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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„So? Dein? Hör mal, Mädel, das will mir nicht in den Kopf. Wie kommst denn Du zu einem solchen Werthstück?“ fragte Frau Griebel, indem sie ihre verschüchterte Luise ruhig beiseite schob, um die Sache selbst auszufechten. „Den Henkelducaten da kenne ich so gut wie meine Tasche – er gehört meiner Luise, so gewiß, wie zweimal zwei vier ist. … Solche uralte Familienstücke laufen nicht heerdenweise in der Welt ’rum – unsere alte Dame hat das selber gesagt, als sie meiner Kleinen am Confirmationstage den Ducaten um den Hals gebunden hat – das war gar feierlich dazumal, mich überläuft’s noch kalt, wenn ich daran denke. … Und nun sag’s nur – es ist ja weiter kein Unglück – gelt, Du hast den Henkelducaten draußen vor dem Hause gefunden, und es hat Dich gelockt, auch einmal zu probiren, wie Dir so ein hübsches Geflinkere zu Gesicht steht?“

Das Mädchen wurde blaß über das ganze Gesicht.

„Gefundenen Schmuck tragen ist so gut wie stehlen,“ preßte sie hervor.

„Ach was – ,stehlen’!“ wiederholte die kleine Dicke kopfschüttelnd. „Wer sagt denn das, närrisches Mädel Du? So siehst Du nicht aus. Eine erfahrene Frau, wie ich, weiß auf den ersten Blick, wo Barthel Most holt. Verstündest Du Dich auf’s Mauscheln und Mausen, da hättest Du Dir auch schon bessere Sachen auf den Leib geschafft. Aber Du bist jung, und da ist das Bischen Eitelkeit zu entschuldigen. Ich trag’ Dir’s nicht nach, Gott bewahre! Bin ich doch heilfroh, daß wir den Henkelducaten wieder haben! Ein ander Mal binde ihn aber auch fester, Luise!“

Diesen Henkelducaten keinesfalls!“ erklärte das Mädchen bestimmt. „Dann trüge Ihr Töchterchen ja auch einen Schmuck, der ihr nicht gehört. Er ist seit vielen Jahren mein Eigenthum,“ wandte sie sich ernst an den Gutsherrn „und – nun, es muß ja gesagt und bewiesen sein – er stammt aus dem Besitz der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin. Sehen Sie sich die Prägung an! Es ist eine der ersten sicilianischen Goldmünzen aus dem zwölften Jahrhundert –“

„Ganz recht,“ bestätigte er. „Ich kenne sie, und ihre Umschrift lautet: ,Si tibi, Christe, datus, –’

,Quem tu regis, iste Ducatus'“ vollendete sie.

Er lächelte und legte den Henkelducaten in ihre Hand.

„Es bedurfte dieser Beweisführung nicht. … Nur über Eines wundere ich mich: daß Ihre egoistische Herrin auch Anwandlungen von Großmuth haben kann, und ihre Dienerin mit dem hübschen Andenken der vorstorbenen alten Freundin schmückt.“

Das Mädchen schwieg erröthend, und das unter dem Kinn gebundene Tuch wieder aufknüpfend, legte sie sich das Band um den Hals.

„Und das soll ich nun wirklich geduldig und stumm wie ein Stockfisch mit ansehen?“ rief Frau Griebel empört und zeigte nach den braunen Fingern des Mädchens, wie sie hastig die Bandzipfel zu einem Knoten verschlangen. „Ich soll es leiden, daß sich Amtmanns Magd vor meinen Augen den Henkelducaten umbindet, den meine Luise seit drei Jahren alle Tage an ihrem Hälschen getragen? Und das blos, weil die Aparte dort pfiffig genug gewesen ist, sich das Verschen zu merken, das drauf steht? Ich könnt’s freilich nicht hersagen – nicht um die Welt, und wenn Sie mich todtschlügen, Herr Markus. So fremdes Kauderwelsch ist nie meine Sache gewesen; ich bin gut deutsch – was geht mich der französische Quark an?“

„Es ist ja Latein, Mama!“ lachte Klein-Luischen und schlang ihre hübschen Arme um die Schultern der erregten Frau.

„Ach meinetwegen, französisch oder lateinisch, das ist mir ganz egal. Und geh’ nur weg, Du Schmeichelkatze! Diesmal lasse ich mich nicht ’rumbringen. Schön ist’s nicht von Ihnen, Herr Markus, daß Sie dem hergelaufenen jungen Ding gegen eine rechtschaffene Frau überhelfen. Und der König Salomo in der Bibel hätten Sie dazumal auch nicht sein dürfen – nichts für ungut, Herr Markus, aber zu einem Urtheil gehören auch Beweise. – Ja, lachen Sie nur, lachen Sie immerzu – ich nehm’s Ihnen gar nicht übel! Weiß ich doch, daß ich zuletzt lache. … Das Mädchen sagt, der Henkelducaten sei auch von unserer seligen Dame – Amtmanns neue Magd aber, wie sie da steht, ist erst in den Hirschwinkel gekommen, nachdem die Frau Oberforstmeisterin längst begraben war. Hat die Selige vielleicht Henkelducaten vom Himmel ’runtergeschüttelt, und noch dazu für Eine, die ihr Brod unter den Leuten suchen muß, für Eine, die sie bei Lebzeiten mit keinem Auge gesehen hat? Machen Sie mir doch so Etwas weiß! … Und wie viel solcher Ducaten soll denn die alte Dame gehabt haben? Man kann sich doch nicht den ganzen Hals damit bepflastern; man trägt doch allemal nur einen –“

