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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

uns ein günstiges Ungefähr zusammengeführt, hoffe ich, Sie erzählen mir, welche Wendung Ihr Geschick nahm, nachdem Sie uns verließen.“

„Was gäbe es noch zu erzählen?“ fragte die junge Frau in der kühlen Weise, die sie unnahbar machte, sobald sie das wollte; „ich habe mich mit einem Deutschen verheiratet und bin Wittwe geworden, wie Sie vorhin richtig bemerkten. Nun lebe ich hier in Zurückgezogenheit und erziehe meinen Knaben.“

Der Gast betrachtete sie interessirt. „Aber jetzt denken Sie daran, diese Zurückgezogenheit aufzugeben?“ fragte er; „Ihre Absicht, dieses Schlößchen zu vermieten oder zu verkaufen, war es ja, die mich hierher geführt.“

„Einen Verkauf der Moosburg beabsichtigte ich nie; der Gedanke, das Haus zu vermiethen, entsprang dem vorigen, unruhigen Jahre und ist bereits aufgegeben. Lassen Sie sich’s also gefallen nur Gast dieses Hauses zu sein! Uebrigens – wenn auch Sie mir eine Frage gestatten wollen – ich bin überrascht, Cousin Clairmont, Ihnen als Aspiranten für eine abgelegene Gebirgswohnung zu begegnen. Einsiedlerische Neigungen schienen Ihnen früher fern zu liegen.“

Ein Zug leichter Verlegenheit glitt über das feine Gesicht des Cousins.

„Ich suchte nicht für mich. Sie wohnen übrigens vortrefflich – stilvolle Einrichtung – ein ganz passender Rahmen für die Schloßfrau. Ein Erbgut etwa des verstorbenen Gemahls?“

Während er sich, das Lorgnon vor die Augen gedrückt, prüfend umschaute, fesselte Jana’s Eintritt seine Aufmerksamkeit und ließ ihn das Ausbleiben einer Antwort auf seine letzte Frage vergessen. Er ließ die leichte Gestalt, welche das Cabaret so anmuthig trug und die zierlich geordneten Erfrischungen schweigend auf den Tisch niedersetzte, nicht aus den Augen; kaum hatte sich Jana so geräuschlos entfernt, als sie gekommen war, als schon die Frage aus Herrn von Clairmont’s Lippen sprang:

„Wen haben Sie da? Das ist ja ein reizendes Gesichtchen! Warum stellten Sie mich nicht vor?“

„Das würde Jana, die mein Hauswesen führt, nur in Verlegenheit gesetzt haben; gesellschaftliche Formen zu üben, wird uns hier kaum je Gelegenheit. Wollen Sie sich die Gastfreundschaft der Moosburg – länger gefallen lassen, so findet sich schon der Anlaß, Sie mit der Gefährtin meiner Einsamkeit bekannt zu machen.“

„Leider unmöglich! Ich werde noch heute Abend in Innsbruck erwartet und darf hier nur im Fluge verweilen. Voraussichtlich kehre ich aber im nächsten Jahre nach Deutschland zurück und suche Sie dann, wenn Sie es gestatten, zu günstigerer Zeit hier auf – lieber noch anderswo; denn so reizend Ihr Wittwensitz auch ist, Genevieve, erscheint es mir doch unverantwortlich, Ihre Schönheit, Ihren Geist für die Dauer hier zu begraben. Der bloße Gedanke hat etwas Absurdes –“

Genoveva unterbrach ihn:

„Sie sagten mir noch nichts über Frau von Clairmont’s Ergehen?

„Meine Frau? Ah, toujours petite santé Sie wissen! Die Aerzte verordnen Bäder, bald das eine, bald das andere, und haben die Arme neuerdings ängstlich gemacht. Sicher ohne Grund! Sobald diese Herren kleine Uebel nicht zu heben verstehen, deuten sie geheimnisvoll aus große Schäden. Mon dieu! Nerven, nichts als Nerven! Kinderlose Frauen langweilen sich; ihr Dasein gestaltet sich zu sorgenfrei, dabei gedeihen Launen und Grillen.“

Ein eigentümlicher Blick Genoveva’s, der den Lächelnden streifte, schien ihn zu geniren; er setzte das Weinglas nieder und sagte leichthin:

„Sie erwähnten eines Söhnchens, Genevieve? Lassen Sie mich seine Bekanntschaft machen, ehe ich wieder aufbreche, woran ich jetzt denken muß!“ Er blickte auf seine Uhr und sprang auf. „Wirklich die höchste Zeit, ma, belle! Zum Glück befahl ich, nicht auszuspannen, sonst wäre die in Ihrer liebenswürdigen Nähe vergessene Zeit kaum noch einzuholen.“

Er küßte flüchtig ihre Hand und ergriff seinen Hut.

