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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zuerst von Bessel entdeckte Schwingung des Ausströmungkegels findet befriedigende Erklärung durch die Zöllner’sche Hypothese.

Widmen wir dem gegenwärtigen Kometen noch einige allgemeine Betrachtungen. Die erste Nachricht in Deutschland über einen in der südlichen Hemisphäre von Gould, dem Director der Sternwarte in Cordova (in der Argentinischen Republik), entdeckten Kometen erfolgte durch ein Telegramm von Gould selbst an die Redaction der „Astronomischen Nachrichten“ in Kiel und datirt aus Buenos-Ayres vom 1. Juni dieses Jahres. Der Komet wird darin als der Komet von 1807 bezeichnet, was darauf schließen ließ, daß Gould aus eigenen Positionsbestimmungen dieses Kometen bereits eine Bahn berechnet und die Aehnlichkeit ihrer Elemente mit jenen der Bahn des Kometen von 1807 constatirt habe. Da der Komet mit bedeutender Geschwindigkeit in nördlichere Breiten eilte und auch dem freien Auge sichtbar zu werden versprach, erwarteten die Sternwarten Europas lebhaft dessen Ankunft. In Leipzig konnte er wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse erst in der Nacht vom 25. zum 26. Juni wahrgenommen werden, während ihn Kiel schon am 22. Juni beobachtete. Im Kopfe des Kometen war jetzt ein deutlicher sternartiger Kern zu erkennen, dessen Helligkeit jene des Polarsterns noch etwas übertraf. Der Schweif, welcher einfach erschien, konnte um Mitternacht bis auf 20 Grad Länge mit Sicherheit geschätzt werden. Jener Komet von 1807 dagegen wird geschildert als einer der schönsten und prachtvollsten Kometen, der an Glanz Sterne zweiter Größe überbot, mit hell leuchtendem, gut begrenztem Kerne und einem Doppelschweife.

Da das Aussehen der Kometen sehr variabel sein kann, indem dieselben großen physikalischen Veränderungen unterworfen sind, wird natürlich nicht dieses, sondern nur die Rechnung über die Identität der Bahnen beider Kometen zu entscheiden haben. Und diese, mehrfach unabhängig geführt, bestätigt in der That die nahe Gleichheit der beiderseitigen Bahnelemente. Doch fällt hier ein Umstand zu Ungunsten der Identität dieser Weltkörper bedeutend in die Wagschale. Der Komet von 1807 soll nämlich nach der sehr scharfen Rechnung des berühmten Königsberger Astronomen Bessel erst um das Jahr 3350 von seiner weiten Reise um die Sonne zu uns zurückkehren, und wir stehen vor dem Räthsel, wodurch diese Umlaufszeit von 1543 Jahren in eine von 73 oder 74 Jahren verwandelt worden wäre? – Als Bessel die sämmtlichen Beobachtungen jener Zeit von Ende September 1807 bis Ende März 1808 seiner Bahnbestimmung zu Grunde legte, erkannte er unzweifelhaft, daß jener Komet in einer geschlossenen Linie einhergehe – in einer sehr gestreckten Ellipse mit dem Längsdurchmesser von 286 Entfernungen der Sonne von der Erde – und fand die Umlaufszeit von 1713 Jahren mit einer Unsicherheit von etwa einem Jahrhundert, was der der Ungenauigkeit von Kometenbeobachtungen überhaupt und der Nothwendigkeit, aus einem sehr kleinen beobachteten Stücke der Bahn auf eine ungeheuer große zu schließen, sehr wohl erklärlich ist. Er zeigte aber, daß diese Bahn auf dem Wege des Kometen aus unserem Planetensysteme hinaus noch modificirt würde, und ermittelte überschlagsweise die Störungen, welche die großen Planeten Jupiter, Saturn und Uranus auf ihn noch üben könnten. Es ergab sich, daß diese die Umlaufszeit um 170 Jahre verkürzten, weshalb Bessel schließlich dieselbe aus 1543 Jahre festsetzte. Damals war aber der Planet Neptun noch nicht entdeckt, sodaß dessen Störungen nicht in Rechnung gezogen werden konnten. Wesentlich dieser Planet wird also demnächst als Störenfried in’s Auge zu fassen und vor Abschluß der betreffenden Untersuchung kein definitives Urtheil über Identität oder Nichtidentität zu fällen sein.

Schließlich sei noch bemerkt, daß der gegenwärtige Komet am 16. Juni Abends 8 Uhr 10 Minuten mittlerer Berliner Zeit der Sonne am nächsten stand, wobei die Entfernung beider Himmelskörper 14,7 Millionen geographischer Meilen betrug. In diesem Punkte seiner Bahn eilte er mit der Geschwindigkeit von 6,6 geographischen Meilen in der Secunde an der Sonne vorüber, während die Erde in gleicher Zeit nur 4,0 geographische Meilen zurücklegt. Hier also fand die lebhafteste Einwirkung der Sonne auf den Kometen und dessen größte Schweifentwickelung statt.

Verfolgen wir die weiteren Bahnverhältnisse des Kometen bis Ende Juli, so ergiebt eine einfache Rechnung folgende Daten:

Ende Juni Mitte Juli Ende Juli
Um Mitternacht des: 29. bis 30. 14. bis 15. 29. bis 30.
Entfernung des Kometen von der Sonne in Mill. g. M. 15,6 18,4 22,2
Entfernung des Kometen von der Erde in Mill. g. M. 07,8 13,8 19,6
Geschwindigkeit des Kometen in seiner Bahn um die Sonne in g. M. 06,4 05,9 05,4

Wir sehen daher, daß der Komet sich nunmehr schnell von der Sonne und Erde entfernt, weshalb er schon in kurzer Zeit dem freien Auge entschwunden sein wird. Hoffentlich ist er aber dann noch länger mit dem Fernrohre zu verfolgen, um eine möglichst genaue Bahnbestimmung desselben zu erhalten.




