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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Ein Hüter des Deutschthums im Elsaß.

Gustav Adolf Mühl.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Zehn Jahre sind in’s Land gegangen, seit wir das Elsaß wieder unser nennen – eine lange Zeit, in der sich Manches vergißt. Unser Volk hat es fast vergessen, daß es einst sehnsüchtig über den Rhein nach den Vogesen blickte und den Straßburger Münsterthurm sich als das Wahrzeichen einer alten politischen Schuld ersah. Heute – über dem geräuschvollen Aufsuchen und Ausbauen nationaler Lebenswege – schweigt die Erinnerung an die schönen Tage, da wir das Reich noch in der Phantasie sahen, da das Elsaß nur noch ein Ziel unserer Sehnsucht war. Damals saß in dem entrissenen Lande ein Häuflein wackerer elsässischer Männer auf schwierigem, undankbarem Posten, unsere Statthalter, die das Deutschthum drüben über dem Rhein für uns verwalteten. Wer erinnert sich ihrer heute noch mit jenem innigen Gedenken, das ihnen gebührt? Und doch sind die Stoeber, Mühl, Otte, Hackenschmidt und Andere, diese elsässischen Dichter, Gelehrten und Pfarrer für alle Zeit vollgültiger Beweis, daß Deutschland nicht ein ihm entfremdetes Land gewaltsam annectirt, sondern einen ihm geistig unverbrüchlich angehörigen Gau sich wieder verbunden hat.

Das moderne Geschlecht hat für das, was Mitlebende gethan – Heroenarbeit vielleicht ausgenommen – ein schlechtes Gedächtniß, und erst wenn der Tod irgendwo anpocht, ein verdienstliches Leben hinwegzunehmen, pflegt auch die Erinnerung an dasselbe dauerndere Formen zu gewinnen.

So mußte auch einer der obenerwähnten elsässischen Männer, Gustav Mühl, der liebenswürdige Dichter, von der Erde scheiden, bis seinen Verdiensten als deutscher Patriot im Elsaß unter französischer Hoheit und als elsässisch-deutscher Dichter Gerechtigkeit und Anerkennung wurde. Als sein lorbeerbekränzter Sarg am Sonntagnachmittag des 29. August 1880 aus dem Patrizierhaus der Düsergasse zu Straßburg nach dem Helenen-Kirchhof bei Schiltigheim getragen wurde, erst da dachte wohl Mancher der Leidtragenden daran, daß einer der getreuen Palatine deutschen Geistes im Elsaß, ein Hüter deutscher Sprache und Sitte dahingegangen. Der deutsche Statthalter fehlte im Trauerzug: – er wußte wohl nicht, daß Einer zur Ruhe getragen wurde, der ehedem

auch ein Statthalter im Elsaß war, ein Statthalter des Deutschthums,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_609.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)