Seite:Die Gartenlaube (1881) 351.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


ein gar zu reiches Glück ist bekanntlich ein verhängnißvolles Geschenk der Götter; auch der Spargelbauer zieht die guten Mittelernten den überreichen Jahren vor; denn der Segen der letzteren wird auf Kosten der folgenden Jahre gewonnen; die Beete sind durch die außerordentliche Leistung erschöpft und zeigen sich zwei, drei nachfolgende Sommer hindurch weniger ergiebig. Der Gesammtertrag der Braunschweiger Anlagen beläuft sich in Durchschnittsjahren auf etwa zwei Millionen Pfund.

Das Verfahren bei der Ernte ist in den Spargel-Ländern verschieden. Der Franzose läßt seinen Spargel etwa drei Centimeter hoch über die Erde aufschießen; der Engländer läßt ihn sogar zehn Centimeter lang oder noch länger emporwachsen und erzielt auf diese Weise ein scharf schmeckendes, ordinäres Product; in Deutschland, und besonders in Braunschweig, sticht man den Spargel, sobald sein Köpfchen aus der Erde hervorschaut. Steht er auch nur einige Stunden länger, so gewinnt er bei heißem Wetter sogleich eine bläuliche, noch später eine grüne Farbe, und sein Werth ist sofort beeinträchtigt. Es leuchtet ein, wie sorgsam der Spargelbauer seiner Beete warten muß, wie viel Arbeitskraft in heißer Zeit eine große Plantage erfordert.

Die Länge, bis zu welcher man den Spargel sticht, geht nicht über zwanzig Centimeter hinaus. Möglichst dicke Stangen, sogenannten Riesenspargel zu erzielen, ist man in Braunschweig keineswegs bemüht, da diese übermäßig dicken Stangen erfahrungsmäßig an Geschmack viel zu wünschen übrig lassen. Doch kommen auch hier Stangen vor, welche bei vierundzwanzig Centimeter Länge einen Umfang von sechszehn Centimeter und ein Gewicht von vierhundert Gramm haben.

Die Ausbeute jedes ganzen oder halben Tages wird in möglichst kühlen, schattigen Localen sogleich sortirt, und zwar unterscheidet man nach der Stärke, der Gleichmäßigkeit und der Weiße der einzelnen Stangen drei Abstufungen, die man mit den Namen „Erste Sorte“, „Mittelspargel“ und „Suppenspargel“ bezeichnet. Die „erste Sorte“ ist ausgesuchte, schneeweiße, ganz glatte Waare, jede Stange mindestens zwei Centimeter stark; „Mittelspargel“ ist etwas schwächer und nicht ganz so sorgsam nach dem Aussehen sortirt, immer aber durchaus fehlerfrei; „Suppenspargel“ ist ein sehr weiter Begriff; er umfaßt Alles, was in den beiden ersten Sorten nicht unterkommen kann, alle krummen, blau und grün gewordenen und alle an Stärke nicht hinreichenden Exemplare; man verwendet ihn meistens zu Suppen, und daher sein Name.

Sicherlich - und mit Recht - würden unsere sorgsamen Hausfrauen mich nun tadeln, wenn ich sie nicht auch mit den Preisen des Spargels bekannt machte. Diese Preise sind nun allerdings sehr wechselnd. Je früher die Jahreszeit und je günstiger das Jahr, desto höher steigt der Werth der Waare; auch momentan ungewöhnlich starke Nachfrage steigert wohl die Preise ein wenig; am niedrigsten pflegen sie von Mitte Mai bis Mitte Juni zu stehen. Sie betragen nach ihren höchsten und niedrigsten Sätzen in Braunschweig für „erste Sorte“ 65 bis 110 Pfennig, „Mittelspargel“ 30 bis 70 Pfennig, „Suppenspargel“ 10 bis 35 Pfennig pro Pfund. Am feinsten von Geschmack ist guter „Mittelspargel“.

Dem Versand des frischen Spargels, wozu meist „erste Sorte“ verwendet wird, sind bestimmte örtliche Grenzen gezogen. Würde der Spargel länger als achtundvierzig Stunden unterwegs bleiben, so würde sein Werth beeinträchtigt werden, namentlich bei heißen Tagen. Man verpackt ihn in Körbchen aus Tannenholz ohne weitere Zuthat, sowie er frisch aus der Erde kommt. Die Hauptorte, wohin er versandt wird, sind Berlin, Magdeburg, Leipzig, Dresden, Breslau, Köln, Hannover, Bremen, Hamburg, Lübeck, Kiel, Kopenhagen. Auch nach Stockholm findet der Versand statt, und sogar Erfurt und Mainz, die selber bedeutenden Spargelbau treiben, beziehen regelmäßig nicht unerhebliche Mengen von frischer Waare aus Braunschweig.

