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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Aera des tiefsten Friedens zwischen den Einzelstaaten und den großen Staatengruppen der Republik, in einer Aera des schönsten Gedeihens und der frischesten Entwickelung traf dieser schwere Schicksalsschlag ein Land und ein Volk, das unter der erst vor wenigen Monaten begonnenen neuen Administration den Segnungen einer weisen und gerechten Reformpolitik entgegensehen durfte. So bewahrheitet sich auch hier das Dichterwort: „Nicht Roß, nicht Reisige sichern die steile Höh’, wo Fürsten stehn“; denn Fürst in des Wortes eigentlicher Bedeutung ist auch der von einem ganzen Volke erwählte Präsident der Vereinigten Staaten.

Diesmal waren es weder Nihilisten noch Revolutionäre, weder politische noch religiöse Fanatiker, welche die Unthat planten und die Richtung der mörderischen Kugel bestimmten sondern die an Wahnsinn grenzende Sucht nach dem Glanze einer politischen Rolle, verbunden mit zügelloser Aemtergier, trieb einen physisch und moralisch verkommenen Verbrecher, Charles Jules Guiteau, dazu, den Präsidenten aus dem Wege zu räumen, um dem Vicepräsidenten Charles A. Arthur Platz zu machen, der jener Classe von amerikanischen Politikern angehört, die bei der Verleihung der öffentlichen Aemter dem verderblichen, die niedrigsten Leidenschaften erregende Beutesysteme huldigen.

Sie ist nicht klein, die Zahl der Anhänger dieser Partei, zu ihren einflußreichsten Vertretern aber – um hier gleich mitten in das Parteigetriebe hineinzuspringen – gehören der Ex-Präsident Grant und dessen intimster Freund, der frühere Bundessenator von New-York, Roscoe Conkling. Der eigentliche Gründer der Beutepolitik ist allerdings kein Anhänger der republikanischen Partei gewesen, die erst im Jahre 1858 in John C. Fremont, dem Durchforscher der Felsengebirge, ihren ersten Präsidentschafts-Candidaten aufstellte; es war vielmehr der von der demokratischen Partei zum Präsidenten der Union gewählte General Andrew Jackson, der schon im Jahre 1829 den bekannten Ausspruch that: „Dem Sieger gehört die Beute,“ und der damit den verhängnißvollen Grundsatz aufstellte, welcher, seitdem stets weiterwuchernd, tief in die staatlichen Körper der Union eingedrungen ist und trotz aller Bemühungen edeldenkender und hervorragender Staatsmänner bisher nicht daraus entfernt werden konnte.

Wir Deutsche können stolz darauf sein, daß der schärfste und schneidigste Gegner der demoralisirenden Aemterjägerpolitik ein Deutsch-Amerikaner ist, nämlich Karl Schurz. Schon in den siebenziger Jahren war er es, der im Bunde mit seinem edlen Freude, Charles Summer aus Massachusetts, im Bundessenate zu Washington-City die Grant-Administration wegen der selbstsüchtigen Benutzung der Beutepolitik angriff und eine neue auf einer mehr sittlichen Basis beruhende Parteibildung anstrebte. Schon damals trat Conkling als der Hauptrepräsentant der Grant-Politik auf und Schurz hatte heiße parlamentarische Kämpfe mit ihm zu bestehen. Im Anfang der siebenziger Jahre prophezeite unser scharfsichtiger Landsmann, es werde im Bundessenate das öffentliche Gewissen wiedererwachen, und eine sittliche Reaction werde eintreten gegen die leichtsinnige politische Moral und den Schachergeist, welcher emporgeschossen sei und sich entwickelt habe in den wilden Zeiten des Bürgerkrieges und großer politischer Aufregung. Bald, erklärte er, werde das amerikanische Volk sich mit Ernst und Entschlossenheit aufraffen, um sich eine ehrliche und lautere Regierung zu sichern.

Zwar ging diese Prophezeiung bei der Präsidentenwahl des Jahres 1872, wo Grant über seinen von Schurz unterstützten republikanischen Gegner Horace Greeley siegte, noch nicht in Erfüllung, aber vier Jahre später triumphirte der „Reform-Präsident“ Rutherford B. Hayes, welcher Schurz in Ansehung seiner Verdienste um die Union zum Minister des Innern ernannte. Wie umsichtig, erfolgreich und ehrlich unser Landsmann sein Ministerium verwaltete, wie er namentlich in seiner Politik den Indianern gegenüber die schönsten Erfolge erzielte, das ist selbst von seinen heftigsten Gegnern schließlich anerkannt worden.

