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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

den ernsten Rath zu geben, sie sollten zuerst einmal vor ihrer eigenen Thür kehren. Es handelt sich ja auch eigentlich für die orthodoxer Herren weniger um die Sittlichkeit als um die Gläubigkeit. Da ist allerdings der Einfluß der größeren Städte gefährlich. Das von denselben ausgehende geistige Leben klärt auch die Köpfe der Landbevölkerung auf, und der Bauer fängt allmählich an stolz darauf zu sein, daß er nicht mehr so dumm ist, alles zu glauben, was ihm vorgeredet wird. Natürlich wird das der Orthodoxie unbequem; sie klagt deshalb die großen Städte an, daß sie die Hauptschuld an der „Mißachtung der Autoritäten“ tragen

Besonders aber war es die Presse, über welche sich die ganze Schale des pastoralen Zornes ergoß, und bei dieser Gelegenheit wurde auch der „Gartenlaube“ die Ehre zu Theil, vom Hofprediger Stöcker als Repräsentantin der „Schandpresse“ bezeichnet zu werden. So sind ja jene Heeren: die Begriffe von sittlich und unsittlich sind ihnen übergegangen in die Begriffe von gläubig und ungläubig. Man kann nach besten Kräften für die Verbreitung edler Gesittung, für die Förderung humaner Bestrebungen arbeiten – das rettet Niemand vor dem Bannfluche, sobald diesen Arbeiten der Stempel specifischer Kirchlichkeit fehlt. Wer erst gar wagt, dem Volke die Ketten zu zeigen, welche die Hierarchie dem Geist schmiedete, wer die Lüge und Heuchelei aufdeckt, welche die Orthodoxie im Gefolge hat, der ist unrettbar dem Verdammungsurtheil verfallen Ein achtzigjähriger katholischer Bischof hat am Anfang dieses Jahrhunderts auf dem Sterbebett den Ausspruch gethan: es gäbe keinen unversöhnlicheren Haß als den der Sclavenhalter und – der Priester.

Es ist einmal die scherzhafte Bemerkung gemacht worden das Beste wäre, wenn Stöcker zum preußischen Cultusminister erhoben würde; dann hätte er in vier Wochen abgewirtschaftet, und wir wären ihn für alle Zeiten los. Man könnte von der ganzen Augustconferenz sagen: das Beste wäre, wenn einmal alle ihre Forderungen erfüllt würden; dann könnten wir sicher: sein, daß unser Volk sich nur um so mächtiger gegen den geistigen Druck empören würde, der es alsdann zu erdulden hätte. Indeß, wenn es auch ewig wahr bleibt, daß neues Leben aus den Ruinen erblüht, ist es darum nothwendig daß stets erst Ruinen da sein müssen, wenn neues Leben entstehen soll? Müssen denn immer erst die stolzesten Errungenschaften unserer Cultur in Frage gestellt, die niedrigsten Leidenschaften der Menschen entfesselt werden, damit die träge Masse von brennender Sehnsucht nach Besserem erfaßt werde und ein neuer Aufschwung der Geister sich fühlbar: mache?

Eine angesehene liberale Zeitung tröstete sich beim Rückblick auf die Augustconferenz damit, daß die von derselben beschlossenen Resolutionen ohne jede praktische Wirkung bleiben werden. Ist das aber nicht schon eine praktische Wirkung, wenn nun ein halbes Tausend Pastoren nach der Conferenz in ihre Gemeinden zurückkehren, um dort die neuen Schlagwörter, mit derer sie sich in Berlin durch ihre Führer haben ausrüsten lassen, weiter zu geben und die alte Minirarbeit gegen unser modernes Culturleben mit neuen Kräften wieder zu beginnen? Was haben wir denn jener Arbeit entgegenzusetzen? Als vor wenigen Wochen in Berlin der Protestantentag aus ganz Deutschland zusammentrat, betrug die Zahl der activen Theilnehmer an demselben etwa den vierten Theil derjenigen, die sich zur Augustconferenz allein aus Preußen eingefunden hatten. Man sieht: wenn es sich um die Arbeiter des kirchlichen Gemeindelebens handelt, bietet die confessionelle Partei ihre tüchtigsten und rührigsten Kräfte auf, aber unter den Freisinnigen hält es meistens schwer, nur nothdürftig die Zahl der erforderlicher Candidaten zusammenzubringen, während die einflußreichsten und leistungsfähigsten Kräfte von der Arbeiten der kirchlichen Reform sich zurückziehen. Dort Rührigkeit, Macht und Ansehen, hier Schlaffheit, Gleichgültigkeit, im besten Falle ein momentanes Aufflackern ohne Ausdauer das ist im Großen und Ganzen die Signatur der Heerlager, die sich im kirchlichen Kampfe gegenüberstehen. Wenn diese Signatur sich nicht wesentlich ändert, werden wir bei jedem Schritt, den wir rückwärts machen, bekennen müssen: Nicht die Stärke der Gegner, sondern unsere eigene Schwäche ist die Ursache der Reaction.




