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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

seinem Eigenrechte gekränkte Landmann keinen gesetzlichen Schutz fand, so griff er zur Selbsthülfe und begann den Vernichtungskampf wider die Feinde und Schädiger seines Eigenthums auf eigene Faust. Er griff nach dem Gewehre und wurde unter dem Schutze des Waldes und der Nacht zum Wilderer.

Im Rechtsgefühl des Volkes hat das Verbrecherische der Wilddieberei nie Anerkennung gefunden. Ihm galt das Wildern immer nur als die Ausübung eines ureigenen, unrechtmäßiger Weise verkümmerten Rechts, als ein Act der Nothwehr wider einen rechtlosen Eingriff in die Sphäre des eigenen Rechts. Am schlagendsten wird dies documentirt durch die Geschichte des Meisters aller Wilddiebe, jenes zu einer historischen Berühmtheit aufgebauschten baierischen Hiesel (Matthias Klostermaier); denn er konnte nur deshalb allen Anstrengungen der Forst- und Polizeibehörden, seiner habhaft zu werden, Jahrzehnte lang trotzen, weil er im Schooße der Landbevölkerung die lebhafteste Unterstützung fand. Er galt als der heldenhafte Vollstrecker eines dem Volke selbst versagten Rechts; das Volk nahm auch keinen Anstand, diesen Wilderer in Wort und Lied zu feiern und ihm einen wahren Cultus der Verehrung zu weihen. Ein in ganz Altbaiern zu jener Zeit gesungenes Lied preist ihn als den „Fürst der Wälder, dessen Reich so weit gehe, als der Himmel blau ist“; denn das Wild „auf weiter Erde sei freies Eigenthum“; das Lied läßt ihn von sich sagen:

„Die Bauern geb’n mir z’ essen,
Und wenn ich’s brauch, noch Geld;
Drum thu ich d’ Felder schützen
Mit meinen tapfern Leut.“

Dieser gewaltthätige, auch hier in’s Maßlose sich steigernde Widerstand rief nun wieder eine um so stärkere Reaction der staatlichen Macht hervor. Es entstanden die Strafgesetze gegen die Wilddieberei, aber längere Zeit hinderte noch die Scheu vor dem tiefgewurzelten Rechtsbegriffe im Volke ein peinliches Einschreiten. „Da Gott den Menschen schuf, da gab er ihm Gewalt über Fische und Vögel und alle wilde Thiere. Darum haben wir es von Gott beurkundet, daß Niemand seinen Leib und seine Gesundheit um dieser Dinge willen verwirken mag,“ hieß es noch im Rechtsbuche des Sachsenspiegels, und es erging dort noch ausdrücklich das Verbot, daß „Jemand während des Kornes Reife die Saat durch Jagen oder Hetzen betrete.“

Auch die peinliche Halsgerichtsordnung Karl’s des Fünften zählt den Wilddiebstahl nicht unter die Verbrechen. War es doch für den Rechtsgelehrten überhaupt schwierig, den Begriff des gemeinen Diebstahls auf das Wildern zu übertragen, da, solange das Wild frei im Walde lebte, ein Besitz oder Gewahrsam desselben juristisch nicht festzustellen war. Man mußte deshalb zu besondern Ausnahmegesetzen greifen, und daran ließen es die Herren der Particularstaaten nicht fehlen. Ja, sie griffen, z. B. wenn sie ertappte Wilderer auf Hirsche binden und den furchtbaren Todesritt reiten ließen, zu eigenmächtiger Selbsthülfe. Auch sonst ging durch diese Wilddiebgesetze der Zug erbitterter Grausamkeit.

So gebot Herzog Ulrich von Württemberg 1517, daß den Wilddieben beide Augen ausgestochen werden sollten. Von einem Erzbischof Michael in Salzburg heißt es ferner, daß er 1517 einen Bauern, der einen seinen Aeckern verderblichen Hirsch erlegt hatte, in die Haut des Thieres einnähen und auf offenem Markte von den Hunden habe zerreißen lassen, und noch im Jahre 1772 wurde in diesem vom geistlichen Jagdsport besonders heimgesuchten Ländchen das alte Gesetz erneuert: „Wer einen Steinbock tödtet oder verwundet, kommt zehn Jahre auf die Veste und erhält am Jahrestage der That fünfzig Prügel; im Wiederholungsfalle verliert er die rechte Hand und kommt Zeitlebens um die Freiheit.“ Der im Waldreviere auf offener That ertappte Wilderer hatte vor dem Schusse des angestellten Jägers keinen größeren Schutz als das Wild selbst. Er war vogelfrei. So herrschte im Reviere des deutschen Waldes das Standrecht.

