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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Welche Wandlung, mein Kind!“ flüsterte die alte Frau freudeweinend. „Ist’s nicht wie die Werbung des edlen Boas um Ruth?“

„Frauchen, was redest Du da für närrische Sachen!“ fuhr der Amtmann geärgert auf. „Nimm mir’s nicht übel, aber der Vergleich zwischen der Braut da und der armen Aehrenleserin in der Bibel paßt doch meiner Seele wie die Faust auf’s Auge. Bah, nur nicht bange machen lassen, Herr Markus – so schlimm steht’s nicht um die Moneten. Lassen Sie nur erst meinen Californier wieder da sein!“

Agnes sah verstört, mit hülfeheischendem Blick zu dem Gutsherrn empor, und die alte Frau sank wie gebrochen in die Kissen zurück, während der Amtmann hinausging, um, wie er sagte, dem glücklichen Ereigniß zu Ehren eine Flasche Wein aus seinem Keller zu spendiren.

„Ach, wie das schmerzt!“ seufzte die Kranke. „Mit Gold beladen müßte er heimkommen, mein armer Junge, wenn ihn der Vater willkommen heißen soll – und ich, ich gäbe den letzten Rest meines armseligen Lebens hin, wenn ich ihn nur wiedersehen dürfte, möchte er zurückkehren, wie er wollte! Aber er lebt nicht mehr –“

„Er lebt. Sie werden ihn wiedersehen und vielleicht recht bald. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!“ versicherte Herr Markus, indem er sich liebevoll über sie herabbeugte. „Es wird noch Alles gut werden – werfen Sie nur getrost das, was Ihr Herz bedrückt, auf meine Schultern!“

„Gott segne Sie! Gott segne Sie viel tausendmal!“ stammelte die überraschte Frau und faltete mit verklärtem Gesicht die gen Himmel gehobenen Hände.


19.

„Na, dann ist’s ja gut,“ würde Frau Griebel gesagt haben, wenn sie dabei gewesen wäre. Ob es ihr aber gefiele, wenn diese Erzählung mit dem Segenswunsch der „alten Frau Amtmann“ schlösse? Schwerlich! Denn erstlich würde es ihren Mutterstolz tief kränken, daß ihre Luise so ohne Sang und Klang vom Schauplatz verschwände; es ginge ihr ferner wider Pflicht und Gewissen, wenn all die lesenden Leute nicht erführen, wo und auf welche Weise das Confirmationsgeschenk der seligen Frau Oberforstmeisterin, Luisens Henkelducaten, wieder an’s Tageslicht gekommen ist, und schließlich hat ja die brave Dicke vor Allem noch fleißig ihre Hände zu rühren, auf daß Alles in’s rechte Geschick und Geleise komme, und das darf nicht verschwiegen bleiben, das muß gesagt werden – von Rechtswegen.

Sie stand am Tage nach dem Gewitter mit ihrem Töchterlein in der Hausflur und schnitt den verheißenen riesigen Rosinenkuchen in Stücke, und draußen auf den Thürstufen und unter dem Birnbaum harrten die herbeigeströmten jungen Leckermäuler und guckten gespannt, aber auch mit scheuem Respect durch die weit offene Thür: herein konnten und durften sie nicht – die weißen Schürzen der „Frau Verwalterin und ihrer Fräulein Tochter“ schimmerten und blendeten förmlich in Sauberkeit, und die gescheuerten Flurdielen thaten desgleichen, und obendrein stand Hanne mit einem großen Kuchenteller neben dem Tische und hatte wahrhaft mörderische Blicke für jeden kleinen nackten Fuß, der die Schwelle mit einem Abdruck seiner Sohle bedrohte.

Frau, Fräulein und Magd sahen plötzlich auf, als zwei eintretende hohe Gestalten den Eingang verdunkelten. Frau Griebel ließ das Messer sinken, und ihre schmal geschlitzten blauen Augen thaten sich weit auf. Ja, das war freilich Herr Markus, der Gegenstand ihrer mütterlichen Fürsorge, „ihr verhätscheltes Ziehkind“, wie er sich selber immer nannte, aber wie ganz anders sah er aus! So hoch aufgereckt, so stolz, so strahlend! Und neben ihm wehte ein weißes Kleid herein, und die schöne Schlanke, die es trug, und die an seinem Arme hing, „als müßte das so sein“, hatte ein hübsches graues Schleierhütchen auf ihrem dunklen Haar, den Hut aber hatte die brave Dicke schon gesehen; das war in der Tillröder Kirche, in Amtmanns „Stand“ gewesen; folglich war die weiße Dame da die Nichte des Amtmanns, das Gouvernanten-Fräulein, und der mußte stockblind sein, dem nicht sofort sonnenklar wurde, daß es mit dem Hochzeitskuchen seine Richtigkeit habe.