Blätter und Blüthen.

Das Brockhaus'sche Conversations-Lexicon in neuer Auflage. Zu den ältesten literarischen Hausfreunden des deutschen Volkes gehört das Brockhaus’sche Conversations-Lexicon. Dem Lernbegierigen ein kenntnißreicher Lehrer, dem Gedächtnißschwachen ein stets bereiter Retter in der Noth, hat es sich in der deutschen Familie wohlverdiente Achtung und Liebe erworben – und heute erscheint der alte Freund, die Vortheile, welche die in Wissen und Technik fortgeschrittene Zeit ihm bietet, klug benutzend, in neuem Gewande. Aber nicht nur modischer und prächtiger am Kleide, ist er, wie an Jahren, so auch an geistigem Inhalte und an erfahrungsvoller Weisheit reicher geworden.

Es ist die dreizehnte Auflage, in der das Lexicon soeben zu erscheinen beginnt, nicht ein bloßer Neudruck, sondern eine vollständig umgearbeitete und wesentlich erweiterte Ausgabe des Werkes. Der hervoragendste Unterschied dieser Auflage besteht den früheren gegenüber in einer erheblichen Vermehrung der Artikel, ferner in der Beigabe von Abbildungen.

Bei der Vermehrung der Artikel ging die Verlagshandlung von dem Wunsche aus, durch Auskunftsertheilung über jede Frage des Wissens und des Lebens dem höchsten und letzten Ziele immer näher zu kommen, welches die lexicalische Literatur sich stellen kann. Die für so viele Wissensgebiete unentbehrliche Ergänzung des Wortes durch das Bild aber hielt sie für eine Forderung der Zeit, der sie sich nicht verschließen durfte, und so wird sie diese neue dem deutschen Volke auf’s Wärmste zu empfehlende Auflage des Lexicons mit Abbildungen und Karten auf nicht weniger als vierhundert Tafeln schmücken, dieselben werden durch die verschiedensten graphischen Verfahren: Holzschnitt, Phototypie, Lithographie und Farbendruck hergestellt und auch einen vollständigen geographischen Atlas darbieten; außerdem werden Abbildungen in den Text gedruckt, wo dies zum besseren Verständnisse nöthig erscheint. Das Papier ist holzfrei, also dem Vergilben nicht ausgesetzt.

Wir geben dieser neuen Auflage des altbewährten trefflichen Conversations-Lexicons die besten Wünsche mit auf den Weg in das deutsche Heim.




Nicht zu übersehen.

Mit dieser Nummer schließt das dritte Quartal des laufenden Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das vierte Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahres aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.




Für das nächste Quartal liegt uns außer der nur noch wenige Nummern umfassenden Fortsetzung der Godin’schen Erzählung „Mutter und Sohn“ die gehalt- und stimmungsvolle Novelle:

Das Krüppelchen von Karl Theodor Schultz,

dem allbeliebten Verfasser von „Felix“, vor, und werden sich an dieses sein entworfene und spannende Seelengemälde einige kürzere Novelletten anschließen.

Unter den zahlreichen belehrend-unterhaltenden Beiträgen aus allen Gebieten des Wissens und Lebens seien hier nur genannt: instructive Artikel über die internationale elektrische Ausstellung in Paris von Ernst Hinkefuß, lebensvolle Schilderungen der Flottenmanöver bei Kiel von Harbert Harberts, interessante Mittheilungen aus der Jagd- und Hunde-Ausstellung zu Cleve von v. Hirschfeld sowie farbenfrische Bilder von den Dresden-Meißener Festen der deutschen Kunstgenossenschaft von A. Wernick, welche sämmtlichen Aufsätze durch hinzugefügte Illustrationen von Meisterhand (Woldemar Friedrich, Ludwig Beckmann. u. A.) einen besonderen Reiz erhalten werden. Außerdem: die Fortsetzung unserer Rubrik „Um die Erde“ von Rudolf Cronau nebst anderen Studien über Amerika, in erster Linie aber „Bilder aus dem Stillen Ocean“ von dem bekannten Reisenden O. Finsch. Ein hervorragendes Interesse dürften endlich die uns von Dr. Kalthoff, dem tapferen Streiter für Religionsfreiheit und unabhängiges Denken zugesagten Artikel „Zur Literaturgeschichte des Neuen Testaments“ in Anspruch nehmen, in welchen sich der geistvolle Verfasser die Aufgabe gestellt hat, im Gegensatze zu einer mystisch-unklaren Auffassung der Entwicklungsgeschichte der Bibel die rein-menschliche und natürliche Entstehung der neutestamentlichen Schriften in großen Zügen kurz darzulegen.

Die Redaction der „Gartenlaube“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_652.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)