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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schlüpfen, aber im Vorhause traf sie auf den Vater, der auf sie gewartet zu haben schien. Er nahm sie, ohne ein Wort zu sprechen bei der Hand und führte sie in die Stube. Dort schloß er vorsichtig die Thür hinter sich und sagte dann langsam. „I muß a Wörtl mit Dir red’n Liesl.“

„Ja, Vater.“

Der Himmelbauer räusperte sich, sog an seiner Pfeife, schob sein Sammetkäppchen vom linken Ohr auf’s rechte und dann wieder zurück, paffte eine tüchtige Rauchwolke vor sich hin und sagte plötzlich. „Du Liesl, i hab mit’n Loisl g’red’t. Der arme Dalk der barmt mir do. – G’than hat er Dir eigentli nix.“

Liesl erwiderte müde. „A abg’machte Sach’, Vater. Z’was no d’rüber red’n?“

Der Bauer hustete geräuschvoll und meinte. „No, abg’macht is wohl nur Euer Verlöbniß; das Andere –“

„Abg’macht, Vater!“ wiederholte Liesl und setzte dann matt hinzu: „Schad’ um jed’s Wört’l, wenn Ihr da d’rüber mit mir habt’s red’n woll’n.“

„No, Du bist hübsch kurz anbunden heut.“

„Müd’ bin i, Vater – und schlafen möcht’ i.“

Der Bauer sah sie von der Seite an und schwieg. Nach einer Pause begann er von Neuem: „A recht’s Elend bei so nothige (arme) Leut!“

Wieder fuhr sein Blick hastig über die scheinbar theilnahmlos vor ihm stehende Tochter hin. Da diese nicht antwortete, fuhr er fort: „’S größte Elend is do d’Armuth. Jed’s bissel Z’widrigkeit is für die armen Leut’ glei a Unglück, weil sie si net helfen können.“

Liesl rührte sich noch immer nicht. Hörte sie, was der Vater sprach? Sie hatte die Hände gefaltet und blickte zu Boden.

Die alte Veronika kam in die Stube und sah die Beiden so still und ernst neben einander stehen.

„Da setzt’s was,“ dachte sie und drückte sich kopfschüttelnd hinaus. Vater und Tochter blieben wieder allein in der Stube zurück. Der Bauer ging zum Fenster und sagte. „Schau’, dort kommt der Loisl. ’S is do a grundgute Seel’, daß er Dir nix nachtragt und wieder kommt.“

Liesl fuhr auf. „Der Loisl? Was sucht denn der no bei uns?“

„Dumme Frag’!“ lachte der Vater, ohne sich umzusehen. „Was halt so a verliebter Kater sucht!“

„I geh’ ’nauf,“ sagte die Tochter hastig und eilte zur Thür. „Sagt’s ihm, Vater –“

Der Bauer wandte sich zurück. „Du bleibst,“ herrschte er.

Der ungewohnte Ton verfehlte seine Wirkung nicht. Liesl ließ die Thürklinke, die sie schon ergriffen hatte, wieder los und sah erschreckt zum Vater auf. Dieser war hart an sie herangetreten und sagte, seinen Zorn mit Mühe bemeisternd:

„Du bist mit’n Loisl versprochen und wirst Bachschneiderin – dös sag’ i Dir, i, der Himmelbauer. Und daß i in der Sach’ kan G’spaß versteh’, wirst jetzt endli amal g’merkt hab’n. – So, jetzt gehst ’naus und’n Loisl entgeg’n und giebst ihm freundli d’Hand – hast mi verstand’n? – Glotz mi net an, als ob’s D’ net Deutsch verständ’st, und schlag’ Dir die narrischen Gedanken aus’n Kopf, sonst – sonst schlag’ i Dir’s heraus – und das könnt’ am End’ a wen’g unsanft ausfall’n. – So, g’red’t hab’ i; daß Du Dir’s a merkst, dafür werd’ i schon sorg’n.“

Liesl war es, als ob ein Blitzstrahl plötzlich neben ihr niedergefahren wäre. Sie war so voll ihres Gefühles für Toni, daß sie an den Vater und gar an Loisl längst nicht mehr gedacht hatte. Lebte sie doch, seit ihr Mund Toni’s Lippen berührt hatte, nur in einer Traumwelt, aus der selbst die Schauer des Todes, die sie an der Leiche der Teichbäuerin so furchtbar nahe umweht hatten, sie nicht zu erwecken vermochten. Er war ihr ja in dem Todtenhause nahe gewesen, und sie hatte sich auch dort glücklich und froh gefühlt. Das war nicht Fühllosigkeit gegen den unsäglichen Jammer um sie her; das war nur Liebe, die unbewußt jede andere Empfindung selbstsüchtig erstickende Liebe.

Von einer Wunderblume des fernen Ostens erzählt die Sage, daß ihre Blüthe sich mit einem hellen, weithin tönenden Glockenklange erschließe. Solch eine Wunderblume war Liesl’s Herz, und der Glockenton, mit dem es sich jählings erschlossen hatte, zitterte durch ihre Seele so mächtig nach, daß ihr klares Auge blind, ihr kluger Sinn stumpf geworden war für die rauhe Mahnung des Alltagslebens um sie her.

