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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Liebeslauten – ganz Hingebung, kein Hauch der Reue mehr, nur voller, süßester Besitz.

Else löste sich endlich aus der Umarmung und sagte mit glücklichem Lächeln:

„Sie böser Mann!“

„Noch immer ‚Sie‘? Habe ich mir denn die reine Walküre erkoren?“ rief er mit komischem Pathos. „Am Ende ist auf das liebe, ehrliche, holde ,Du’ auch noch eine Bedingung gesetzt? Sprich, sprich! Ich bin auf Alles gefaßt. Wenn der Mann einmal angefangen hat sich zu ergeben findet er so leicht keine Grenze darin.“

„Und Sie glauben – Du könntest glauben,“ verbesserte sich Else leise, „daß ich nach solchem grenzenlosen Manne Verlangen trüge? O nein! Nur das, wovon ich tief innen fühlte, daß es mir nicht gegeben – das mußte ich Dir doch vorher eingestehen. Du hättest ja eine ganz Andere in Dein Haus geführt, als die Du erwähltest. Täuschen kann ich nicht, aber fügen, nun mich in Alles fügen, was Du über uns bestimmst, das kann ich, weil – weil ich Dich grenzenlos liebe, und Dir heute und immer nur vergelten will, was Du mir zum Opfer gebracht hast.“

Eine Wahrhaftigkeit, eine Hoheit war in ihrer Haltung, daß Förster nur ihre Hände an die Lippen führen und ihr mit stummem Blick danken konnte. Der Blick legte ihr freilich sein Herz zu Füßen.


5.

Die nächsten Wochen brachten für die jungen Brautleute nichts als jenes Glück, das schier so alt wie die Menschheit ist - mindestens die deutsche Menschheit. Förster fuhr beinahe an jedem Nachmittage nach Barten hinüber, und Else überschüttete ihn mit Allem, was ihr von Laune und Zärtlichkeit und sinnigen Capricen zu eigen war. Sie blühte in dieser neuen, nun jedes Zwanges freien Atmosphäre, gleich einer Blume über Nacht – auf einmal auf; ihr Wesen schien oft wie verkörperter Duft: dann schwer, dann nur von Hauches Stärke, jetzt war sie ganz Seele, gleich darauf trotzte sie auf ihr Recht, ihren Willen. Förster nahm Alles mit Entzücken hin und hatte selbst fern von ihr kaum einen andern Gedanken als sie, kaum einen anderen Wunsch, als daß die Stunden beflügelt würden, die ihn täglich von ihr trennten.

Auch seine Mutter theilte voll, natürlich in weniger erregter Weise, sein Glück und fand nun das tiefste Genügen darin die Liebe des Sohnes so richtig beurtheilt zu haben. Bei ihrer Herzensgüte quälte sie momentan eigentlich nur die eine Sorge, wie sie ihn am leichtesten über die Trennung hinwegzuführen vermöchte: dieses Scheiden mit seinen unerbittlichen Consequenzen fürchtete sie seit Tagen.

Doch ob in Glück, ob in Sorge – die Stunden gehen und gehen; so wurde es denn auch im Burgsdorfer Schlosse einmal sehr früh lebendig; der erste März war da, und der mächtige Möbelwagen, der bereits am Abend vorher aus Königsberg angekommen, fuhr an der Freitreppe vor.

Förster erwachte dadurch aus einem Traume, der ihm Else am blauen Meere der Adria gezeigt hatte. Anfangs, da es im Zimmer noch dämmerig war, vermochte er sich durchaus nicht klar zu werden, was das viele Gehen bedeutete. Das Oeffnen von Thüren so früh am Morgen? Dann fiel es ihm plötzlich auf’s Herz: sie geht ja heute, die Mutter – Rudi.

Wie wenig er den Kleinen in letzter Zeit gesehen! Wenn er heimgekommen, hatte er allerdings schon geschlafen: doch den Vormittag über? War es wirklich möglich gewesen – hatte er des Kindes bereits vergessen können? jetzt schon? Und Rudi? Ob er das nicht empfunden?

Mit seltsam gemischten Gefühlen, ganz anderen als in den jüngsten Tagen, stand er rasch auf, zog sich ebenso hastig an und ging nach dem Wohnzimmer. Die Mutter empfing ihn mit ihrem wärmsten Blicke und machte ihm sogar scherzhafte Vorwürfe, warum er so früh aufgestanden wäre, da er ja nirgends helfen sollte. Er kam sich trotzdem wie ein Schuldiger vor; sonst hat er der Mutter schon bei der einfachsten Packerei für einen Bade-Aufenthalt oder irgend einen Besuch geholfen – gerade dabei waren sie stets so heiter gewesen, und diesmal, wo es eine Umwälzung des ganzen Hausstandes galt, hatte er sie völlig sich selbst überlassen?