In anderer Weise nahm die Phantasie des Volkes, da dieses keinen irdischen Richter für den ihm nach seinem Rechtsgefühle zugefügten Schaden fand, gleichsam Zuflucht zur überirdischen Gerechtigkeit. Sie heftete an den Leib des tollen unersättlichen Nimrod den Fluch des Ahasver, die peinvolle Strafe ewiger Ruhelosigkeit und versetzte den Peiniger des armen Bauern nach seinem Tode unter die finstere Schaar des wüthenden Heeres, der wilden Jagd, welche noch von Wuotan’s Zeiten her rastlos mit furchtbarem Rüdenlärm durch die Wälder dahinbraust. Als der hervorragendsten Einer in der wilden Rotte galt der Oberjägermeister des Herzogs von Braunschweig, jener Hans von Hackelberg, von dem das Volk sich erzählte, er wäre der Lust des edlen Waidwerks so tief ergeben gewesen, daß er, von einem wüthenden Eber zu Tode getroffen, dem Priester, der ihn zu Gebet und Buße ermahnte, geantwortet habe:

„Wenn mir die Jagd nur bliebe, möchte unser Herrgott seinen Himmel schon behalten, wonach der fromme Mann sich entsetzt von ihm gewandt und ihm zugerufen habe:

„So jage denn, jage bis zum jüngsten Tage!“

Von einem Anderen, dem Wild- und Rauhgrafen, ging die Sage, er habe selbst am Sonntage, als die Glocken zur Kirche riefen, mit seinem wilden Trosse und der kläffenden Meute einen Hirsch gehetzt, habe in der tollen Hatz die Halme des Feldes, den Hirt und die Heerde und zuletzt selbst die Hütte des frommen Waldklausners zerstampft, bis ihm die Donnerstimme des Himmels ein mächtiges Halt geboten und ihn den Mächten der Hölle zur ewigen Pein überliefert habe. Nun rauscht ihm, wie es in Bürger’s Ballade heißt, durch die ganze weite Welt bellend die Hölle nach:

„Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,
Und Mitternachts hoch durch die Lüfte.“

Es ist bekannt, wie in dem achtundvierziger Revolutionsjahre das alte Rechtsbewußtsein von der Freiheit des Waldes und der Jagd wieder zum gewaltsamen Durchbruche kam und dabei zu jener grausamen, planlosen Verwüstung des Wildstandes führte, von deren Folgen dieser sich nie wieder erholte. Es war dies eben nichts weiter, als der alte „Krieg um den Wald“, wie ihn Riehl nennt, „der sich in allen Jahrhunderten unserer Geschichte wiederholt“.

Diese gewaltsame Selbsthülfe führte indeß dahin, daß das Hoheitsrecht der Jagd verschwand und der alte erbitterte Streit insoweit eine naturgemäße Lösung fand, als das Jagdrecht nun wieder in Zusammenhang mit dem Eigenthumsrecht am Grund und Boden gebracht wurde; denn eine Rückkehr zu dem altgermanischen kommunistischen Gedanken des Gesammteigenthums an Wald, Wasser und Weide wäre heutzutage nicht durchzuführen; es setzt dies so einfache Verhältnisse voraus, wie sie heute nicht mehr bestehen.

Aber eine heilsame Wirkung hatte dennoch die Aufhebung des alten Rechts, durch welche der Mitgenuß des Einzelnen an Wald, Weide und Wasser geschmälert wurde; die neueste Regelung des Jagdrechts ließ den Gedanken der Besitzlosigkeit nicht aufkommen, und dieser ist es vor Allem, der unsern heutigen Socialismus erzeugt hat und ihm fort und fort neue Nahrung gab.

Fr. Helbig.




Ein Tag auf der Berliner Augustconferenz.[1]
Vom Prediger Dr. Kalthoff.

Am 24. und 25. August hat in Berlin wieder einmal die sogenannte evangelisch-lutherische Conferenz getagt, die sich seit einer Reihe von Jahren eine gewisse Berühmtheit in weiteren Kreisen erworben hat. Je weniger die Verhandlungen dieser Conferenz für die wissenschaftliche Theologie jemals etwas Neues zu bieten vermögen, desto interessanter pflegen sie als Symptome des allgemeinen Zustandes unserer Kirche zu sein. Die Augustconferenzen haben die Erbschaft der orthodoxen Kämpen einer früheren Zeit, der Herren Hengstenberg, Stahl und von Gerlach, angetreten. Auf ihnen wird regelmäßig vor aller Welt das Bündniß der reaktionären Parteien erneuert; auf ihnen giebt der pommersche Landjunker dem märkischen Superintendenten den Bruderkuß. Was unsere Kirche an Orthodoxie und Pietismus aufzuweisen hat, ist auf der Augustconferenz vertreten.

Wer aus dem bunten Leben der Reichshauptstadt in eine solche Conferenz hineintritt, glaubt sich plötzlich in eine andere

  1. Unser Herr Referent war leider verhindert, den Verhandlungen des zweiten Tages beizuwohnen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_650.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)