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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 18.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Bruderpflicht.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


6.

Es war am andern Tage. Der herzogliche Oberstallmeister und neue Graf Gollheim saß in seinem großen auf den Garten hinausgehenden Arbeitszimmer im Erdgeschoß seines hübschen Hotels; die Fensterthür, die über wenige Stufen in den Garten hinabführte, stand offen und gewährte den neugierigen Buchfinken, welche draußen umherflatterten und bis auf die Schwelle gehüpft kamen, das Vergnügen, einen so vornehmen Herrn an der Arbeit zu sehen: der Herr Graf hielt mit der einen Hand einen Meerschaumkopf, aus dem sich leichte blaue Wölkchen entwickelten; mit der andern versah er Rapporte der Stallmeister oder Gesuche von Untergebenen und andern Leuten mit Rothstiftstrichen und bescheidenen Notizen. Die Buchfinken mußten nun wohl weder an ihm viel Besondres, noch an dem großen kühlen Gemach mit seiner dunkel gebohnten Täfelung und den alten Kupferstichen an den Wänden viel Einladendes finden; vielleicht mißbehagte ihnen auch der Schrank mit alten und neuen Gewehren und Jagdzeug, der hinten in der Ecke des Gemachs stand – unsympathische Dinge für einen armen schutzlosen Vogel. Oder es scheuchte sie das große über dem Sopha hängende Bild, ein Kniestück, auf welchem eine hohe und schlanke Dame in blauem Seidendamast mit perlendurchflochtenen Haaren dargestellt war, bleich, mit halb traurig, halb schläfrig dreinschauenden Zügen, welche eine große Aehnlichkeit mit denen Ludwig Gollheim’s hatten. Kurz, die Buchfinken flogen, wenn sie einen neugierigen Blick aus ihren klugen Aeuglein hereingeworfen, regelmäßig wieder davon, und nur freche Hummeln oder Wespen schwirrten zuweilen herein, um dann, wenn sie den Ausgang nicht gleich wieder fanden, mit einem Heidenlärm die Stille zu unterbrechen und vor Zorn die Wände hinaufzulaufen.

Die Ruhe und das sommerlich stille Wesen in dem Gartenzimmer wurde unterbrochen, als ein weiteres wespenartiges Wesen hereinkam, das freilich nicht flog und nicht summte, aber mit seiner schlanken Taille, seinen runden Glotzaugen und dem häßlich vortretenden Kinn einen Carricaturzeichner hätte in Versuchung bringen müssen, es mit ein Paar Beißzangen ausgestattet darzustellen. Dieses Wesen trat geräuschlos durch die offene Gartenthür ein, eine Dienstmütze in der Hand, und stellte sich nach einer tiefen Verbeugung dem Grafen gegenüber an der andern Seite des Schreibtisches auf. Der Graf erwiderte seine Verbeugung durch ein trocknes Kopfnicken und fuhr in seiner Thätigkeit fort; der Mann mit der Wespenphysiognomie stand in strammer Haltung wartend, bis er angeredet wurde.

Daß der Graf jetzt vor sich hin murmelte: „Das Volk wird immer fauler – jetzt will Hammer auch noch eine Maschine angeschafft wissen, die den Stallleuten die Mühe, den Hafer zu sieben, abnimmt – moderner Schwindel – werde ihnen mit Maschinen kommen – Prügelmaschinen thäten nöthiger“ – schien er nicht als Anrede zu betrachten.

Der Graf warf ein Paar Blätter, die durch Randbemerkungen erledigt waren, zur Seite, legte sich in seinen Sessel zurück, zog ein Paar starker Rauchwolken aus seinem Meerschaumkopf und sagte, den vor ihm Stehenden fixirend:

„Nun, Becker, was giebt’s? Mit dem Lauschner geredet? He?“

Becker nickte; seine großen grauen Augen nahmen etwas wie einen höheren Glanz an, und ein schadenfrohes Vergnügen glitt über das ganze Gesicht, von der rücktretenden Stirn bis über die Mundwinkel an dem so weit vorspringenden Kinn.

„Habe Herrn Lauschner gestern im Schwan hinter seinem Schöppchen Mosel getroffen – war äußest amüsirt von der Geschichte, äußerst, lachte und meinte, wenn er die Geschichte für Serenissimus zurecht gemacht diesem beim Auskleiden am Abend beibringe, werde er einen sonderbaren Eindruck damit machen. Meinte auch, Excellenz Lanken könne ja nun, wenn er sich in anderen Hoffnungen getäuscht sehe, die er auf des Herrn Grafen Gutmüthigkeit gebaut – dann könne er Ihre Freundschaft ja nun benützen, um ihr eine schöne Anstellung als erster Roßarzt im herzoglicher Marstall für seinen werthen Papa abzugewinnen.“

„Spaßvogel, der Lauschner,“ lachte kurz und bitter der Graf auf. „Und Schallmeyer gesprochen?“

„Ja, Schallmeyer auch getroffen – in seinem gewöhnlichen Local, wo diese Art Leute verkehrt – mich ein wenig an ihn gemacht – war anfangs etwas kopfscheu, traut unser Einem, der in herzoglichen Diensten steht, nicht recht über den Weg, aber mit einigen von ihren Redensarten macht man diese verbrannten Köpfe ja leicht kirre – stecken so voll von ihrer Weisheit, daß sie glauben, es kann gar nicht anders sein, als die ganze Welt muß sie im Grunde ihres Herzens für wahrer als das Evangelium halten – zog los bei ihm über den alten Thierarzt, der mit seiner verschimmelten Weisheit neulich dort den Störenfried gemacht, den häßlichen Skandal erregt – und siehe, der alte Fuchs wurde gesprächig und sagte dann, der alte Lanken sei nicht allein gekommen; es sei seit Wochen eine junge hübsche Person da, welche sich Mistreß Brown nenne, und die nun seltsamer Weise den ganzen Tag mit dem alten Lanken zusammenstecke – sie seien offenbar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_289.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)