A revoir“ Und werden Sie mir gestatten, Ihnen zu schreiben? Darf ich hoffen von Ihnen zu hören, Genevieve? Sie schweigen? Aber wirklich, das ist nicht – Warum noch heute so ablehnend? Ich weiß, daß Sie stolz sind wie Lucifer, hier befinden wir uns aber auf Ihrem eigenen Terrain; ich sehe Sie allem Anschein nach in sorgenfreier Lage, Sie haben nicht zu befürchten, daß man Ihnen aufzunöthigen sucht, was Sie verschmähen – und wirklich, Genevieve, ich verehre Sie.“

Er hatte eifrig, sogar warm gesprochen; das feine, aristokratische Gesicht erhielt dabei einen angenehmen Ausdruck; auch Genoveva’s kühler Blick milderte sich.

„Es wird mich freuen, von Ihnen zu hören, Cousin,“ sagte sie, indem sie ihm das Geleite gab.

Als Beide aus dem Thore in den Vorhof traten, begrüßte sie das helle Jauchzen einer Kinderstimme. Siegmund saß, vom Postillon gehalten, auf einem der Kutschenpferde und schwenkte die kleine improvisierte Peitsche.

Voila!“ sagte der Gast lebhaft indem er herantrat und das Kind neugierig betrachtete. „Ein reizender kleiner Bursche – Ihnen gleicht er aber nicht, Genevieve! Uebrigens ganz geschaffen zur Tröst-Einsamkeit!“

Während der Postillon im Begriff war, Siegmund auf einen Wink Frau von Riedegg’s herabzuheben, warf dieser den lockigen Kopf zurück und rief, seinen Platz behauptend, in hellem Tone:

„Richard, Richard, ich reite.“

Herr von Clairmont folgte erstaunt dem aufwärts gerichteten Blicke des Kindes; der seinige streifte noch eben den Kopf Fügen’s, der bereits wieder vom Fenster verschwand. Der Gast unterdrückte ein Wort, das mit dem leicht ironischen Lächeln identisch sein mochte, welches nur einen Moment um seine Lippen spielte. Dann wurde der Knabe wirklich vom Pferde genommen und der Cousin sprang in den Wagen. „A revoir, ma belle! Und langweilen Sie sich nicht allzu sehr!“ rief er in liebenswürdigem Tone und lüftete den Hut

Genoveva’s Auge war seinem forschenden, etwas schalkhaften Blicke mit stolzer Ruhe begegnet. Ihren Sohn an der Hand, stand sie, ehe sie in das Haus zurückgekehrt, einen Moment und blickte dem abwärts rollenden Wagen nach. Ein Schatten ging über ihre Stirn – ein Schatten der Vergangenheit.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Sonnabend vor „Kirtag“ in Tirol.

Ich hatte die Krimmler Wasserfälle, die bedeutendsten und großartigsten der deutschen Alpen, gesehen und war über den ziemlich beschwerlich zu überschreitenden Krimmler Tauern bis Kasern gegangen; andern Morgens – es war Samstag, den 11. September vorigen Sommers – wanderte ich dann in dem schönbewaldeten Thale hinab bis Steinhaus und hörte hier, daß am folgenden Tage der Kirtag (das Kirchweihfest) gefeiert würde. Diese Kunde bestimmte mich zu bleiben. Ein Beamter des Kupferbergwerks, das schon viele hundert Jahre im Thale betrieben wird, erzählte mir im Laufe des Mittags, daß Sonnabend Nacht gleich nach Beginn der Dunkelheit zur Feier des Kirtages sich fast sämmtliche „Bueben“[1] des oberen Thales in Steinhaus einzufinden pflegten, um an einem bestimmten Platz des Dörfchens zu rankeln.

„Rankeln?“ fragte ich, „was ist rankeln?“

Die Antwort lautete: Das Rankeln ist ein Kampf zweier Bueben, in welchem der eine den anderen, ohne Gewalthätigkeit anzuwenden, nur durch seine größere Gewandtheit zum Liegen auf den Rücken zu bringen sucht. Wer das erreicht, ist Sieger, und wer den ganzen Abend und am Kirtag selbst von keinem besiegt wird, ist „Haglmoor“[2] für dieses Jahr.

Die Gelegenheit, eine so interessante Volkssitte, welche hauptsächlich im Pinzgau, im Ahrner- und Zillerthal gepflegt wird, kennen zu lernen durfte ich nicht versäumen – ich beschloß, das Rankeln mit anzusehen.

Um neun Uhr brach ich vom Wirtshause allein auf; der Abend war finster; kein Stern leuchtete am Himmel. Als ich an


  1. Bueb wird jedes unverheiratete männliche Wesen ohne Unterschied des Alters genannt.
  2. Haglmoor gleich Haglmajor, der im kleinen Hag der Größte, Beste ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_540.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)