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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Adern und zur Naht der Wunde – man nimmt dazu Darmsaiten, sogenannten Katgut – müssen bis zur Verwendung in Carbolöl aufbewahrt sein. Auch der erste Verband wird nur aus Stoffen hergestellt, welche mit Carbolsäure durchtränkt sind, und mit der größten Sorgfalt der Art angelegt, daß er, so viel immer möglich, die Luft abhält. Statt Carbolsäure wird von einem Theile der Chirurgen Thymol, Salicylsäure etc. zur Desinfektion, das heißt zur Zerstörung jener als Ursache der Wundkrankheiten geltenden Pilzkeime verwendet. Jeder in der Folge nöthige Verbandwechsel wird unter denselben strengen Vorsichtsmaßregeln und mit den gleichen Verbandstoffen ausgeführt und der Operirte in möglichst reiner Luft gebettet.

Während vorher die Heilung bedeutender Wunden nicht leicht ohne langwierige Eiterung vor sich ging, ist bei dem Lister’schen Verfahren die sofortige Verwachsung der Wundränder ohne Eiterung, die sogenannte erste Vereinigung der Wunden, heutzutage die Regel. Und das gilt selbst unter so ungünstigen Verhältnissen, wie sie beispielsweise der letzte russisch-türkische Krieg mit sich brachte. Durch die Abkürzung der Heilungsdauer und Verhütung der Eiterung kommen dann aber noch die „Verwundetengeißeln“, welche so zahlreiche Opfer forderten, die Wundkrankheiten, besonders Eiter- und Wundjauchevergiftung und diphtheritische Ansteckung des ganzen Organismus von der Wunde aus, in Wegfall. Durch die Beseitigung dieser Gefahren ist es dahin gekommen, daß nicht mehr die Hälfte, ja nicht einmal mehr der vierte Theil der früheren Todesfälle nach Verwundung und Operationen heute, sich ereignet.

Jede der drei genannten Entdeckungen würde einzeln der Chirurgie unserer Zeit ohne Frage die Ueberlegenheit über die frühere für alle Folge sichern, alle drei aber in Verein drücken ihr den Stempel einer hohen Vollendung auf. Was vor vierzig Jahren noch die Kühnsten nicht zu hoffen wagten, was sie, hätte man ihnen die Erreichung eines solchen Zieles versprochen, ohne Zweifel als das Hirngespinnst eines Irren belacht haben würden: daß man jemals schmerzlos und blutlos operiren und die meisten noch so großen Wunden eiterlos werde heilen können, das ist heute erreicht. –

Trotz aller großen Fortschritte, welche die neueste Zeit gebracht hat, darf man nicht dem so leicht anfänglich sich geltend machenden Enthusiasmus das ruhige Urtheil opfern; denn operirt werden zu müssen kann man heute so wenig wie früher als ein gleichgültiges Ereigniß für den Kranken bezeichnen, wohl aber darf man es preisen, daß der Chirurg mit Aussicht auf Erfolg heute auch noch Solche zu operiren wagt und heilen kann, für die früher nur sichere Aussicht auf qualvolles Sterben vorhanden war. Und die drei Erfindungen, welche das ermöglichten, sind gewiß „Großthaten der Humanität“: nehmen sie doch so viel Schlimmem, aber zufolge des Ganges der menschlichen Dinge Nothwendigem die damit früher verbundenen Schrecken und ein gut Theil seiner Gefahren. – „Die gute alte Zeit!“ – kein Chirurg und kein Verwundeter wird sie zurückwünschen. – Die Chirurgie hat große und dauernde Fortschritte gemacht; sie giebt nicht so viel gute und immer gut gemeinte Rathschläge, wie die innere Medicin, aber sie handelt gut.

Dr. J. Herm. Baas.






Die Mutter ist todt.[1]

Wie vor der Königin am Trau-Altar
Die Fürstenfraun in Huldigung sich neigen,
Gehüllt in Demantschleier wunderbar,
So naht der Tag – die letzten Sterne bleichen.

5
Ein Teppich breitet sich; die Farben heben

Aus Purpurroth und azurblauem Licht
Sich rasch empor, um wechselvoll zu schweben
Wie Strahlenbündel, die ein Prisma bricht.
Ich staune nicht – was soll mir Morgenroth?