Mit den letzten Junitagen ist die Saison geschlossen. Wollte man den Spargel noch länger stechen, so würde man die Ernte des kommenden Jahres vernichten und die Beete arg schädigen, wo nicht ganz zerstören. Man läßt die Spargel dann zu grünen Büschen aufschießen; von den kräftigsten derselben nimmt man Samen, und im Herbst schneidet man alle Stauden kurz über der Erde ab und benutzt sie als Feuerungsmaterial oder zur Einstreu.

Mittlerweile haben aber die Conservenfabriken dafür gesorgt, daß auch in den übrigen Monaten des Jahres frischer Spargel stets für die Tafel bereit sei. Nicht allein in Braunschweig und dem naheliegenden Wolfenbüttel, sondern auch in anderen Städten, besonders in Lübeck, verarbeiten Conservenfabriken große Massen Braunschweiger Spargels. Sie verwenden fast nur erste Sorte. Die Stangen werden auf’s sauberste geschält, aufrecht neben einander in Blechbüchsen gestellt, und zwar ohne jede Beigabe von Salz oder Essig, sodann verlöthet und im Dampfbade gahr gekocht. Vor dem Gebrauche werden diese Blechbüchsen eine halbe Stunde in kochendes Wasser gestellt, dann geöffnet und der Spargel angerichtet; er ist von frisch gestochenem kaum zu unterscheiden. Die Büchsen haben ein halb bis vier Pfund Inhalt und kosten pro Kilo etwa drei Mark. Auch Brech- oder Gemüsespargel wird in derselben Weise zubereitet; er kostet pro Kilo etwa eine Mark achtzig Pfennig.

Der Versand des conservirten Spargels erstreckt sich über alle Erdtheile. Die Blechbüchsen werden mit Sägespähnen fest in Kisten gepackt und so verschickt. Besonders große Posten gehen, von den enropäischen Ländern abgesehen, nach China, Japan, Indien, ferner nach Melbourne und Sidney, nach Centralamerika und nach New-York.

Ferdinand Sonnenburg




Blätter und Blüthen

Auf dem Thurm der Hallenser Marktkirche. Es war im Winter des Jahres 184* - da lebten unter den Commilitonen der ehrsamen Universität Halle sieben Studenten in engem Bund der Freundschaft und der Fidelität; sie verbrachten in Lust und Durst manch vergnügten Tag, und wenn die Seidel in munterer Runde kreisten, hätte man glauben können und sollen, daß diese Sieben einer und derselben Verbindung angehörten. Das war aber nicht der Fall; vielmehr waren sie Mitglieder drei verschiedener Verbindungen, der „Br.“, der „Westphalen“ und der „Thüringer“.

Diesen gleichgestimmten, gleichdurstigen sieben Kehlen, denen der § 11 als das höchste Gebot erschien, war es manchmal recht schwer geworden, an einem kaum „angebrochenen Abende“ das häusliche Lager aufzusuchen. Es gab sogar Abende, wo die hellen Thränen dem Aeltesten, Ehrwürdigen mit dem hölzernen Arm (auch Götz von Berlichingen genannt) über die gerötheten Wangen in den Bart liefen, wenn sie alle in stummer Verzweiflung bei hellem Mondenschein über den Markt zogen, „still“ zwischen dem Löwen-Brunnen und dem Rothen Thore standen und dann den verlangenden Blick nach Abhülfe des Leidens in die Höhe zu den Spitzen der beiden Kirchthürme schweifen ließen, die eben der Thürmer, sein bekanntes Signal gebend, umkreiste. O du glücklicher Thürmer! Hab’ Erbarmen, laß dich bekneipen! Ob man nicht dort oben noch etwas bekäme?

Diese lustige Frage wurde viel und ernstlich beleuchtet, und zwei cand. jur., also Diplomaten, wurden für den folgenden Tag mit einer feierlichen Anfrage bei dem erhabenen Thurmwächter um Anweisung eines Kneipraumes in seiner allerhöchsten Wohnung beauftragt. Der Erfolg ihrer diplomatischen Mission überstieg die kühnsten Erwartungen; er, der überirdische Alleinbeherrscher zweier östlicher und westlicher Reiche, erklärte sich gern bereit, den Herren den Einlaß nicht vorzuenthalten, vorausgesetzt, daß diese den nöthigen Stoff für den Lebensunterhalt mitbrächten. O, welche Labung, welche Erquickung, nach elf Uhr dem § 11 in solcher Freiheit, über alle irdischen Dinge und Bewohner – auch über den Herrn Pedell – erhaben, huldigen zu können!