Den Politikern aller Nationen dürfte der Ausspruch des Präsidenten Hayes zu empfehlen sein:

„Derjenige dient seiner Partei am besten, der seinem Vaterlande am besten dient.“

Wie aber Hayes über das Aemterwesen und die dabei befolgte Beutepolitik dachte, das geht aus seiner letzten Congreßbotschaft vom 8. December 1880 hervor; es heißt dort unter Anderem:

„In früheren Botschaften habe ich wiederholt auf die Nothwendigkeit der Civildienstreform aufmerksam gemacht. Ich bin darin durch meine Amtserfahrungen bestärkt und zu der Ueberzeugung gelangt, daß mit dem Wachsthum des Landes und seiner Bevölkerung bei der nothwendig vermehrten Anzahl der Beamten uns eine immer drohendere Gefahr erwächst. Eine feste Regel sollte für Anstellungen, Beförderungen und Absetzungen ausgestellt werden, um die beste Befähigung für jedes Amt möglichst zu sichern“

Der Präsident Hayes wies dann darauf hin, wie die bei der Vertheilung von gewissen Aemtern, z. B. bei Zoll- und Postämtern, vorgenommenen Prüfungen zufriedenstellende Resultate ergeben hätten, während früher solche und andere Aemter nur nach persönlicher Gunst oder Abneigung und für geleistete Parteidienste vergeben worden seien; auch bemerkte er, daß die öffentliche Meinung immer mehr und immer dringender eine Reform im Aemterwesen verlange.

„Es giebt kein größeres Hinderniß einer Verbesserung des Civildienstes,“ sagte er, „als das Beutesystem, unter dessen Heerschaft die Anstellungsgewalt in die Hände der Congreßmitglieder gefallen ist. Die verderbliche Lehre, daß dem Sieger die Beute gehöre, führt direct zur Congreßpatronage, während die Verfassung dem Präsidenten die Ernennung der Bundesbeamten und dem Bundessenate deren Bestätigung, dem Repräsentantenhause aber das Recht der Anklage im gegebenen Falle zusteht. Diese Bestimmungen sollten im Interesse des Gemeinwohls aufrecht erhalten werden.“

Als nun Präsident Garfield am 4. März 1881 sein hohes und schwieriges Amt antrat, erklärte auch er, in Uebereinstimmung mit seinem Amtsvorgänger Hayes, die Civildienstreform für eine der allerdringendsten staatsmännischen Pflichten, die nur in einem die Sache und nicht die Person in’s Auge fassenden harmonischen Zusammenwirken der Gesetzgebung und der Regierung erfüllt werden könne. Man müsse das Aemterwesen durch ein Gesetz regeln, nicht sowohl zum Schutze Derer, die mit dem Anstellungsrecht betraut seien, als vielmehr zum Schutze der ehrlichen und fähigen Inhaber von Staatsämtern gegen Intriguen und Unrecht.

Wie aber dem Präsidenten Hayes der Bundessenator Conkling und die übrigen Grant-Anhänger bei der Vertheilung der Bundesämter feindlich gegenüber traten, indem sie für ihre Parteifreunde, ohne Rücksicht auf deren Fähigkeit, Aemter verlangten, so geschah dies auch in der Executivsitzung des Senates, die unmittelbar auf die Inauguration Garfield’s folgte. Zumeist war der stolze und herrschsüchtige Conkling, der den Staat New-York mit seinem Collegen Platt im Bundessenate vertrat, gegen die Bestätigung des Herrn Robertson, eines politischen Gegners von Grant, dem Garfield das einträgliche und einflußreiche Amt eines Zollhauscollectors in der Stadt New-York übertragen hatte. Conkling gab sich zunächst alle erdenkliche Mühe, den Präsidenten zur Zurückziehung der betreffenden Ernennung zu drängen. Dies gelang ihm nicht. Darauf versuchte er vermittelst einer im republikanischen „Caucus“, das heißt in einer geheimen Parteiversammlung der republikanischen Senatoren, wo die Minderheit sich unbedingt der Mehrheit gegen besseres Wissen und Wollen fügen muß, durchgesetzte Geschäftsordnung die Erwägung von Robertson’s Amtsernennung zu hintertreiben. Aber auch dies war umsonst. Ebenso vergeblich waren Conkling’s Bemühungen, eine Mehrheit aller Senatoren, die Mitglieder der demokratischen Partei mit eingeschlossen, für die Verwerfung der in Rede stehenden Ernennung zu organisiren. Als nun der eitle Senator und Grant-Mann endlich erkannte, daß Garfield’s Einfluß zu mächtig, daß alle seine Kunstgriffe und Intriguen nichts helfen wollten und daß der Senat gewiß die Nomination Robertson’s in Erwägung ziehen und bestätigen würde, da reichte er seine Resignation als Bundessenator ein und begründete dieselbe in einem pomphaften, die wirkliche Sachlage auf den Kopf stellenden Briefe an den Gouverneur von New-York; sein ihm blind gehorsamer College Platt folgte seinem Beispiele. Die beiden Senatoren von New-York, Conkling und Platt, resignirten also nicht nach einem gerechten, aber unglücklichen Kampfe für ein das Wohl der amerikanischen Nation berührendes Gesetz, nicht wegen eines die internationalen Beziehungen der Union bestimmende Betruges, sondern wegen eines Zollhausamtes, wegen eines Beutestückes. Etwas Aehnliches hatte noch niemals zuvor ein amerikanischer Bundessenator gethan. Sicherlich war dies ein unwürdiges Schauspiel; es entflammte die bösen Leidenschaften der „Stalwarts“, das heißt der blinden, ämter- und herrschsüchtigen

Grant-Anhänger, und zwar umsomehr; als Conkling sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_543.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)