10
Die Mutter ist todt!


Die Nacht war lang; feucht ist der gelbe Sand;
In Nubiens Felsgestein fiel manche Thräne;
Die Flinte hält mechanisch meine Hand –
Sie lauert nicht auf Schakal und Hyäne.

15
Des Südens Kreuz ging auf, und viele Sterne;

Sie nahten, schwanden wie ein Traumgebild,
Indeß die Sehnsucht irrt in weite Ferne
Und sucht das Mutteraug’, so treu lind mild –
Der Stern erlosch, der alles Licht mir bot:

20
Die Mutter ist todt!


Es schweift mein Blick zurück in alte Zeit:
Wie Vieles, was ich fand, hab’ ich verloren!
Ich sucht’ ein treues Herz, doch keine Maid
Hielt mir den Treuschwur, den sie mir geschworen.

25
Vereinsamt mußt ich meine Kraft erproben;

Unglück und Noth war mir der beste Freund.
Wenn in der Noth die Freunde mir zerstoben.
Bei Gott! ich habe nie darum geweint.
Was liegt mir an Enttäuschung, Unglück, Noth?

30
Die Mutter ist todt!
Dr. Friedrich Mook.



  1. Das obige stimmungsvolle Gedicht entnehmen wir dem handschriftlichen Nachlasse des in Folge seines tragischen Todes in den Fluthen des Jordan unlängst so häufig genannten und so viel beklagten Afrikareisenden Dr. Friedrich Mook. Unsern Lesern dürfte die Mittheilung nicht unwillkommen sein, daß die Gedichte des talentvollen jungen Gelehrten und Poeten demnächst unter dem Titel „Lieder aus der Fremde“ im Buchhandel erscheinen werden.
    D. Red.





Sterbende Päpste.

Die meisten Päpste, die im Laufe der Jahrhunderte auf dem Stuhl des heiligen Petrus ihres Amtes walteten, hatten eine eigenthümliche Furcht vor dem Tode; das Rauschen des Todesengels ließ sie verzagen, und die Furcht, von der Herrlichkeit dieser Welt lassen zu müssen, nur in das unbekannte Land einzuziehen, aus dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehrt, raubt ihnen zuweilen Ruhe und Besinnung. Die Päpste auf dem Sterbelager – das ist ein Anblick, in dem eine vernichtende Kritik irdischer Größe liegt. Und wie erklärt sich in den Statthaltern Christi diese Todesfurcht? War es die Furcht vor dem ewigen Richter zu erscheinen, welche das Sterben der Päpste zu einem so oft unwürdigen Acte machte? Oder war es die Sorge um das verlassene „Reich des Herrn“, die ihre letzten Stunden mit bangen Zweifeln verdüsterte? Nein, die Scrupel eines feinfühligen Gewissens haben selten zu den charakteristischen Eigenschaften der „Stellvertreter Gottes“ gehört, die Ungewißheit über das Schicksal der Kirche drückte nur edlere Naturen auf dem Stühle des heiligen Petrus.

Die Mehrzahl der kirchlichen Herrscher, mit denen Rom die Welt beschenkte, huldigte dem egoistischen Grundsätze: „nach uns die Sündfluth!“ und ließ sich durch die Zukunft weder im Leben noch im Sterben beeinflussen. Die Ursache der Furcht der Päpste vor dem Tode ist in den besonderen Umständen zu suchen, die sich in fast regelmäßiger Wiederkehr mit dem Eintritte ihrer Sterbestunde geltend zu machen pflegten. Die mächtigsten und gewaltigsten unter ihnen starben elend und verlassen; mit ihrem brechenden Auge war auch ihr Ansehen gebrochen; kein Mensch, weder Nepote noch Diener, kümmerte sich um den sterbenden Kirchenfürsten, dem von seiner ganzen Machtfülle nicht einmal eine dienstbare Hand geblieben war, die seiner lechzenden Zunge den letzten Trunk gespendet hätte.

Wenn der Papst in den letzten Zügen lag, waren stets im vatikanischen Paläste alle Bande der Disciplin und Ordnung gesprengt. Die Schaar der Höflinge wußte, daß ihnen nur noch wenige Stunden, ja vielleicht Minuten der Herrlichkeit übrig blieben;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_193.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)