Und das kam so vom blauen Himmel herunter! Das war so hinterrücks abgemacht worden! Man mußte sich schämen, daß man so dünnn nebenher gegangen war und „keine Augen im Kopfe“ gehabt hatte, aber ihre Verblüfftheit sollte er nun auch nicht merken, der Herr Duckmäuser. Sie strich sich mit beiden Händen glättend über die knapp sitzende Schürze, ging einige Schritte vorwärts und machte einen feierlich bewillkommnenden Knix, und auf den Kuchen deutend, sagte sie mit verständnißinnigem Blick: „Der ist’s aber noch nicht, Herr Markus.“

Er lachte. „Nein, für’s Erste feiern wir Verlobung, wie es Sitte und Brauch und fein anständig ist – gelt, Agnes?“ Er stellte seine Braut vor, und währenddem hatte die ergrimmte Hanne „alle Hände voll zu thun“, die schmutzigen Barfüßchen zurückzuhalten, die sich herzudrängten, um der schönen Braut im weißen Kleide in das Gesicht zu gucken.

Sie war aber auch gar nicht stolz. Sie streifte sofort ihre Handschuhe von den Händen und half der kleinen Luise die Kuchenstücken unter die Kinder vertheilen, und der Herr Bräutigam holte flink einen Schlüsselbund und kam gleich darauf mit einem Arm voll Weinflaschen aus dem Keller. Jedes der schmausenden Kinder erhielt ein Glas Rheinwein, und der Gutsherr schüttete seine Börse voll kleiner Silbermünzen in die Hand der Braut, damit sie das Geld unter der jubelnden Schaar vertheile. Und während sie auf den Stufen stand, von den anstürmenden Kindern umdrängt, und halb lachend, halb verweisend die Ordnung aufrecht erhaltend, da schlürfte Frau Griebel bedachtsam den goldigen Trank aus ihrem Glase, und die klugen, blinzelnden Augen hingen an dem Mädchen – die flinken Hände dort guckten doch merkwürdig sonnenverbrannt und dunkel aus den weißen Mullärmeln. Am Halse, unter der Spitzenkrause, blinkte ein gehenkeltes Goldstück und das schöne Gesicht – na ja, sie hatte ja schon einmal gesagt, daß man solch ein Gesicht weit und breit suchen könne. Aber jetzt sagte sie nichts, gar nichts; sie stieß nur mit Herrn Markus an auf den „Schatz, den er habe“, wie er ja gestern selbst gesagt hatte, und meinte, so wie sie die Sache beurtheile, sei er wirklich ein Glückspilz und habe sich nicht verrechnet.

Und als sie später mit dem Brautpaar in das obere Stockwerk hinaufstieg, weil Agnes das Erkerzimmer zu sehen wünschte, da zeigte sie auf das Bild der seligen Frau Oberforstmeisterin und sagte geheimnißvoll: „Fräulein Braut, das war seine erste Liebe im Hirschwinkel – in den gemalten schönen Krauskopf da hatte sich unser junger Herr völlig verguckt; die Flachslocken hatten es ihm angethan –“

„Die Flachslocken am wenigsten, Verehrteste!“ lachte der Gutsherr. „Nein, der Zauber dieser Erscheinung wirkte erst wahrhaft hinreißend auf mich, nachdem ich einen tiefen Blick in das innere Leben der seltenen Frau gethan hatte,“ wandte er sich, sehr ernst werdend, an seine Braut: „So zart und lieblich, scheinbar ein schwaches Weib, und dabei eine Seele voll Kraft und Energie! Diese wundervolle Charaktermischung trat mir hier zum ersten Mal vor Augen und hat mich geschickt gemacht, Dich zu verstehen, zu würdigen, Agnes.“

Das junge Mädchen, das er bei diesen Worten zärtlich an sich zog, war zu Lebzeiten der alten Freundin nie in den Hirschwinkel gekommen; eine derartige Unterbrechung ihrer Einsamkeit hatte die Gutsherrin nicht geliebt, wohl aber war sie selbst öfter auf der Domäne Gelsungen gewesen, wo sie Gelegenheit genug gehabt hatte, Amtmanns Nichte und Pflegekind kennen und schätzen zu lernen. Die alte Dame hatte auch dort botanisirt, und aus diesen Streifzügen durch Wald und Feld war Agnes ihre stete Begleiterin gewesen.

Sie sah sich jetzt gerührt, mit feuchten Augen um in dem anheimelnden Zimmer, dessen Wände alle Stadien eines verwaisten Frauenherzens, vom ersten wilden Schmerzensausbruche an bis zur mildschweigenden Resignation herab, mit angesehen. Bisher hatte sie zu dem Erker nur im Vorüberübergehen voll ehrfürchtiger Scheu emporgeblickt – nun durfte sie eintreten, und der traute Winkel sollte ihr Mädchenstübchen sein, bis der geliebte Mann kam, sie heimzuführen.

„Ja, bei Lebzeiten der seligen Frau Oberforstmeisterin ist mir das Glashäuschen, der Erker da, immer vorgekommen wie ein Schmuckkästchen, voll blühender Reseda und Alpenveilchen, und um Weihnachten gab’s Maiblumen und Tulpen auf den Fensterbrettern, wie im schönsten Treibhause,“ sagte Frau Griebel.

„Ach ja, es war gar etwas Eigenes um unsere alte Dame –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_206.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2016)