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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Darum sollte sie sich wohl hüten, durch pietätlose Ausdehnung ihrer Macht auf die Competenzen des Hauses und willkürliche Uebergriffe in das Recht der Familie die freudige Mitwirkung der häuslichen Factoren zur leiblichen, geistigen und sittlichen Ausbildung der Jugend zu verscherzen und muthwillig den Haß auf sich zu laden, den jede Tyrannei unweigerlich nach sich zieht.

Wer die Bildersprache liebt, der mag das nahe Verhältniß, in welchem die Schule zum Hause und das Haus zur Schule steht, mit einer glücklichen Ehe vergleichen, in welcher die Schule die Rolle des ernsten, strengen, weitschauenden Vaters, das Haus die der milden, zärtlichen, selbstverleugnenden Mutter vertritt; beiden soll gleichermaßen das Wohl ihrer gemeinsamen Pflegebefohlenen am Herzen liegen, das Wohl der Stütze unseres Alters, der Hoffnung unseres Todes: das Wohl unserer Kinder.




Die Schätze der Rumpelkammer.

Von Victor Blüthgen.

Es gewährt einen eigenen Reiz, die Schätze eines Antiquitätenhändlers zu besichtigen. Der Duft einer oft viele Jahrhunderte weit zurückliegenden Vergangenheit umweht sie; die Phantasie des Geschichtskundigen belebt sich an ihnen, und der Geist einer Zeitepoche, den er in sich aufgenommen hat, gewinnt in tausend kleinen Formen Leib und Blut. Die Physiognomie des täglichen Lebens, wie sie diese Kannen, Krüge, Möbel, Spiegel, Nippsachen, Kleider- und Wäschestücke andeuten, führt dem Gefühle eine Zeit viel unmittelbarer nahe, als die Ueberlieferung ihrer Staatsactionen und großen Kriege; denn an den letzteren sind nur Einzelne betheiligt gewesen, vielfach solche, welche ihre Zeit überragten; dort spiegelt sich dagegen die große Masse wieder, mit ihrem Geschmacke, ihren Sitten und Gewohnheiten, ihrer Arbeit und ihrem Vergnügen.

Ein Gang durch Museen bringt zwar Aehnliches vor Augen, wie der Antiquitätenladen, allein da ist alles so glatt und der unmittelbaren Berührung entrückt. Hier darf ich anfassen und sogar für meinen Gebrauch kaufen, was mir beliebt; die Dinge stehen noch sozusagen mitten im Leben, und die Erde, der Staub, die geheimnißvolle Dunkelheit des Fundortes, die ganze Atmosphäre der armseligen Hütte oder des alten Schlosses haften noch an denselben. Und dazu der Reiz des Wechsels: heute ist etwas da, morgen nicht mehr; dafür ist anderes eingetroffen, frisch entdeckt oder auf eine interessante Weise, oft auf fein diplomatischen Umwegen, erworben. Das hört nie auf, belebt und fesselnd zu sein.

Die meisten Gegenstände, welche das Lager des Antiquitätenhändlers birgt, haben einen größeren oder geringeren Kunstwerth; nur ein mäßiger Theil fällt ausschließlich in die Kategorie der Raritäten und Curiosa. Naturgemäß sind ja diejenigen Bestandtheile der Häuslichkeit mit der größten Sorgfalt geschont worden und haben deshalb vorzugsweise den Wechsel der Zeiten überstanden, welche einen besonderen Werth hatten, und man muß sich dessen erinnern, wenn man sich auf Grund des Erhaltenen in das Aussehen einer bürgerlichen Wirthschaft früherer Zeit hineindenken will. Die geringwerthigen Sachen werden immer die verbreiteteren gewesen sein.

Gerade das aber, was an Kunstformen in Zeichnung, Malerei, Schnitzerei, getriebener Arbeit, Guß, Töpferei u. dergl. m. übrig ist, verleiht jenen Gegenständen einen allgemeineren Werth für das Leben der Gegenwart. Es ist bekannt, daß die Blüthe des deutschen Kunstgewerbes durch den dreißigjährigen Krieg ruinirt worden ist. Nicht nur, daß alles fremde Volk, das sich damals auf deutschem Boden tummelte, raubte und fortschleppte, verdarb und vernichtete, was kunstfrohe Jahrhunderte zuvor geschaffen, nicht nur, daß Deutsche selbst zur Gewinnung von Geldmitteln vielfach Kunstwerke aus Edelmetall auf den Metallwerth reducirten: vor allen Dingen wurde wenig Neues geschaffen, und der Sinn für die alte Kunst und die Ueberlieferung der Technik gingen allgemach verloren. Bis in das achtzehnte Jahrhundert hinein dauerte der Todeskampf des altdeutschen Kunststils.

