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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

waren hierzu sicherlich geeignete Stellen, und so wird uns denn auch berichtet, daß schon im Jahre 1312 ein solcher „Todtentanz“, wie die Franzosen zuerst derartige Darstellungen nannten, das Nonnenkloster Klingenthal bei Basel schmückte, während mehr als hundert Jahre später ein anderer in dem Predigerkloster ebendaselbst gemalt wurde. Der ältere ist nicht mehr vorhanden. Noch günstiger für die Anbringung dieser Sinnbilder der irdischen Vergänglichkeit waren die Vorhallen der Gotteshäuser, in welchen das Volk täglich zur Andacht zusammenströmte. In den Marienkirchen zu Berlin und Lübeck und in der alten Dominikanerkirche zu Straßburg sind uns noch solche Todtentänze erhalten, und manch ein anderer mag noch hier und da unter der Tünche verborgen sein, mit welcher ein barbarisches Zeitalter die bemalten Wände der ehrwürdigen gothischen Kirchen bedeckte.

Als Holzschnitt und Kupferstich um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts begannen, ihre bedeutsame, culturverbreitende Rolle zu spielen, gehörten sowohl die Todtentänze wie einzelne „Bilder des Todes“ zu den populärsten Darstellungen. Damals suchte zuerst auch die Ironie dem allgewaltigen Tyrannen beizukommen.


Der „Todtentanz“ auf dem Neustädischen Kirchhofe zu Dresden. Nach der Natur aufgenommen von Rudolf Cronau.


Man löste den feierlichen Reigen, den die gothische Kunst in ihren Frescogemälden aufgezogen hatte, in einzelne Gruppen auf. Die Sitten waren freier, die Tänze wilder und üppiger geworden, und diese Veränderung im Volksleben blieb auch nicht ohne Einfluß auf die Kunst. Holbein führt uns in seinen weltberühmten „Bildern des Todes“, welche den Namen des großen Meisters durch alle Zeiten und zu allen gebildeten Völkern getragen haben, die ganze Scala der Stände vor, die mit Todtengerippen zu Paaren gruppirt sind. Aus diesen durch den Holzschnitt zum Gemeingut des Volkes gemachten Blättern tritt auch schon der Gedanke des Tanzes selbst in seiner grotesken Ausartung in den Hintergrund. Zwar spielt noch hier ein Gerippe einem wandernden Krämer zum Tanz auf und auf einem zweiten Blatte ein anderes der im Bette liegenden Herzogin, aber im Allgemeinen faßt Holbein den Gedanken des Todes schon tiefer als einen furchtbaren Kampf, welcher zwischen dem Menschen und dem personificirten Naturgesetz ausgefochten wird. Dürer verschmäht es bereits gänzlich, in feinen Stichen das alte Thema zu behandeln. Die Mannigfaltigkeit der Figuren des Todes hat sich bei ihm zu einer einzigen, grauenerregenden Person vereinfacht, die zwar noch in verschiedenen Gestalten, aber stets allein erscheint.

Auf dem tiefsinnigen Kupferstiche, der uns einen Reiter zeigt, der unerschrocken zwischen Tod und Teufel seine Straße reitet – „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“ –, auf dem grandiosen Holzschnitte mit den vier apokalyptischen Reitern hat Dürer den Tod in abenteuerlicher Gestalt personificirt.

Neben dieser Umwandlung und Umgestaltung, welche der alte Gedanke durch die Bahnbrecher der Kunst erfuhr, ging die ursprüngliche Auffassung des Todesreigens auch im sechszehnten Jahrhundert noch einher. Je seltener die monumentalen Darstellungen des Todes in dieser späteren Zeit wurden, desto interessanter und lehrreicher sind die übriggebliebenen für uns. Die figurenreichste und vielseitigste ist der „Todtentanz“ auf dem Neustädtischen Kirchhofe zu Dresden (vergl. unsere heutige Abbildung!) der sich durch viele Unbilden der Zeit und durch die wechselvollsten Schicksale bis auf unsere Tage hinübergerettet hat, zwar stark beschädigt und zum Theil auch zerstört, aber in den Grundzügen noch so wohl erhalten daß man über die Erklärung der einzelnen Figuren nirgends im Zweifel bleibt.

Herzog Georg der Bärtige von Sachsen (1500 bis 1539), welcher das Dresdener Schloß durch den Anbau des nach Norden vorspringenden, im Stile der edelsten Frührenaissance ausgeführten Georgenflügels vergrößerte, ist auch der Stifter des „Todtentanzes“. Die Tradition meldet, daß der Tod in seiner Familie eine furchtbare Ernte hielt, daß ihm nach einander sechs Kinder und zu Anfang des Jahres 1534 seine Gemahlin Barbara entrissen wurden. Diese Jahreszahl 1534 finden wir nun über dem mit einem Todtenkopfe versehenen Schlußsteine des Mittelportals und darunter die Inschrift. Per invidiam diaboli mors intravit in mundum (Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt“). Zwischen dem zweiten und dritten Geschosse war an der Außenseite der aus Sandstein gemeißelte „Todtentanz“ als Fries eingelassen. Da liegt denn der Gedanke nahe, daß der ohnehin zu Ernst und Schwermuth geneigte Herzog durch die schweren Schläge des Schicksals veranlaßt wurde, auch seinem Volke eine ernste Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen im Sinnbilde zu täglicher Betrachtung vor Augen zu führen. Wer die Elbbrücke passirte, der richtete unvermeidlich seinen Blick auf das steinerne „Memento mori“, dessen Figuren sich wirkungsvoll von dem mit blauer Farbe gedeckten Hintergrunde abhoben.

Dieser „Todtentanz“ war nicht die einzige Beziehung auf den Tod, welche die Schloßfacade enthielt. Ueber dem Portal sah man noch eine Relieftafel mit „Kain’s Brudermord“ und darüber die Statuen von „Adam und Eva“. Verbindet man diese Darstellungen mit der des „Todtentanzes“, so ergiebt sich als Grundgedanke des Ganzen, daß der Tod durch die Sünde des ersten Menschenpaares in die Welt gekommen, und dem entsprechend war auf der anderen Facade als Versöhnungsabschluß „die Geburt oder die Menschwerdung“ und „das Leiden Christi“ dargestellt.

Wir wissen über den Baumeister, von welchem der Georgs-Flügel herrührt, ebenso wenig etwas Sicheres wie über den Schöpfer des Todtentanzes. Doch soll nicht unerwähnt bleiben,

daß Hasche im ersten Theile seines „Magazins für die sächsische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_164.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)