Der ernste, drohende Ton des Vaters erweckte sie jetzt, und plötzlich sah und fühlte sie die schwere Wetterwolke, die an ihrem jungen Liebeshimmel emporstieg. Doch mit der Erkenntniß der Gefahr war auch der Muth, sie zu bekämpfen, erwacht. Liesl richtete sich hoch auf, sah dem Vater fest in’s drohende Auge und erwiderte mit zuckender Lippen „Dem Toni g’hört mei Herz. Ihr wißt’s eh, Vater, i hab Euch’s g’sagt. Und Bachschneiderin werd’ i mei Lebtag net!“

„Mach mi net verruckt, Liesl!“ schrie der Himmelbauer, dem die Zornader an der Stirn schwoll. „Du gehst jetzt dem Loisl freundli entgegen, oder –“ Er hob drohend die schwere Hand.

Liesl ließ die Arme schlaff herabsinken. „Schlagt’s zu Vater!“ sagte sie ruhig. „I geh do net ’naus.“

Er schlug nicht zu. Hatte ihn ihre Ruhe überzeugt, daß es auf diesem Wege nicht möglich sei ihren Starrsinn zu brechen? Oder hatte er ein wirksameres Mittel sie zu zwingen gefunden? Sich von ihr abwendend, sagte er mit erzwungener Ruhe: „Geh ’nauf in Dei Kammer. I red allein mit’n Loisl.“

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Gesinde und Sclaven in China.[1] Jede wohlhabende chinesische Familie hält sich zahlreiche Dienstboten. Das männliche Gesinde besteht gewöhnlich aus einem Thürsteher, zwei oder drei Lakaien, drei oder vier Sänftenträgern und einigen Leuten, die das Haus rein und sauber zu halten haben. Die Aufnahme der männlichen Dienstboten erfolgt jeden Monat oder jedes halbe Jahr und der denselben zu zahlende Lohn beträgt in unserem Gelde, abgesehen von Wohnung und Verpflegung, zwischen zwölf und zwanzig Mark für den Monat; mancher Dienstgeber giebt seinem Gesinde auch die Kleidung, sowie eine kleine Summe zum Ankauf von Tabak und andern Genußartikeln. Von dem dienstthuenden Gesinde verlangt man Zeugnisse über dessen Befähigung und gute Aufführung - also ganz wie bei uns. An minder angesehene Familien verdingen sich Köche, Lakaien und landwirtschaftliche Arbeiter auf mindestens zwölf Monate, und zwar mittelst der früher auch in manchen Gegenden Europas üblich gewesenen öffentlichen Gesindemärkte, die auf Anordnung der Localbehörden an geeigneten Orten abgehalten werden.

Eine andere Kategorie von Dienstboten sind in China die Sclaven, die durch Kauf erworben werden und das persönliche Eigenthum des Familienoberhauptes bilden. Die weiblichen Sclaven sind sehr zahlreich; männliche kommen viel seltener vor. Reiche Leute besitzen oft nicht weniger als zwanzig bis dreißig Sclaven; selbst Bürger, die nichts weniger als wohlhabend sind, halten es für nötig, sich mit einigen Sclaven zu versehen. Die für Sclaven zu zahlenden Preise schwanken je nach deren Alter, Gesundheit, Stärke und äußerer Erscheinung von zweihundert bis vierhundert Mark. In unruhigen Zeiten - bei Kriegen und Revolutionen - pflegen arme Eltern, wenn es ihnen sehr schlecht geht, ihre Kinder zu außerordentlich niedrigen Preisen als Sclaven zu verkaufen, wie denn John Henry Gray, der seit mehr als dreißig Jahren in China lebt, in Canton viele Eltern gekannt hat, die ihre Töchter zu zwanzig Mark ausgeboten. Auch Spieler. die ihr Vermögen am grünen Tische einbüßten, sehen sich, um Geld zu bekommen, oft veranlaßt, ihre Kinder zu verkaufen.

Den An- und Verkauf von Sclaven vermittelt gewöhnlich ein Sclavenhändler, der in der Regel ein alter Mann ist, aber auch alte Weiber widmen sich nicht selten diesem Berufe. Diese Leute halten häufig „Waare auf Lager“, und bietet man ihnen einen Sclaven an, so nehmen sie ihn zur Probe auf einen Monat zu sich. Sollte er im Schlafe sprechen oder sich als schwach erweisen, so lehnen sie ihn ab oder zahlen nur einen geringen Preis für ihn. Diese Probe ist notwendig, weil der Händler, der einen Sclaven weiter verkaufen will, für dessen Brauchbarkeit garantiren muß. Der Sclave darf vor Allem keinerlei Anzeichen der unter den Chinesen sehr verbreiteten Aussätzigkeit aufweisen, und um sich vor diesem Fehler zu sichern, läßt der Kaufliebhaber den Sclaven, den er kaufen will, vom Händler in ein finsteres Zimmer bringen, wo ein blaues Licht erzeugt wird; nimmt bei dessen Schein das Gesicht des Sclaven eine grüne Farbe an, so ist er von allen Symptomen der Aussätzigkeit frei, erscheint die Gesichtsfarbe aber rötlich, so setzt man voraus, daß das Blut inficirt ist.

Die Sclaverei ist in China nicht nur lebenslänglich, sondern auch erblich. Die Sclaven haben keine elterliche Autorität über ihre Kinder,

doch ist es ihren Urenkeln, wenn dieselben die Mittel dazu besitzen, gestattet, sich die Freiheit zu erkaufen. Die männlichen Sclaven heißen

  1. Dieser Artikel ist dem zweiten Capitel der „Bilder aus dem chinesischen Leben“, die der Verfasser demnächst erscheinen lassen wird ( E. F. Winter'sche Verlagshandlung in Leipzig), entnommen worden.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_203.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2022)