„Man trägt auch neun an einer goldenen Halskette, wie eine solche im Nachlaß meiner Tante vorhanden ist, verehrteste Griebel!“ fiel der Gutsherr mit einem Gemisch von Humor und Aerger ein. „Ich werde Ihnen in der That nachher die verlangten Beweise bringen – Sie sollen sich selbst überzeugen, daß zwei Goldmünzen an der Kette fehlen, und es ist wohl kein Zweifel, daß die eine auf das Vorwerk verschenkt worden ist. Oder wollen Sie leugnen, daß dort Leute wohnen, die der Verstorbenen auch nahe gestanden haben?“

„Ei, wie werde ich denn das wollen? – Also wirklich, neun Stück an einer Kette, und alle egal?“ fragte sie kleinlaut und betroffen. „Je nun, das hab’ ich nicht gewußt,“ entschuldigte sie sich achselzuckend. „Unsere alte Dame war Keine, die sich gerne putzte und mit ihren Schmucksachen behing – du lieber Gott, für wen denn auch? Bei der Tillröder Kirmse, die auch für den Hirschwinkel mit gilt, war das obere Stockwerk im Gutshause immer zwei Tage lang fest verschlossen, und keine Maus, geschweige denn ein Kirmsengast, hätte auch nur ein Kuchenkrümchen im Speiseschrank über uns gefunden; Gesellschaftstrubel und Staatmachen waren eben nicht ihre Sache. … Na ja, da wird’s schon so sein. Den anderen Henkelducaten hat die Frau Amtmann, oder vielleicht auch Fräulein Franz gekriegt. Aber da frage ich nun, wie kommt er denn an den Hals da – weißt Du’s vielleicht, Jungferchen?“ wandte sie sich über die Schulter nach dem Mädchen hin. „Ich soll doch nicht etwa denken, daß die Damen auf dem Vorwerke es ruhig mit ansehen, wenn sich die Magd ihre Schmucksachen umbindet? Und noch dazu in der Woche, beim Heumachen und beim Scheuern, und zu dem verschossenen Fähnchen da, das Dir nächstens vom Leibe fällt – ’s ist der reine Spectakel –“

„Aber Mama!“ fiel ihr Luise mit sanfter Mahnung in’s Wort. Die Augen des jungen Mädchens hingen unverwandt an der „Aparten“, welche bei allen Demüthigungen, die sie hinnehmen mußte, nicht einen Moment ihre stolz reservirte Haltung verlor. „Das klingt Alles so verletzend – Du bist doch sonst so gut und mitleidig und kannst kein nasses Auge sehen. – Die Damen auf dem Vorwerke haben den Henkelducaten jedenfalls verschenkt –“

„,Verschenkt’!“ wiederholte Frau Griebel ärgerlich. „Da piept nun solch eine Grasmücke und denkt wunder, was sie für eine Weisheit ausgekramt hat, und es ist doch ohne Sinn und Verstand gewesen. … Du lieber Gott, auf dem Vorwerke, wo Schmalhans Küchenmeister ist, wo sie Nachmittags nicht einmal ein Töpfchen Kaffee an’s Feuer zu rücken haben, und wo der alte Herr in einem Schlafrocke ’rumläuft, der mit seinen tausend Flicken die reine Landkarte vorstellt – da werden sie wohl den Dienstboten Ducaten schenken – ja wohl, Ducaten! … Gänschen Du! Nasse Augen kann ich freilich nicht sehen, aber sieh’ Dir einmal die schwarzen dort an! Die haben keine Thräne –“

Sie hielt inne und sah nach dem Gutsherrn, der unterbrechend die Hand gegen sie ausstreckte, aber sein böses Gesicht schüchterte sie nicht ein. „Na, was haben Sie denn an meiner Rede auszusetzen, Herr Markus?“ fragte sie ganz gemächlich. „Sieht denn das verstockte Mädel dort aus, als hätte sie je in ihrem Leben nasse Augen gehabt? Nichts als der Hochmuthsteufel sitzt drin; die sehen auf Unsereinen ’runter, wie auf den Staub am Wege. Mit Solchen hab’ ich kein Mitleiden; ich müßte heucheln, wenn ich’s sagen wollte. Im Uebrigen will ich mich nicht weiter ärgern. Unser Henkelducaten ist’s nicht, das sehe ich ja wohl ein, und wem der andere gehört, das ist nicht meine Sache. Die guten Leute drüben mögen doch selber aufpassen; ich bin nicht Schatz- und Kronhüter auf dem Vorwerke.“

Sie trat an den Tisch und fing an, das mitgebrachte Geschirr zu ordnen, und das Mädchen ging hinaus. Vergebens bog sich Herr Markus vor, ihre Augen suchend – das Gesicht war verschlossen und undurchdringlich wie von Stein. Sie hob die Wimpern nicht und schritt an ihm vorüber, die Treppe hinab.

Wie magnetisch hingezogen, ging Luise ihr nach und blieb auf dem Altane stehen. „Gehen Sie nicht im Bösen!“ rief sie halblaut und bittend hinab.

Das Mädchen, das eben unter dem Altane wegging, sah

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_139.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)