Blätter und Blüthen.

Karl Freiherr vom Stein und August Neidhardt Graf von Gneisenau. (Ein Gedenkblatt.) Ein halbes Jahrhundert vollendet sich in den gegenwärtigen Sommertagen seit dem Hinscheiden der beiden eisernen Charaktere, deren Namen für immer in den vordersten Reihen jener heldischen Männer stehen, die in drangsalvoller und verzweifelter Zeit unser Volk aus der Nacht des Unglücks und der Knechtschaft zur lichten Höhe nationaler Wiedergeburt emporrangen; wenn es wahr ist, daß eine Nation, die ihre großen Todten ehrt, sich selbst erhöht, so erscheint schon die Berechtigung oder besser die Verpflichtung zu nachstehender kurzer Rückschau als gegeben.

Lassen wir dem Freiherrn vom Stein den Vortritt!

Ueber Stein’s frühere segensreiche Thätigkeit in der preußischen Verwaltung mag hier füglich hinweggegangen werden. Der Schwerpunkt seines patriotischen Wirkens fällt zusammen mit Dentschlands Fall und Erhebung zu Beginn unseres Jahrhunderts. Als nach der Katastrophe von Jena nicht blos die Schwachen und Kleinmüthigen vor der Gewalt sich beugten, sondern auch viele der Bessern in stummer Resignation an der Zukunft Deutschlands und Europas verzweifelten, da war es der Freiherr vom Stein, der die Hoffnung auf des Vaterlandes Zukunft nicht verloren gab, sondern der inmitten trostloser Bedrängniß mit aller Zuversicht des Glaubens und Wollens den großen Gedanken festhielt: Preußen so umzugestalten und zu erneuern, daß es der fruchtbare Kern deutscher Wiedergeburt und Unabhängigkeit zu werden vermöge. Wie er selbst sagte, galt es ihm, den sittlichen, religiösen und vaterländischen Geist in der Nation zu heben, ihr nach furchtbaren Schicksalsschlägen wieder Muth, Selbstvertrauen, Bereitwilligkeit zu jedem Opfer für die Unabhängigkeit und für die Nationalehre einzuflößen, und, sobald die günstige Gelegenheit gekommen, den Entscheidungskampf für Beides zu beginnen. In diesem Sinne ging er mit Scharnhorst an die Umgestaltung des Staates.

Alle seine Vorarbeiten, der neugeschaffene freie Bauern- und Bürgerstand, die reformirte Verwaltung, das umgestaltete Heer – sie alle sollten dem einen großen Zwecke dienen: der Erhebung Preußens gegen den fremden Unterdrücker, einer Erhebung, die das Signal zum Kampfe werden sollte für ganz Deutschland. Schon ein Jahr nach dem Tilsiter Frieden, der Preußens Unterwerfung und Verstümmelung sanctionirte, stand Alles bereit, den Entscheidungskampf um die verlorene Freiheit auf’s Neue zu beginnen. Somit war die Aussaat vorhanden, aber noch kam, ehe die Früchte zu reifen vermochten, eine schwere, oft hoffnungslose Zeit der Prüfungen. Von den inneren Gegnern, von den äußeren Feinden bedrängt, mußte Stein die Fortsetzung seines großen Werkes unterbrechen und gegen Ende des Jahres 1808 seinen Rücktritt aus der Verwaltung nehmen. Wenige Wochen später erließ Napoleon das berüchtigte Decret, welches Stein für einen Feind Frankreichs erklärte, ihn ächtete und seine Güter mit Beschlag belegte. Wohl war mit diesem Acte Niemand mehr geehrt, als Stein selbst, wie denn auch Gneisenau ihm damals schrieb: „Alle edlen Herzen sind durch Ihre Proscription nur noch fester an Sie geschlossen,“ allein zunächst war die Macht des Unterdrückers groß genug, der Achterklärung allen Nachdruck zu geben.

Stein wurde arm und heimathslos; kaum daß ihm noch in Oesterreich eine sichere Zufluchtsstätte ward gegen die Verfolgung Bonaparte’scher Rache. Doch was bedeutete ihm das persönliche Leid im Vergleiche mit dem öffentlichen! Die Lage der Nation schien noch trostloser, als seine eigene. Die Hoffnungen auf eine Erhebung waren durch den abermaligen unglücklichen Krieg Oesterreichs vom Jahre 1809 vereitelt, und die Macht des fremden Despoten erschien fester begründet, als je zuvor. So kam das Jahr 1812 und mit ihm Napoleons Zug nach Rußland. Kaiser Alexander fühlte die Größe des Kampfes und den Mangel fähiger entschlossener Männer und berief Stein an seine Seite. Dieser folgte dem Rufe ohne Zögern. Während Napoleon seine halbe Million Soldaten an den Niemen führte, arbeitete Stein für die künftige deutsche Erhebung; als der französische Imperator in Moskau eingezogen war, schrieb er Denkschriften über die künftige Verfassung Deutschlands; denn ihn täuschte nicht der äußere Schein der französischen Siege, und all seinem kühnen Muthe festigte sich Alexander’s weiche Seele zu dem Entschlusse, auszuharren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_502.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)