Am nächsten Abend bei etwas Mondschein, sonst bedecktem Himmel, sieht man die Sieben still und ruhig, wie sonst noch nie um diese Zeit, über den Markt gehen; immer Einer den Andern zu noch größerer Ruhe mahnend, erscheinen die sieben Verschworenen an der Thurmthür; ein verabredetes Zeichen wird unten gegeben und hat beim Thürmer günstigen Erfolg; knarrend öffnet sich die Thür, und mit seltener Hast drängt sich die lustige Schaar hinein. Knarrend schließt sich wieder die Thür, und nun adieu ihr irdischen Götter, wie ihr auch alle heißt, Polizei, Gensd’arm, Pedell, adieu Universitätsrichter, adieu Curator! Es lebe § 11!

Augenblicklich herrscht zwar das Dunkel der Unterwelt: kein Lichtstrahl dringt in dieses Siebengewirr, und unterdrücktes Kichern und Lachen über den gelungenen Streich füllt den Raum. Aber allmählich entwirrt sich der Knäuel; es holpert, es stolpert Alles in heiterster Laune den nur den beiden Abgesandten bekannten verheißungsvollen Weg hinauf. Endlich ist die dornenvolle schmale Stiege überwunden, der obere Rand des edlen Naß, das Allen vorangetragen wurde, wird zuerst vom Mondschein begrüßt; es glänzt wie ein Meteor in hellem Schein und lockt nun die Folgenden zu schnellerem Gehen. Da sind sie Alle oben und werden auf’s herzlichste bewillkommnet vom überirdischen Hofstaat, dem Herrn Thürmer, seiner Frau, seinen beiden Kindern männlichen und weiblichen Geschlechts. An dem westlichen Thurm vorbei, über die verbindende Brücke schreitend und sich östlich wendend, treten jetzt die Sieben in das Gemach des Thürmers ein; es wird nun alsbald das nächtliche Revier eingerichtet und die köstliche Zeit benutzt. Parlamentarische Verhältnisse gab es zwar damals in Deutschland noch nicht, aber man hatte doch das Vorgefühl davon, und die eigenthümliche Umgebung inmitten einer freien himmlischen Region ließ es geboten erscheinen, einige gesetzliche Bestimmungen zu treffen, damit in diesem hehren Reiche alles in bester Ordnung verliefe. Das Statut wurde entworfen und enthielt 13 Paragraphen (unter Anderem durfte Niemand über die Barrière in die Tiefe springen, wenn er auch versprach, sofort wieder zu kommen); der neugeborene Bund erhielt den Namen „Thurmia“, und in seinem Banner waren die Farben blau und grau (Himmel und Dämmerung) vorherrschend.

Da für jede Stellung im Leben auch jedes Menschenkind seinen amtlichen Namen haben muß, so griff man hier ohne Zaudern aus der Reihe der Heiligen für das Siebengestirn die Namen der großen und kleinen Propheten und vergab nach den übereinstimmenden Eigenschaften der damaligen und jetzigen Träger die Namen. Da saßen sie alle in ihrer Würde, jeder nach Ansehen und Verstand, nach Gabe oder Hauspump benamset; ich sehe noch Jesaias, Jeremias, Hesekiel, Habakuk etc. Aber damit war die Namenvertheilung nicht erschöpft; auch der, dem wir diese Möglichkeit der Existenz verdankten, mußte einen Namen von classisch-biblischem Klange haben, ebenso sein Weib und seine Kinder. So wurde er Noah, sie Barbara, das Töchterlein Judith, der Sohn Amor genannt. Dem ganzen Staatswesen entsprechend, fehlte auch nicht die Ordensvertheilung; da sah man den Mondscheinorden etc.

Es war ein geräumigeres Zimmer, als man denkt, und ursprünglich wenig durch Möbel eingeengt. Die Fenster waren nach dem Rathhause zu durch Laden geschützt, während die übrigen dem vollen Mondlichte freien Eintritt gewährten; die Tafel war so gestellt, daß der Vorsitzende mit dem Gesichte dem Rathhause nebst dessen feindlichen Bewohnern zugewendet saß; rechts und links reihten sich die übrigen Mitglieder an. So überaus verlockend und reizend dieses Revier war, es, hatte doch auch seine dunkle Seite; denn gerade über der Tafel hing in langem Bogen der zur Feuerglocke

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_351.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2022)