Eben weil die Ueberreste der Renaissance Deutschlands in Schmuck und Geräth, welche aus jener Zeit vor dem Unglückskriege stammen, uns so spärlich erhalten geblieben sind und zugleich doch den Höhepunkt der älteren deutschen Kunst bezeichnen, eben deshalb ist jeder Fund aus dieser Zeit so werthvoll. Jede noch unbekannte Form, und wäre sie nur an einem vereinzelt erhaltenen Stuhlbein erkennbar, bereichert unsern Vorrath an originalen Kunstideen und Kunstmustern, durch welche wir allmählich Kunst und Geschmack wieder in die Eintönigkeit unserer Wohnungen einzuführen vermögen.

Denn das achtzehnte Jahrhundert bringt uns keine deutsche Kunst wieder, sondern importirt nur den Kunstverfall Frankreichs nach Deutschland, vom Rococo bis zur Verwilderung im Barock, und nach der kurzlebigen Episode des antikisirenden französischen Imperialstils hört mit den Freiheitskriegen jedes künstlerische Schaffen im Gewerbe auf. Da beginnt jene dürftige Nüchternheit im Häuserbau wie in der Beschaffung der Möbel, Geräthe, Wäsche, des Schmuckes, welche mit der Dutzendfabrikation und der Thatsache endigte, daß man überall, vom äußersten Westen bis zum äußersten Osten Deutschlands, beim Mittelstande dieselben dürftigen, kunst- und geschmacklosen Stühle, Tische, Kommoden, Schränke, Spiegel, Papiertapeten, Rückenkissen und gehäkelten, gestärkten und gebläuten Schutzdeckchen finden konnte.

Die Uebung der Gewerbe vor zwanzig Jahren konnte füglich der Meister entbehren; dieselben durften ruhig spazieren gehen und irgendwo einkehren – die Gesellen, ja die Lehrjungen daheim waren für die Leistungen der Zeit genügend. Jetzt ist da Wandel geschafft und rasch fortschreitende Besserung unverkennbar; denn es ist – und diesmal dem Himmel sei Dank! – „Mode“ unter Gebildeten geworden, sich „stilgerecht“ einzurichten.

Weit zahlreicher, als die Renaissancesachen, sind die französirenden Formen des vorigen Jahrhunderts erhalten. Die besseren sind nicht ohne Reiz, wenn auch vieles nur um des Materials willen, wie die Porcellane und Schmucksachen; anderes ist wegen der sorgfältigen und feinen Arbeit kostbar. Jedenfalls ist der Reichthum an Formen außerordentlich. Manchen mag es reizen, neben Renaissancezimmern auch ein Zimmer à la Rococo auszustatten, dessen spielende, leichte und graziöse Art doch auch unsere Maler gern in Blldern wiedergeben, und man kann sich ein solches Zimmer unschwer in überkommenen, geschickt reparirten Originalbestandtheilen einrichten, welche an Preis den guten Renaissance-Arbeiten beträchtlich nachstehen und ebenso zum Theil den werthvollen Leistungen unserer neu aufblühenden Kunstindustrie.

Nicht diese Erwägungen aber sind es, die mich veranlaßten, dem Leser die Thür einer Antiquitätenhandlung aufzuschließen, sondern zwei andere Gesichtspunkte. Es handelt sich erstens darum, auf Geldwerthe aufmerksam zu machen, welche in so manchem Haushalt, bis in die ärmste Gebirgshütte hinein, als todtes Capital lagern und zum Theil ein Vermögen repräsentiren, das der Antiquitätenhändler unter Berechnung seines Profites mit Vergnügen flüssig macht; es handelt sich zweitens darum, zu verhüten, daß diese Capitalien, und mit ihnen unersetzliche Reste der Kunst unserer Vorfahren, aus Unkenntniß ihres Werthes zerstört werden.

Da steht irgendwo in einem einsamen Häuschen ein alter Krug, mit Figuren dran und bunt bemalt; es ist einer jener „Apostelkrüge“, von denen Kortüm’s „Jobsiade“ singt:

„Apostel nennt man große Krüge;
Darein geht Wein und Bier zur Genüge.“

Der Besitzer findet ihn ganz hübsch, aber welche freudige Ueberraschung würde es in einer Nothlage für ihn sein, plötzlich zu erfahren, daß man diese Krüge mit ein- bis dreihundert Mark bezahlt! Bei einer Hökerin steht ein alter Tisch mit eigenthümlich geformtem Fuß; der Tisch ist wurmstichig, zerbrochen; er soll zerhackt werden. Vielleicht kann diese Frau mit dem Erlös aus dem einzigen Tischfuß sich die Heizung für ein paar Monate kaufen. Irgendwo befindet sich ein alter bunter Porcellanofen mit Figuren dran; er taugt für seinen Zweck nicht mehr, und der Ofensetzer sagt: er sei nur zum Wegwerfen gut. So wird er denn ohne Umstände abgetragen, zerschlagen, auf dem Kehrichthaufen untergebracht. Und für ein paar dieser Figurenkacheln hätte der Antiquitätenhändler soviel bezahlt, daß die Besitzer sich den neuen Ofen davon hätten bauen lassen können. Die Bauern eines thüringer Dorfes fanden bei Verlegung einer Gruft auf dem Gottesacker eine alte kunstvoll gearbeitete Gnadenkette in Goldemail. Mein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_594.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)