Carolina (Kaiser Karl’s des Fünften Halsgerichtsordnung) fußend, doch im Uebrigen ein durchaus öffentliches Verfahren vorschrieb, bei welchem der Schultheiß unter Beistand von zwölf aus den Knechten gewählten Schöffen auf freiem Felde nach Art der Fehme die Bank spannte. Alles, was in’s bürgerliche Recht einschlug, wurde ohne Ceremonie erledigt; die Malefiz- oder peinlichen Fälle aber erforderten jene germanische Umständlichkeit, welche wir noch bis in unser Jahrhundert hinein sich bei allen Gerichts-Verhandlungen breit machen sehen. Malefizfälle wurden meistens, wenn auch auf zwiefache Art, mit dem Tode gestraft. Im ersteren Falle ward der arme Sünder dem Nachrichter übergeben, damit ihm dieser mit einem Schwerte „den Leib entzwei schlage, also, daß der Leib der größere und der Kopf der kleinere Theil sei“. Im anderen Falle trat „das Recht der langen Spieße“ ein, eine Vergünstigung, welche sich das Regiment vielfach in seinem Artikelbriefe vorbehielt und dessen letzte Reste sich als Gassen- oder Spießruthenlaufen bis zu Anfang unseres Jahrhunderts bei den deutschen Heeren erhalten haben.

Beim Recht der langen Spieße werden einundvierzig Knechte als Schöffen gewählt. Während der Verhandlung halten die Fähndriche ihr Fähnlein zusammengewickelt mit der Spitze in die Erde gestoßen; denn unbestrafter Frevel lastet auf einem der Genossen und eher nicht – so will es der strenge, heilige Brauch – dürfen dieselben wieder fliegen, als bis das Verbrechen durch den Todesspruch gesühnt ist. Ist derselbe unter Zustimmung des umstehenden Ringes gefällt, so bedanken sich die Fähndriche beim gemeinen Mann für so ehrliches Regiment, werfen ihr Fähnlein in die Höhe und ziehen gegen Sonnenaufgang dem Richtplatze zu. Nachdem hier für den armen Sünder durch drei gegenüberstehende Glieder der Knechte die Todesgasse gebildet, wird derselbe an das eine Ende derselben geführt. Den Rücken der Sonne zugekehrt und die Spitze des Fähnleins dem Verurtheilten zugewendet, stehen die Fähndriche am anderen Ende der Gasse. Auf gegebenen Trommelschlag senken sich die Spieße, der Profoß schließt den Verurtheilten aus dem Eisen, und nachdem er ihn um Verzeihung gebeten – denn, „was sie (die Schöffen) gethan, wäre wegen guten Regiments geschehen“ – stößt er ihn mit drei Schlägen auf die Schulter, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, in die todbringenden Spieße. Sobald der Gerichtete verschieden, spricht das Regiment knieend ein Gebet für ihn, umschreitet dreimal in geschlossenen Gliedern den Leichnam und zieht dann, nachdem sich der Profoß wegen „ehrlicher Führung“ bedankt, in’s Lager zurück.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_132.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)