„Wie schnell ist dieser Erste herangekommen!“ sagte er gleichsam zur Entschuldigung.

„Das findest Du!“ lachte die Mutter herzlich auf. „Wir Uebrigen unterschrieben es kaum. Das ist aber immer so; wirst es auch dereinst erleben, wenn der Hans den Kopf von gewissem Anderem voll haben wird; da sehen eben die Alten nach dem Rechten. Wozu wären die sonst noch da? Hier!“ sie stellte eine Tasse Kaffee vor ihn hin. „Werde Dir lange keine mehr einschenken.“

Ihre Stimme war auf einmal sehr weich geworden, bekam jedoch beim Fortfahren wieder ihren Polterton, den sie immer hatte, wenn Frau Förster gerührt war und es nicht zeigen wollte.

(Schluß folgt.)

Aus der Zeit August’s des Dritten.

Unter Kanonendonner und Glockengeläute hielt im Jahre 1697 der Kurfürst Friedrich August von Sachsen seinen feierlichen Einzug in die polnischen Lande, zu deren Kronenträger er nach dem Tode des heldenmütigen Johann Sobieski erwählt wurde. Wohl staunten die zu seiner Begrüßung an der schlesischen Grenze erschienenen adeligen Deputationen über die ritterliche Erscheinung des Mannes, der später in der Geschichte den Beinamen des Starken tragen sollte, und über die verschwenderische Pracht seines königlichen Gefolges. Von Ohr zu Ohr pflanzte sich rasch die wunderliche Nachricht fort, daß die Kleidung, welche der neue König trug, als er zum ersten Mal den polnischen Boden betrat, allein auf eine Million Thaler geschätzt wurde. Und bezeichnend war diese erste Erscheinung des Fürsten sowohl für seine eigene Regierung, wie für die seines Sohnes, der nach ihm als August der Dritte den polnischen Thron bestieg; denn Verschwendung ist das charakteristische Merkmal, welches sich diesen beiden Herrschern gegenüber dem Geschichtsforscher aufdrängt.

Dem sächsischen Volke kostete die Königscaprice seines ehrgeizigen Fürsten, welcher wegen des fraglichen Machtzuwachses zum Katholicismus übergetreten war, Millionen, und auch Polen mußte dieselbe theuer bezahlen; denn seine inneren Angelegenheiten versanken unter jenen sächsischen Königen immer tiefer in Anarchie, und nach außen hin gerieth es in eine vollständige Abhängigkeit von seinem östlichen russischen Rivalen.

Nach einem kurzen fruchtlosen Versuch, den polnischen Adel durch Gewalt der Botmäßigkeit der Krone zu unterwerfen, beschloß August der Starke, die Nation durch Sittenverderbniß und höfischen Prunk einzuschläfern und seinen Plänen gefügig zu machen. Dasselbe System befolgten auch später die Minister und Rathgeber, welche im Namen seines Nachfolgers das Land regierten, und so lebte der polnische Adel trotz der kostspieligen Kriege, welche das Land verwüsteten und Sachsen allein gegen 100 Millionen Thaler kosteten, Jahrzehnte lang in einem unaufhörlichen Festjubel, zu dem der elende Zustand des polnischen Bauers und die Hungersnoth im Erzgebirge einen grellen Gegensatz bildeten.

Für die beiden sächsischen Könige und ihre Minister war es überhaupt keine schwierige Aufgabe, die ihrer Natur nach leichtlebigen Polen auf die abschüssige Bahn der Ausschweifung und der Prunksucht zu führen. Das damalige Königreich Polen durfte wohl gegen 10 Millionen Einwohner zählen, von denen sich nur eine halbe Million, der Adel, im Genuß staatsbürgerlicher Rechte befand. Der in früheren Jahrhunderten geführte Kampf zwischen dem Adel und der Krone artete schon vor August dem Starken in einen völligen Sieg der unter einander gleichberechtigten Adeligen aus, und es begann nunmehr eine neue Entwickelungsphase der polnischen Geschichte, in welcher nicht der Reichstag und die einzelnen Landtage, sondern mächtige Magnaten tatsächlich im Lande die Herrscherrechte ausübten.

Ein Blick in das persönliche Leben dieser Potentaten dürfte nicht uninteressant sein. Die stolzesten und angesehensten polnischen Adelsgeschlechter hatten in dem damaligen südlichen Polen, in dem eigentlichen Ruthenenlande, ihre viele Quadratmeilen umfassenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_676.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)